Alexander Apeikin: "Von denen, die sich offen gegen das Regime gestellt haben, bekamen die meisten Probleme."

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Kristina Timanowskaja trifft in der polnischen Botschaft in Tokio ein.

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Der ehemalige Handballer und Vereinsmanager Alexander Apeikin hat die Belarusian Sport Solidarity Foundation (BSSF) mitinitiiert. Er verfasste gegen Diktator Alexander Lukaschenko einen Protestbrief, der von hunderten Sportlerinnen und Sportlern unterschrieben wurde. "Dieser Protest ist besonders wichtig", sagt Apeikin, "weil Sportstars bekannt und Vorbilder sind."

Der 35-Jährige ist ins Ausland geflohen, hält sich mehrheitlich in Kiew und Vilnius auf. Von dort aus bemüht sich die BSSF, Sportlerinnen und Sportlern zu helfen, die in Belarus Probleme bekommen. Auch der Sprinterin Kristina Timanowskaja, die in Tokio zur Heimreise nach Minsk gezwungen werden sollte, sich dagegen wehrte und von Polen ein humanitäres Visum erhielt, steht Apeikin beratend zur Seite.

STANDARD: Wie haben Sie die Situation um Timanowskaja mitbekommen?

Apeikin: Sie hat ihre Trainer über Instagram kritisiert. Kristina wurde ohne ihr Wissen für die 400-m-Staffel aufgestellt, das ist absurd, das ist gar nicht ihre Strecke. Sie ist Sprintspezialistin, läuft über 100 und 200 Meter wirklich gut. Aber 400 Meter, das ist ganz etwas anderes. Darauf war sie auch gar nicht vorbereitet.

STANDARD: Welche Folgen hatte diese Kritik an den Trainern?

Apeikin: Kristina ist mit einem Schlag enorm unter Druck geraten. Sie hatte sogar ein Gespräch mit dem Sportminister. Ihre Trainer haben ihr mitgeteilt, dass sie die Koffer packen und heimreisen muss. Und dass der Befehl von ganz oben gekommen sei. Also von Alexander Lukaschenko persönlich.

STANDARD: Wäre das nicht anders zu lösen gewesen?

Apeikin: Das Regime hat aus einem Schneeball, nein, aus einer Schneeflocke eine Lawine gemacht. Kristina ist von den staatlichen Medien als Staatsfeindin verunglimpft und heftig kritisiert worden. Da hat sie registriert, dass sie besser nicht mehr nach Belarus zurückkehrt, weil es dort nicht sicher ist für sie, sondern gefährlich.

STANDARD: Hat sie Familie in Belarus?

Apeikin: Ihr Mann hat das Land auch schon verlassen, noch am Sonntag, wenn ich richtig informiert bin. Gott sei Dank hat das funktioniert, das war ein großes Glück, er hätte nicht länger warten dürfen.

STANDARD: Wie stellt sich ganz allgemein die Lage des Sports in Belarus momentan dar?

Apeikin: Für viele Sportlerinnen und Sportler ist es sehr schwierig. Von denen, die sich offen gegen das Regime gestellt haben, bekamen die meisten Probleme. Sie haben ihren Job, die finanziellen Grundlagen und Trainingsmöglichkeiten verloren. Nicht wenige wurden eingesperrt, es gab auch Folterungen.

STANDARD: Und die anderen? Jene, die jetzt etwa zu den Olympischen Spielen gereist sind?

Apeikin: Die muss und kann man auch verstehen. Die Teilnahme an Olympischen Spielen ist ein Lebenstraum. Emotional sind viele von ihnen deshalb hin und her gerissen.

STANDARD: Einige Länder haben Timanowskaja ein Visum angeboten, allen voran Polen und Tschechien. Auch führende Politiker in Slowenien und Frankreich schickten positive Signale. Aus Österreich ist nichts gekommen, obwohl die Läuferin hier seit 2019 immer wieder trainiert. Was sagen Sie dazu?

Apeikin: Das ist die Entscheidung Österreichs, ich will Österreich dafür nicht kritisieren. Es stand allen Ländern frei, etwas zu tun oder nicht.

STANDARD: Welche Rolle spielte das IOC?

Apeikin: Das IOC hat sich eingemischt, als Kristina Hilfe brauchte. Das muss man anerkennen.

STANDARD: Heuer hat es lange so ausgesehen, als würde die Eishockey-A-WM gemeinsam von Minsk und Riga ausgerichtet. Dann wurde Belarus die WM im letzten Moment entzogen.

Apeikin: Eishockey-WM-Spiele in Minsk wären ein katastrophales Zeichen gewesen. Ein Verrat an allen, die für Freiheit und Demokratie auf die Straße gehen. Die Eishockey-WM hätte Lukaschenko legitimiert.

STANDARD: Wovon träumen Sie, worauf hoffen Sie?

Apeikin: Ich hoffe auf Neuwahlen und dass es vielleicht eine Übergangsregierung gibt. Was in Belarus passiert, ist kein Protest gegen Russland, auch keine proeuropäische Demonstration. Es ist ein Protest gegen einen Mann, gegen Lukaschenko, mit dem 90 Prozent der Bevölkerung nicht mehr leben wollen. (Fritz Neumann, 3.8.2021)