Verfahrensrichter Wolfgang Pöschl legte 869 Seiten vor.

APA/Fohringer

Man kann ihn getrost eine Schwarte nennen: 869 Seiten hat der "Entwurf des schriftlichen Berichts", den der Verfahrensrichter des Ibiza-U-Ausschusses am Freitag vorgelegt hat. Zerlegt hat Wolfgang Pöschl den Untersuchungsgegenstand in elf Kapitel. Angefangen bei Casinos Austria AG (Casag) und Öbag bis zur Schredderaffäre und der Reform der Finanzmarktaufsicht (FMA).

Der frühere Vizepräsident des Oberlandesgerichts Wien stellt der ÖVP, Sebastian Kurz und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka ein ganz gutes Zeugnis aus. Er schreibt, dass Spenden an die ÖVP in keinem einzigen Fall "Bedingtheit" für bestimmte Postenbesetzungen gewesen seien. Auch fand er keine Hinweise darauf, dass über ÖVP-nahe Vereine wie das von Sobotka gegründete Alois-Mock-Institut verschleierte Parteispenden gelaufen wären. Und: Bei der ÖVP-Schredderaffäre gebe es "keine Anhaltspunkte für Beweismittelvernichtung".

Hintergrunddeal

Weniger erfreulich für Türkis sind die Erkenntnisse des Verfahrensrichters in den Bereichen Glücksspiel und Staatsholding Öbag. Da habe es "massive Anstrengungen" gegeben, den früheren blauen Bezirksrat und Manager Peter Sidlo zum Finanzvorstand der Casinos zu küren. "Motor" sei der damalige blaue Vizekanzler Heinz-Christian Strache gewesen. Er habe wohl "Parteigänger" in Top-Positionen unterbringen wollen, schreibt Pöschl. Eine "substanzielle Beteiligung" des türkisen Kanzlers Kurz sieht er nicht, er vermutet aber, dass dieser "über alle wesentlichen Vorgänge informiert wurde und diese zumindest stillschweigen gebilligt hat".

Penibel zeichnet der Verfahrensrichter die Entstehungsgeschichte der Sidlo-Kür: "Insgesamt ergibt die Bestellung Sidlos (...) und deren Vorgeschichte das Bild einer geradezu unabänderlichen Willensdurchsetzung auf Regierungsebene, gerade diesen Mann in diese Position zu bringen." Dabei ortet er "überaus hohes Engagement" hauptsächlich von Strache, unterstützt worden sei dieser vom damaligen Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) und dessen Kabinettschef und Generalsekretär Thomas Schmid. Mit einem "einfachen Freundschaftsdienst an Sidlo" lasse sich das nicht erklären. Pöschl spricht von "massiver politischer Intervention". Dass es einen "Hintergrunddeal" zwischen Novomatic und der Politik gegeben habe, hält er für "sehr wahrscheinlich". Angemerkt sei, dass das alle Betroffenen bestreiten.

Öbag und Casinos wohl verbunden

Die Causa Casinos/Postenschacher, die das strafrechtlich untersucht, ist das größte Verfahren im Ibiza-Komplex; beschuldigt sind dutzende (Ex-)Politiker und Manager. Es gilt die Unschuldsvermutung.Im Bericht werden auch Chats zitiert, vor der Bestellung Sidlos zum Beispiel auch solche zwischen Strache und der heutigen Casinos-Chefin Bettina Glatz-Kremsner. An sie schrieb Strache im Jänner 2019, dass "bezüglich Peter Sidlo alles auf Schiene ist".

Dass es zwischen der Bestellung Sidlos und jener von Schmid zum Alleinvorstand der Staatsholding Öbag eine Verbindung gab: Davon geht Pöschl aus. Die Junktimierung ergebe sich auch aus einer Zeugenaussage des vormaligen Casinos-Vorstands Alexander Labak. Es erschließe sich nicht, warum dieser falsch aussagen sollte.

