Der von der WKStA beauftragte Gutachter sieht die Geschäftsgebarung der Wienwert-Gruppe sehr kritisch, Exchef Stefan Gruze sieht es anders.

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Die strafrechtlichen Ermittlungen sind umfangreich, die in der Insolvenz angemeldeten Forderungen ebenso (Ende 2020 waren es 19,5 Millionen Euro) – und auch das funkelnagelneue Gutachten des Sachverständigen kann man getrost einen Wälzer nennen: 489 Seiten hat die Expertise, die Gutachter Matthias Kopetzky im Juli zur Causa Wienwert vorgelegt hat. In der Angelegenheit ermittelt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen 22 Beschuldigte. Der Verdacht: Untreue, betrügerische Krida, schwerer Betrug, Bilanzfälschung, Korruption und Verletzung des Amtsgeheimnisses. Für alle hier Genannten gilt die Unschuldsvermutung.

Anfang 2018 war der Immobilienentwickler mit Sitz in Wien unter großem Getöse pleite gegangen. Das private Unternehmen konnte Anleihen, für die es Zinssätze bis um die sieben Prozent versprochen hatte, nicht rückzahlen. Einer der Beschuldigten ist der letzte Wienwert-Vorstandschef Stefan Gruze, der 2016 in den Chefsessel gekommen war. Seit einer Umfirmierung 2016 war die WW Holding AG die Muttergesellschaft der Wienwert AG. Pleite sind beide.

Anleihe-Kreislauf

Der Gutachter zerpflückt die Gebarung der Immounternehmer, zu denen auch die Gründer gehörten, die, wie Gruze, auch Miteigner waren. Er attestiert ihnen bei der Finanzierung via Anleihen wörtlich eine "Loch-auf-Loch-zu-Politik". Im Gutachten heißt es so: "Spätestens ab 2013, als erste Tilgungen von schon begebenen Anleihen zu refinanzieren waren, hatten neu aufgenommene Anleihegelder auch den Zweck, Anleiheverbindlichkeiten wieder zurück zu zahlen." Zuletzt waren Anleihen im Volumen von 38 Mio. Euro gezeichnet.

Für die wurde auch mit dem Argument geworben, dass sie mit Wienwert-Immobilien abgesichert seien – doch auch da kommt der Gutachter zu anderen Schlüssen. Von den in Summe jemals eingetragenen Pfandrechten von 15,5 Mio. Euro seien nur 59.100 Euro treuhändisch zugunsten von Anleihegläubigern hinterlegt worden: 0,38 Prozent aller Pfandrechte. Kurzum: "Die Sicherungswirkung kann betriebswirtschaftlich betrachtet daher getrost als nicht existent beschrieben werden. (…)" Die Treuhandkonstruktion der früheren Manager, in die ein Rechtsanwalt eingebunden war, hält der Gutachter – vorbehaltlich richterlicher Würdigung, wie er betont – für ein "Feigenblatt", das dazu gedient habe, den Anleihezeichnern eine "Scheinsicherheit" zu vermitteln.

Begehrlichkeiten der Chefs

Äußerst kritisch würdigt der Sachverständige auch die Einkommensgestaltung für Vorstand und Aufsichtsrat – dies im Kapitel "Vermögensabflüsse aus der Wienwert-Gruppe zulasten der Gläubiger bzw. Gesellschafter in die private Sphäre der Beschuldigten (…)". Penibel errechnete er anhand der Buchhaltungsunterlagen die Vorstandsvergütungen von 2010 bis Ende 2017, setzte sie in zeitlichen Bezug zu Emissionen und konstatiert Folgendes: "Das Instrument der Anleihen als Geldbeschaffung (…) scheint auch erhebliche Auswirkungen auf die remunerativen Begehrlichkeiten auf Vorstandsebene gehabt zu haben".

Gruze sei in nur zwei Jahren eine fast gleich hohe Akkumulierung von Vorstandsremunerationen gelungen, für die seine Vorgänger immerhin noch fünf Jahre gebraucht hätten, lässt sich in der Expertise nachlesen. Und zwar in einem Unternehmen, das seit 2016 als "Abbaugesellschaftsgruppe" betrieben worden sei.

Verdient wie die Großen

2017 betrug Gruzes Jahresfixgehalt demnach 600.000 Euro brutto. Der Sachverständige verglich das mit den Chefgehältern bei den Immobilien-Branchenriesen. Der Chef der börsennotierten Immofinanz (Bilanzsumme fast sechs Milliarden Euro) etwa habe gleich viel wie der Wienwert-Chef bekommen, nur der Vorstandsvorsitzende der Buwog (Bilanzsumme: rund vier Mrd. Euro) habe mit 720.000 Euro im Jahr mehr kassiert.

Wobei die Bilanzdaten der kleinen Wienwert in der Grafik nicht aufscheinen. Nicht weil sie vergessen wurden, wie Kopetzky schreibt, sondern weil sie "im Vergleich dermaßen minimal waren". Conclusio des Gutachters: Diese Gehaltsvorstellungen seien "in faktisch völliger Absenz eigener Umsätze in relevantem Umfang de facto zu 100 Prozent von Anleihegläubigern zu bezahlen gewesen". Die seien wohl eher davon ausgegangen, dass ihre Mittel in Immobilieninvestitionen fließen würden, meint er.

Gruze vom Geschäftsmodell überzeugt

Die Höhe der gesamten Überzahlungen an die Vorstände der Wienwert-Gruppe (in Relation zu vergleichbaren KV-Gehältern) allein ab Jänner 2016 ist im Gutachten mit bis zu 1,46 Mio. Euro ausgewiesen. Gruzes Anwalt Norbert Wess sieht es anders. Die Vorstandsvergütungen an Gruze seien vom Aufsichtsrat beschlossen und marktüblich gewesen, sie hätten Gruzes bisherigen Einkommensverhältnissen entsprochen.

Und die Sache mit der "Loch-auf-Loch-zu-Strategie"? Da verweist Gruzes Anwalt auf die Offenlegung in den Wertpapierprospekten. Zudem sei Gruze immer von dem von ihm neu aufgesetzten Geschäftsmodell überzeugt gewesen und habe stets ausgewiesene Experten als Berater beigezogen, erklärt Wess. Ein paar von ihnen haben sich inzwischen als Beschuldigte im Verfahren wiedergefunden. Als sich die Begleitumstände "leider nachhaltig verändert haben", sei Gruze laut Wess' Stellungnahme seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen – und habe die Insolvenz angemeldet. (Renate Graber, 4.8.2021)