Christian Thielemann dirigiert noch am Dienstag in Salzburg und am 10. 8. dann in Bayreuth

Matthias Creutziger

Als einem der Dirigenten unserer Tage müsste Christian Thielemann die Sympathie jedes großen Orchesters dauerhaft entgegenstrahlen. Klangkörper müssten sich glücklich schätzen, ihn engagieren zu können. Die Wiener Philharmoniker tun es ja auch. Mit ihnen hat der Deutsche in der konzertfreien Corona-Zeit im Musikverein das Aufnahmeprojekt "alle Bruckner-Symphonien" glänzend weitergeführt. Am Sonntag dirigierte er die Wiener auch bei den Salzburger Festspielen. Nebst Bruckners Siebenter trug man Elīna Garanča durch Gustav Mahlers Rückert-Lieder.

Würde das philharmonische Modell einen Chefdirigenten vorsehen, wäre Thielemann mittlerweile womöglich aber doch kein Kandidat. Es könnte Bedenken auslösen, dass immer dort, wo Thielemann eine feste künstlerische Bindung einging, selbige mit Konflikten aufgeladen ihr Ende fand.

Keine Verlängerung in Dresden

Zuletzt war da was mit der Staatskapelle Dresden: Die SZ nannte es gar einen "Rausschmiss", dass Thielemanns Vertrag als Chefdirigent von der Kulturpolitik nicht über 2023/2024 verlängert wurde. Gerüchteweise habe das Orchester bereits vor Jahren entschieden, nicht bis in alle Ewigkeit mit dem Dirigenten arbeiten zu wollen.

Ein Blick auf Thielemanns Karriere in Kulturinstitutionen legt eine Art tragische Kontinuität nahe. In Berlin, nach einer berechtigten Diskussion rund um den Wunsch, mehr Geld für sein Orchester zu erhalten, erklärte Thielemann 2004 seinen Rücktritt als Musikdirektor der Deutschen Oper. Die Stadt sah sich außerstande, dem Geldwunsch zu entsprechen; so wurde Thielemann Chef der Münchner Philharmoniker.

Interessantes auch dort. Es beschloss die Politik 2009, den Vertrag mit ihm nicht über 2011 zu verlängern. Thielemann habe einen angebotenen Vertrag nicht akzeptiert. Gemunkelt wurde auch über "Launen" und "Machtallüren" bei gleichzeitiger Abwesenheit etwa bei Probespielen.

Salzburgs Retter

Es konnte Thielemann egal sein, die Dresdner Staatskapelle war zur Stelle. Mit ihr "rettete" er – nach Weggang der Berliner Philharmoniker – gleichsam auch die Salzburger Osterfestspiele, um ab 2015 zusätzlich in Bayreuth Musikdirektor zu werden. In einer für ihn geschaffenen Position.

Das alles ist jedoch Ruhm von gestern. Bei den Osterfestspielen sind die Dresdner und Thielemann bald weg, es übernimmt Nikolaus Bachler, den Thielemann nicht neben sich als künstlerischen Leiter akzeptieren wollte. Die mutmaßliche Forderung "ich oder Bachler" ging für den Dirigenten ungünstig aus.

Raten und belehren

Und Bayreuth? Da spricht Katharina Wagner gerade von konstruktiven Gesprächen über Thielemanns Zukunft am Grünen Hügel. Noch ist nichts entschieden. Womöglich spielen aber auch Erinnerungen eine sehr konstruktive Rolle: Thielemann soll nicht nur großartig dirigiert, sondern auch Kollegen dreingeredet haben. Andris Nelsons etwa reiste ab, statt die Premiere von Parsifal zu dirigieren. Thielemann habe sich zu sehr in Proben eingemischt.

Spannender ist denn auch nun die Frage, wie Thielemann mit der nahenden Freiheit umgehen wird. Vielleicht erkennt er, dass die Konzentration auf Künstlerisches samt einer angebrachten Weitung des Repertoires mehr wiegt, als in Strukturen zu arbeiten, die Macht versprechen, allerdings auch Alltagslast und Organisatorisches bedeuten. Man konnte sich auch einen Dirigenten wie Carlos Kleiber nicht als machtvollen Funktionär in der Art Karajans vorstellen. Andererseits ist die jahrelange kontinuierliche Arbeit mit einem Orchester oft Quelle besonderer Momente.

Abwarten. Wer Thielemann mit leeren Händen dastehen sieht, könnte von dessen Wendigkeit überrascht werden. Pultdiktatoren haben natürlich ausgedient, Offenheit für Regiekonzepte ist nötig wie auch kollegiale Diplomatie. Gerade beim Letzten passierte Interessantes: Thielemann zitierte Kanzler Adenauer ("Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern!") und lobte plötzlich den Gedankenaustausch mit dem neuen Chef der Osterfestspiele ("Bei Bachler und mir fließt es"), der eine Rückkehr Thielemanns nach Salzburg – in welcher Form auch immer – nicht ausschloss. Und was als "Rausschmiss" aus Dresden tituliert wird, nennt Thielemann nun "Zeitgewinn".

Von diesem könnten die Wiener Philharmoniker und die Staatsoper profitieren. Aber auch – falls die Gespräche in Bayreuth nicht so konstruktiv laufen, was man nicht hofft – die Salzburger Festspiele, bei denen Thielemann auch am Dienstag Garanča durch Mahlers Rückert-Lieder leiten wird. Konzertkritik folgt am Mittwoch. (Ljubiša Tošic, 3.8.2021)