Billie Eilish, der wichtigste Popstar der Generation Z, legt 19-jährig ihr zweites Debütalbum zwischen Nabelschau und Pose vor. Reizvoll verwirrend!

Foto: Universal Music

"I wanna do bad things to you / Don’t wanna treat you well", gurrt und ächzt Billie Eilish auf Oxytocin, als würde sie sich gerade unter der angenehmen Last eines Körpers winden. Da mag der Mann zwar oben liegen, aber Chefin ist sie.

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Auch auf NDA – quasi dem musikalisch und textlich noch böseren Bruder von Eilishs großem Hit Bad Guy – geht’s ums Eingemachte. Die berühmte Billie muss Männer, mit denen sie schläft, nun Knebelverträge unterschreiben lassen, bevor sie sie vor die Tür setzt. Der spät einsetzende Beat erinnert an Nine Inch Nails Übernummer Closer, wo es schon so schön hieß: "I wanna fuck you like an animal".

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Eilish hat bereits auf ihrem Debütalbum keinen Hehl daraus gemacht, sich auch für Fleischliches zu interessieren, trotzdem klingt Happier Than Ever an manchen Stellen deutlich dunkler und zynischer als das erste Album der mittlerweile 19-Jährigen. Aber nicht nur, wenn es um Sex geht: Things I once enjoyed / Just keep me employed now, eine Textzeile vom Opener Getting Older, erwartet man eher von jemandem in der Midlife-Crisis. Das Musikmachen, das einmal kreativer Spaß unter Geschwistern war – Eilish und ihr Produzenten-Bruder Finneas sind da ja ein eingeschweißtes Team –, ist jetzt nur noch Hackn, die die Rechnungen begleicht. Im Popbusiness wird man schnell erwachsen, vor allem wenn man wie Eilish sein aktuell größter Star ist.

Selbstreflexive Nabelschau in jeder Zeile oder doch nur Behauptung und Pose? So genau weiß man es nicht. Das macht den Reiz von Eilishs zweitem Album aus, das sich vielschichtiger als der Vorgänger When We All Fall Asleep, Where Do We Go? von 2019 ausnimmt. Bereits der Titel, der vermuten lässt, Eilish hätte ihr Glück gefunden, stellt eine Falle. Aufgelöst wird sie im titelgebenden Track, wo es heißt: "When I’m away from you / I’m happier than ever". Gleichzeitig blickt Eilish auf My Future der eigenen Zukunft völlig ironiefrei positiv gegenüber.

Spuren von Genialität

Auf den 16 Nummern dieses verwirrend reizvollen Coming-of-Age-Albums ist verdammt viel los, nicht nur textlich. Eine Nummer wie Goldwing könnte in ihrer Verstrahltheit auch von einer Grimes stammen, Billie Bossa Nova erklärt selbst, an welchem Genre man sich hier bedient hat, und einmal geht’s sogar kurz Richtung Stadionrock.

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Neben dem Erwachsenwerden und den Problemen, die sich dabei ergeben, schaut einem die ganze Welt dabei zu, ist Happier than ever ganz deutlich ein Album über Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen.

Eilish spricht sowohl an, Opfer von Missbrauch geworden zu sein (Getting Older), antwortet den Kritikern ihres Auftretens mit Zeilen wie "If I wear what is comfortable, I am not a woman / If I shed the layers, I’m a slut" (Not My Responsibility), ekelt sich beim Pornoschauen darüber, dass dort nur der Blick des Mannes befriedigt wird (Male Fantasy), macht sich dann aber auch wieder arrogant über einen männlichen Nichtsnutz (Lost Cause) lustig und inszeniert sich als gefährliche Femme fatale (Oxytocin). Es ist genau diese Ambivalenz zwischen Selbstermächtigung und Kontrollverlust, die der Komplexität des Themas wohl am gerechtesten wird, die auch die Existenz gewisser Grauzonen nicht leugnet.

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Musikalisch ist das sehr durchwachsen: oft schlichtweg fad, dann wieder experimentell mit Ergebnissen, die mal Spuren von Genialität enthalten, mal besser den Weg in den Rundordner gefunden hätten.

Nicht alle ihre Fans werden beim ersten Hören des neuen Albums "happier than ever" sein, aber man muss Billie Eilish zugestehen: Die traut sich was. (Amira Ben Saoud, 31.7.2021)