Zudem gebe es einen "sehr auffälligen zeitlichen Zusammenhang" und Chats von Schmid, der seinen Einfluss genutzt habe, "um der FPÖ bestimmte Positionen zu ‚geben‘". Heftige Kritik übt der Verfahrensrichter an Schmids Kür zum Öbag-Chef. Schon bei der Vorbereitung und Durchführung der Ausschreibung sei gegen wichtige Grundsätze verstoßen worden, wiewohl die "formellen Bestimmungen des Stellenbesetzungsgesetzes" eingehalten worden seien. Dem zuständigen Finanzminister Löger wirft er vor, trotz "Warnung" in Form einer parlamentarischen Anfrage nichts unternommen zu haben, um einen "auf objektiven Kriterien beruhenden Ausschreibungsvorgang zu gewährleisten".

Herbe Kritik setzt es auch für die letztlich nicht umgesetzte Reform der Finanzmarktaufsicht. Der in Begutachtung geschickte Gesetzesentwurf habe in mehrfacher Hinsicht eine Gefahr für die Unabhängigkeit der FMA dargestellt. Festgemacht wird das im Bericht mit der geplanten Absetzung eines FMA-Vorstandsmitglieds, wobei: Dabei sei "auffällig", dass ausgerechnet das der SPÖ zugerechnete Vorstandsmitglied entfernt werden sollte.

Ein weiteres Kernstück des Berichts sind parteinahe Vereine, die aus dem Ibiza-Video bekannt sind. Dort sprach Strache davon, dass man die FPÖ über Vereine "am Rechnungshof vorbei" finanzieren könne. Mit Blick auf das bekanntgewordene blaue Vereinsnetz hält Pöschl die Annahme für "gerechtfertigt", es handle sich dabei um ein "Umgehungskonstruktion". Er verweist darauf, dass Funktionäre der FPÖ-nahen Vereine immer wieder Kontakt zur Novomatic hatten. Zur Erinnerung: Die Betroffenen wiesen dies zurück, mehrere Verfahren laufen noch. Bekanntester ÖVP-naher Verein im U-Ausschuss: Das Alois-Mock-Institut, einst von Sobotka gegründet. Hier erkennt Pöschl keine heimliche Parteifinanzierung; allerdings könne "nicht ausgeschlossen werden", dass Novomatic die Kooperation mit dem Verein "nützen wollte, um Kontakte zu ÖVP-Politikern zu knüpfen".

Idealistische Spender

Umgehungskonstruktionen habe die ÖVP mit Blick auf die zahlreichen offiziellen Spenden auch nicht nötig gehabt. Die befragten Spender hätten laut Pöschl "überzeugend" ihre Motivation für ihre Spende dargelegt: Unzufriedenheit mit der politischen und wirtschaftlichen Situation während der großen Koalition. Ihnen sei es um den "frischen Wind" gegangen, den Kurz versprochen habe. Anders könnte das laut Pöschl bei der Uniqa-Tochter Premiqamed sein: Es spreche viel dafür, dass deren Spende "begünstigend auf die Willensbildung in der ÖVP einwirken sollte".

Angesprochen ist die Reform des Privatklinikenfinanzierungsfonds (Prikraf), von der die Uniqa-Tochter Premiqamed profitierte. Ihr Aufsichtsratsvorsitzender war bis Dezember 2017 Hartwig Löger. Vor Gericht stehen wegen des Prikraf derzeit Strache und der Privatklinikenbesitzer Walter Grubmüller.

Viel Raum widmet Pöschl auch den Ermittlungen in der Ibiza-Affäre. Im gesamten Verfahren habe es keine Hinweise darauf gegeben, dass auf die Ermittlungen politisch Einfluss genommen wurde. Allerdings habe der U-Ausschuss "ungewo¨hnliche und die Arbeit der WKStA jedenfalls nicht fo¨rdernde, diese aber auch behindernde Verhaltensweisen" von Sektionschef Christian Pilnacek und Johann Fuchs, Chef der Oberstaatsanwaltschaft Wien, zutage gebracht. Das könnte ein Resultat des "zerrütteten" Verhältnisses zwischen den beiden und der WKStA sein, das schon vor dem Ibiza-Video bestand. Keiner der Genannten konnte laut Pöschl "in der Ibiza-Affäre in gegenseitigem Kontakt als unbefangen bezeichnet werden". (Renate Graber, Fabian Schmid, 30.7.2021)