Christian Lindner könnte auf den Souverän verweisen und sagen: "Lassen Sie uns doch erst mal die Bundestagswahl am 26. September abwarten." Oder auch: "Mein Ziel für den Wahltag ist eine noch stärkere FDP."

Seine Sommertour führte FDP-Chef Christian Lindner vom Norden in den Süden Deutschlands. Nicht nur auf der Ostseeinsel Fehmarn (Schleswig-Holstein) warnte er vor Steuererhöhungen und einem neuen Lockdown.
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Was viele eben bei Wahlkampfveranstaltungen so von sich geben, wenn die Frage nach Koalitionsoptionen auftaucht. Doch derlei Ausweichen gibt es beim FDP-Vorsitzenden nicht.

"Jawohl, wir wollen gerne regieren", betonte er dieser Tage bei seiner Sommerreise im Ostseebad Zingst (Mecklenburg-Vorpommern). Auch im ARD-Sommerinterview erklärte er, nach der Bundestagswahl Verantwortung übernehmen zu wollen. Denn: "Die Aufgaben, die in den kommenden Jahren vor uns liegen, sind enorm."

42 Jahre alt ist Lindner, regiert hat er noch nie. Er war Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen, Generalsekretär der FDP und erlebte im Herbst 2013 den größten Schock seiner politischen Karriere. Damals flogen die Liberalen aus dem Bundestag.

Jahrhundertchance 2017

Wenig später übernahm Lindner die desolate Partei und führte sie 2017 zurück ins Parlament. Es hätte damals ein ganz großer Sprung werden können, denn die wiederauferstandenen Liberalen wurden von Kanzlerin Angela Merkel auch gleich zu Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen eingeladen.

Doch diese kam nie zustande, Lindner ließ die Verhandlungen platzen. "Es ist besser, nicht zu regieren, als fasch zu regieren", erklärte er. Daraufhin geisterte das Wort "lindnern" als neue Wortschöpfung durch Berlin. Gemeint war: nicht Verantwortung übernehmen wollen. Lindner hing das lange nach.

Doch jetzt, vier Jahre später, ist alles anders. Die FDP will regieren, Lindner Finanzminister werden. Eine Wunschkoalition mit einem Wunschpartner hat er auch: Schwarz-Gelb, also Union und FDP, unter Führung eines Kanzlers Armin Laschet (CDU). Die beiden können gut miteinander, sie haben die schwarz-gelbe Koalition in Nordrhein-Westfalen ausverhandelt. Lindner bezeichnet Laschet als "politischen Freund".

Doch der Traum hat einen großen Haken: Es wird rechnerisch wohl nicht für ein schwarz-gelbes Bündnis reichen. Auch wenn die lange schwächelnde FDP zuletzt einiges zugelegt hat.

Aufholen in Umfragen

Zu Beginn der Pandemie, im Frühjahr 2020, lag sie zeitweise bei sechs Prozent und damit weit unter ihrem Ergebnis der Bundestagswahl 2017 (10,7 Prozent). Während des ersten Lockdowns, als Zusperren und Beschränkungen noch als wirksamstes Mittel gegen Corona galten, hatte es die FDP mit ihrem Credo von den Freiheitsrechten nicht einfach. Nun aber, da die Deutschen die Beschränkungen endlich abschütteln wollen, finden die Liberalen wieder sehr viel mehr Gehör. In Umfragen liegen sie bei zwölf Prozent.

Derzeit sieht es so aus, als ginge die Union bei der Wahl am 26. September als stärkste Kraft hervor. Sie liegt in Umfragen bei 29 Prozent, die Grünen folgen mit zehn Punkten Abstand und sind nur noch drei Punkte vor der SPD. Reicht es für Schwarz-Grün nicht, käme es wohl zu einem neuen Anlauf für Jamaika, und Lindner könnte sich mit Grünen-Chef Robert Habeck um das Finanzministerium streiten.

Neuerdings aber ist von einer weiteren Option die Rede: der sogenannten "Deutschland-Koalition". Sie würde aus den Farben Schwarz, Rot, Gelb bestehen, die FDP säße also mit Union und SPD im Boot. Das Nachsehen hätten die Grünen, sie wären weiter in Opposition.

Sachsen-Anhalt als Modell

"Deutschland-Bündnisse" gab es auf Landesebene in den 1950er-Jahren im Saarland, in Berlin und Bremen. Derzeit existieren sie nur auf Kommunalebene. Allerdings verhandeln Union, SPD und FDP gerade in Sachsen-Anhalt. Dort könnten Schwarz und Rot auch alleine regieren, aber nur mit einer Stimme Mehrheit, was Ministerpräsident Reiner Haseloff zu instabil ist.

Ein Modell für eine bundesweite "Deutschland-Koalition" sieht darin Alexander Dobrindt, Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag. Dies hätte "Charme, schon deshalb, weil es eine Regierungsoption ohne Beteiligung der Grünen wäre", sagt er im Spiegel.

Wenig begeistert hingegen zeigen sich die Sozialdemokraten. Diese jedoch könnten Union und FDP mit der Zustimmung für eine zweite Amtszeit für Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ködern. Der stammt aus der SPD und möchte 2022 wiedergewählt werden.

Für Lindner jedoch sind Jamaika aus Union, Grünen und FDP sowie die Deutschland-Koalition aus Union, SPD und FDP "gleichwertige Optionen". Nicht bereit ist er für eine "Ampel" (Grüne, SPD, FDP). Bei seiner Sommerreise hat er das so formuliert: "Frau Baerbock wird nicht Kanzlerin. Olaf Scholz wird auch nicht Kanzler." (Birgit Baumann aus Berlin, 3.8.2021)