Der Nachwuchs in Corona-Gefahr: Einerseits drohen Schulschließungen, andererseits wird die kindliche Psyche belastet. Wo ist der Ausweg?

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Als die achtjährige Mia vergangenen April an Covid erkrankte, war sie richtiggehend zornig. Ihre Infektion verlief sehr glimpflich, aber es war bereits das dritte Mal, dass sie zu Hause bleiben musste. Zuvor war sie in der Schule zweimal K1-Person gewesen, jetzt folgte die lange Quarantäne. Der Kontakt zu ihren Freundinnen fehlte ihr, die Eltern gingen ihr auf die Nerven – und auch das Nervenkostüm der Erwachsenen war schon ziemlich dünn.

Was so, nacherzählt, harmlos klingt, war für viele Familien im vergangenen Schuljahr mühsame Realität. Lockdowns und Schulschließungen haben es geprägt, die Bedürfnisse der Kinder sind in der Pandemie weit hinten gestanden. Das hat geholfen, vor Infektion und Clusterbildung zu schützen, doch die psychische Gesundheit hat gelitten, wie Kinder- und Jugendpsychologen und -psychiater von Beginn an warnten. Jetzt rückt der nächste Herbst näher und damit die Frage, wie es weitergeht mit Corona und den Kindern.

Fakt ist, Kinder jeden Alters stecken sich genauso oft an wie Erwachsene. Cluster in Schulen und pädagogischen Einrichtungen haben deutlich zur Virusverbreitung beigetragen. Das könnte auch im Herbst wieder passieren, sagen Experten unisono. Und sie sind sich auch einig: Schulschließungen sollten unbedingt verhindert werden.

Zuletzt hat Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) empfohlen, dass auch Kinder unter zwölf Jahren geimpft werden sollen, sobald ein sicheres Vakzin zugelassen ist. Das macht Sinn, man rechnet damit, dass im Herbst die Fallzahlen unter Kindern wieder steigen. Und selbst wenn sie sehr selten schwer erkranken, gibt es diese Fälle, Spätfolgen inklusive. Doch die sichere Impfung für die unter Zwölfjährigen lässt auf sich warten. Bis dahin braucht es einen guten Mittelweg zwischen gesundheitlichem Schutz für die Kinder und dem nötigen Augenmerk auf ihre Psyche.

Seltene schwere Verläufe

Der große Vorteil der Kinder ist, dass sie sehr oft einen milden oder asymptomatischen Verlauf haben. "Kinder unter zwölf Jahren erkranken ganz selten schwer, aber es kommt natürlich vor", betont Volker Strenger, Professor an der Kinderklinik der Med-Uni Graz und Leiter der Arbeitsgruppe Infektiologie der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ).

Außerdem besteht die Möglichkeit von Long Covid. Eine österreichische Studie mit 755 erkrankten Kindern von null bis vierzehn zeigt, dass einen Monat nach der Erkrankung elf Prozent der Kinder noch Symptome haben, drei Monate danach sind es noch sechs Prozent. Das deckt sich mit internationalen Zahlen. In England etwa sind rund sieben Prozent der Kinder von Long Covid betroffen.

Dazu kommt ein neuartiges Krankheitsbild, das es fast nur bei Kindern gibt, das Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome (PIMS). Strenger erklärt: "Das ist eine überschießende Immunreaktion, die typischerweise einige Wochen nach einer Sars-CoV-2-Infektion auftritt. Die Kinder haben dann Fieber, oft auch Bauchweh. Die Lunge steht aber nicht im Vordergrund. Dafür findet man im Blut ganz spezielle Entzündungsmarker, ähnlich wie bei einer bakteriellen Infektion."

Neuartiges Krankheitsbild

Das macht es schwierig, PIMS zu erkennen. Man denkt nicht unbedingt an Corona, das ja ein Virus ist. Dazu kommt, dass die Schwere der akuten Corona-Krankheit nicht relevant ist für PIMS, auch Kinder mit asymptomatischem Verlauf können es bekommen. Diese müssen dann ins Krankenhaus, einige auf die Intensivstation. Genaue Zahlen wurden zuletzt im Jänner 2021 erhoben, bis dahin gab es 51 Fälle in Österreich, das entspricht etwa einem von tausend infizierten Kindern.

Die Daten seit Jänner sind nicht so gut dokumentiert, doch Strenger weiß: "Im April sind jede Woche 15 bis 20 Kinder mit der Hauptdiagnose Covid in die österreichischen Kinderabteilungen eingeliefert worden. Zwei bis drei davon mussten auf die Intensivstation. In der gleichen Zeit wurden pro Woche drei bis vier Kinder mit PIMS aufgenommen." Und der Kinderarzt rechnet damit, dass es im Herbst wieder vermehrt Infektionen gibt: "Im vergangenen Winter waren die Kleinen durch Lockdown und Schulschließungen sehr gut vor Ansteckung geschützt. Aber ohne diese Maßnahmen werden die Infektionen bei den ungeimpften Kindern wieder steigen."

