Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stoppte eine Abschiebung per einstweiliger Verfügung.

Foto: imago images/viennaslide

Wien – "Wir werden weiter nach Afghanistan abschieben", das haben Kanzler Sebastian Kurz und Innenminister Karl Nehammer (beide ÖVP) in den vergangenen Wochen mehrmals betont. Zuvor hatte die afghanische Regierung appelliert, Abschiebungen aufgrund des Vormarschs der Taliban für drei Monate auszusetzen.

Schweden, Finnland und Norwegen waren der Bitte gefolgt. Nicht so Österreich und Deutschland: Am Dienstagabend hätte ein Abschiebeflug Wien nach Kabul stattfinden sollen, der aber unter anderem am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) scheiterte. Dieser intervenierte für einen Afghanen, der abgeschoben hätte werden sollen, und beauftragte die heimischen Behörden mit Blick auf die geänderte Sicherheitslage in Afghanistan, noch einmal genau zu prüfen, ob bei einer Abschiebung unmenschliche Behandlung drohen würde. Von München aus sollte am Dienstagabend ebenfalls ein Abschiebflug nach Kabul gehen – ob die beiden Rückführungen zusammenhängen ist unklar. Bei den Innenministerien wollte man sich dazu nicht äußern.

Ein Sprecher des österreichischen Innenressorts betonte stattdessen, dass alle Fälle vor der Abschiebung evaluiert würden, so auch dieser. In diesem Einzelfall fließe nun der EGMR-Spruch ein, es gehe um einen Aufschub bis Ende August. Die einstweilige Verfügung stelle kein "pauschales Verbot" von Abschiebungen nach Afghanistan dar

Frontex setzt aus

Interessant ist die Abschiebung auch, weil die europäische Grenzschutzagentur Frontex, die normalerweise die Flugzeuge für Abschiebungen chartert und bei der Abwicklung assistiert, am 17. Juli die EU-Mitgliedsstaaten informiert hatte, dass temporär keine Abschiebeflüge nach Afghanistan organisiert werden. Das bestätigte ein Frontex-Sprecher dem STANDARD. Österreich muss die für Dienstag angesetzte Abschiebung also allein oder in Zusammenarbeit mit Deutschland geplant haben. Dazu will man sich im Innenministerium nicht äußern.

"Es wird Ihnen mitgeteilt, dass Sie am 3.8.2021 abgeschoben werden", heißt es in der behördlichen Information an den erwähnten Afghanen, die dem STANDARD vorliegt. Ankunft in Kabul war für 4. August 6.30 Uhr geplant. Wie viele Menschen die gleiche Nachricht bekommen haben, ist unklar. In Deutschland jedenfalls haben sie laut der NGO Pro Asyl ebenfalls einige afghanische Asylwerber erhalten.

Am Dienstagvormittag erreichte dann die Deserteurs- und Flüchtlingsberatung, die den Afghanen in Österreich rechtlich vertritt, die Nachricht des EGMR. "Der Antragsteller darf bis 31. August nicht aus Österreich abgeschoben werden", heißt es darin. Das Menschenrechtsgericht stellt den österreichischen Behörden unter anderem folgende Frage: "Wie plant Ihre Regierung angesichts der Entscheidung der afghanischen Regierung, Abschiebungen von 8. Juli bis 8. Oktober nicht zu akzeptieren, die aktuell für 3. August vorgesehene Abschiebung durchzuführen?" Diese Frage ist relevant, weil ein Abschiebeflugzeug ohne die Zustimmung Afghanistans gar nicht am Flughafen in Kabul landen kann.

DER STANDARD

Außerdem, so der EGMR, sei bis 30. August zu klären, ob bei einer Abschiebung Artikel 3 der EMRK, das Verbot von Folter und unmenschlicher Behandlung, verletzt würde. Beide Fragen wollten die Sprecher des Innenressorts dem STANDARD nicht beantworten.

Prüfung im Hauptverfahren

"Das ist natürlich toll, weil das, obwohl es eine Einzelfallentscheidung ist, eine Signalwirkung bezüglich der Sicherheitslage in Afghanistan hat", freut sich eine Rechtsvertreterin der Deserteurs- und Flüchtlingsberatung. Ob sich im Zuge dessen auch herausstellen wird, wie es die österreichischen und deutschen Behörden geschafft haben, die afghanische Regierung dazu zu bringen, eine Abschiebung zu akzeptieren, bleibt offen.

Das wissen aktuell nur die beteiligten Beamtinnen und Beamten. Zu dem generellen Vorhaben, bei der aktuellen Sicherheitslage nach Afghanistan abzuschieben, sagt Karl Kopp, einer der Leiter der NGO Pro Asyl: "Das ist natürlich reine Symbolpolitik. Man will Härte zeigen, aus innenpolitischen Motiven." Ob auch die Abschiebung aus Deutschland abgesagt ist, wollte das deutsche Innenministerium nicht beantworten. (Johannes Pucher, 3.8.2021)