Mina versucht seit Minuten, ein Holzstäbchen in die Erde zu stecken, doch es fällt jedes Mal um. Die Mittagshitze bringt Jerusalem zum Glühen, und der Olivenbaum, unter dem die 16-Jährige sitzt, ist für die Sonnenstrahlen eher Sieb als Schirm. Mina hat Schulferien, sie könnte zu Hause im klimatisierten Zimmer sitzen oder schwimmen gehen. Stattdessen hat sie frühmorgens den Bus genommen, um aus dem Norden Israels ins 120 Kilometer entfernte Jerusalem zu fahren und vor dem Obersten Gerichtshof zu demonstrieren.

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Mitglieder der El-Kurd-Familie, denen die Vertreibung aus Sheikh Jarrah droht, waren mit Unterstützerinnen und Unterstützern im Gerichtssaal.
Foto: REUTERS/Ronen Zvulun

Im Höchstgericht kämpfen vier Ostjerusalemer Familien um das Recht, weiter in ihren Häusern zu wohnen. Mina kennt sie nicht persönlich, aber sie unterstützt ihre Anliegen, denn diese stünden symbolisch auch für ihren eigenen Kampf: "Es geht um meine palästinensische Heimat", sagt Mina. Am Ende des Holzstäbchens, das sie im Park vor dem Höchstgericht in die Erde stecken will, ist eine kleine Palästinaflagge befestigt.

Siedler gegen Palästinenser

Das israelische Höchstgericht sollte am Montag über eine Frage entscheiden, die seit Jahren Proteste und im Mai gar einen Waffenkonflikt mit Gaza provozierte. Es geht um die umstrittenen Zwangsräumungen mehrerer Wohnhäuser im Ostjerusalemer Stadtteil Sheikh Jarrah. Jüdische Siedler beanspruchen die Häuser, sie berufen sich auf Restitutionsansprüche, weil die Grundstücke vor der Staatsgründung in jüdischem Besitz gewesen seien. Zwei Gerichte hatten diese Ansprüche bereits bestätigt und Räumungen angeordnet, die dann aber laufend verschoben wurden.

Für die vier Familien, die von der Entscheidung unmittelbar betroffen sind, geht es nicht nur um ihr Zuhause. Die ältere Generation erlebt es auch als ein Wiederaufreißen jener Wunde, die der Verlust ihrer Häuser im Unabhängigkeitskrieg 1948 hinterlassen hatte. Von Jordanien bekamen sie neue Wohnstätten in Ostjerusalem zugewiesen, in die sie in den 1950er-Jahren einzogen. Seither lebe sein Großvater dort, schreibt der prominente palästinensische Aktivist Mohammad Al-Kurd am Montagmorgen auf Twitter. So wie seinem Großvater gehe es Tausenden anderen auch. Was die Gerichtsverhandlung betrifft, habe er "null Vertrauen, aber ein wenig Hoffnung". Sein Tweet wurde über 10.000-mal gelikt.

Trügerische Ruhe

Seit dem Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas ist es nur scheinbar ruhig geworden um den Konflikt, der im Mai die Straßen in Jerusalem und in vielen gemischt bevölkerten Städten Israels brennen ließ. Jeder Funke könnte das Feuer erneut anfachen.

Höchstrichter Isaak Amit bemüht sich am Montag um eine "pragmatische Lösung": Die Bewohner sollen Kündigungsschutz erhalten, zugleich aber den jüdischen Besitzanspruch anerkennen, schlägt er vor.

Dem steht ein neues Gutachten der Immobilienrechtlerin Ronit Levine-Schnur entgegen, aus dem hervorgeht, dass die palästinensischen Bewohner im Jahr 1967 einen Termin für die Grundbucheintragung hatten – der Rechtsakt sei nur durch den Ausbruch des Sechstagekriegs verhindert worden. An der Tatsache, dass die palästinensischen Familien die rechtmäßigen Eigentümer sind, ändere das nichts, argumentiert die Juristin. Ob sich die Richter dem anschließen, bleibt offen. Die Verhandlung wurde vertagt.

Im Park vor dem Gericht rufen die Demonstranten: "Es reicht mit der Besatzung!" Als israelische Araberin ist die 16-jährige Mina hier in der Minderheit: Es sind fast nur jüdische Aktivisten gekommen. Itamar, ein Student aus Jerusalem, ist einer von ihnen. Für ihn geht es ums große Ganze. "Israel muss aufhören, jüdische Siedler zu bevorzugen und Palästinenser zu benachteiligen", sagt er, dessen Familie mütterlicherseits schon seit dem 19. Jahrhundert in Jerusalem lebt.

Neues Selbstbewusstsein

Der Raketenhagel, dem Israel im Mai ausgesetzt war, ist zwar vorüber. Was aber bleibt, ist der Nachhall dessen, was manche als "palästinensischen Frühling" bezeichnen: ein neues palästinensisches Selbstbewusstsein, das auch viele junge israelische Araber umfasst. Während aus dem Megafon der Ruf nach mehr Rechten für Palästinenser erschallt, erklärt Mina leise, was sie sich konkret vorstellt: einen palästinensischen Staat, "vom Fluss bis zum Meer". Den Staat Israel "wird es dann nicht mehr geben". (Maria Sterkl aus Jerusalem, 2.8.2021)