Eine Impfung für unter Zwölfjährige könnte da ein echter Gamechanger sein. Voraussetzung: Das Risiko, an Corona zu erkranken, muss größer sein als jenes durch die Impfung. Und genau das ist der springende Punkt. Denn bei der Impfung für unter Zwölfjährige gelten andere Maßstäbe als bei der für Erwachsene.

"Das Immunsystem von Kindern entwickelt sich erst, darum können sie auch anders reagieren", erklärt Michael Wagner, Professor für Mikrobiologie an der Universität Wien. "Ich bin auch bei Kindern ein großer Impfbefürworter, aber natürlich muss man sicher sein, dass der schützende Effekt größer ist als das potenzielle Nebenwirkungsrisiko. Bei sehr geringer Wahrscheinlichkeit für einen schweren Krankheitsverlauf ist diese Abwägung herausfordernder als bei hohem Risiko."

Die Frage der Impfung

Derzeit laufen mehrere Studien zu den Kinderimpfungen, die ursprünglich für frühen Herbst erwarteten Ergebnisse dürften sich aber um zwei bis vier Monate verzögern, zumindest in den USA. Denn die FDA, die Food and Drug Administration, verlangt Sicherheitsdaten über vier bis sechs Monate. Größere Studienkohorten sollen helfen, um sehr seltene Nebenwirkungen und potenzielle Langzeitfolgen beurteilen zu können. Es wird erwartet, dass die EMA, die Europäische Arzneimittel-Agentur, ähnlich entscheidet.

Und dass Impfstoffe gründlich getestet werden, ist gut, wie Wagner betont: "Die Schutzwirkung der Impfung wird da sein, da sind sich die Impfexpertinnen und -experten sicher. Aber sehr seltene Nebenwirkungen, wie man am Beispiel von Sinusvenenthrombosen oder Herzmuskelentzündungen sieht, kann man nur finden, wenn die Studien so breit wie möglich angelegt sind." Das wird noch dauern, zumindest bis nächstes Jahr.

Bleibt noch die Frage, was all das mit der mentalen Lage der Kinder macht. Kinder- und Jugendpsychologinnen und -psychiater haben schon früh gewarnt, dass die psychischen Erkrankungen in dieser Altersgruppe massiv ansteigen. "Wir sehen mehr Angststörungen, Depressionen, eine Zunahme der Essstörungen und eine leicht erhöhte Suizidrate", betont Kathrin Sevecke, Professorin an der Med-Uni Innsbruck und Abteilungsvorständin der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Sie hat mit ihrem Team bereits im ersten Lockdown und ein zweites Mal im Herbst und Winter 2020/21 per Umfrage die Situation von Kindern und Jugendlichen erhoben.

"Vor allem kleinere Kinder reagieren mit unspezifischen körperlichen Symptomen wie Unwohlsein oder Bauchweh auf große Veränderungen. Bei größeren Kindern sehen wir Ängste, Aggressionen oder auch beginnende Essstörungen." Das Problem dabei, so Sevecke: "Diese emotionalen Schwierigkeiten verschwinden nicht, nur weil Maßnahmen wie Schulschließungen zuletzt nicht mehr aktiv waren. Sie begleiten die Kinder längerfristig. Besonders bei Essstörungen sehen wir das, es dauert Monate, bis man dieses Problem wieder in den Griff bekommt."

Und es fällt auf, dass diese Probleme Kinder quer durch alle Gesellschaftsschichten spüren: "Corona ist ja ein Problem, das jeden betrifft, nicht nur Randgruppen." Jetzt, in den Sommerferien, hat sich wohl einiges wieder gebessert. Doch Sevecke rät Eltern: "Beobachten Sie genau, ob die Beschwerden mit Schulbeginn wieder mehr werden. Ist bereits eine Destabilisierung da, kann eine neuerliche Stresssituation das verschlimmern. Wenn Ihnen das auffällt, gehen Sie zu einer Fachstelle und lassen Sie es abklären. Wenn sich ein Symptom als psychische Erkrankung manifestiert und man das rechtzeitig diagnostiziert, kann man gut gegensteuern."

Positive Aussicht

Trotzdem sieht die Expertin nicht schwarz für die Zukunft: "Die junge Generation kann einiges wegstecken, wenn sie gut begleitet wird. Ich glaube da sehr an die Resilienz als Schutz vor Langzeitfolgen." Doch sie appelliert an die Zuständigen, alles zu tun, um weitere Schulschließungen zu verhindern.

Wie das funktionieren könnte, dafür hat Mikrobiologe Michael Wagner Konzepte: "Es braucht ein dichtgewebtes Netz aus PCR-Tests. Gurgeln können auch die Erstklässler schon, und die PCR-Tests sind wesentlich aussagekräftiger als Antigentests. So kann man infizierte Kinder isolieren, noch bevor sie ansteckend sind – und es entsteht kein Cluster. Dazu braucht es Luftfiltergeräte, und alle Kinder, bei denen es bereits möglich ist, sollten geimpft werden. Wir müssen uns nicht mehr so durchwurschteln wie am Anfang der Pandemie." Mia jedenfalls gurgelt gerne, wenn sie dafür in der Schule bleiben kann. (Pia Kruckenhauser, 31.7.2021)