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So sieht es, schematisch betrachtet, aus, wenn Corona angreift.

Foto: Getty Images/Science Photo Libra

Die Antikörper sind der Marker, um den sich alles dreht. Hat man ausreichend davon, ist man vor einer Infektion gut geschützt, doch ihre Zahl nimmt im Laufe der Zeit ab. Liegt die Impfung bereits einige Monate zurück, sind weniger nachweisbar. Das ist auch der Grund dafür, warum sich Israel jetzt dazu entschlossen hat, die Generation 60 plus ein drittes Mal zu impfen, wenn der Zweitstich bereits fünf Monate zurückliegt. Neueste Zahlen dort zeigen nämlich, dass der Impfschutz gegen Delta nur noch rund 40 Prozent betragen soll.

Warum die israelischen Daten einen so stark gesunkenen Schutz nahelegen, ist schwer zu sagen. Ganz neue Zahlen aus einer großen React-1-Studie in Großbritannien, durchgeführt unter anderem von der School of Public Health am Imperial College London mit rund 100.000 Probandinnen und Probanden, sehen nämlich nach wie vor einen Schutz von 59 Prozent vor symptomatischen Infektionen, rechnet man die Wirkung der Vakzine von Biontech/Pfizer und Astra Zeneca zusammen. Viel wichtiger aber: Der Schutz vor schweren Verläufen ist enorm hoch, er liegt bei rund 90 Prozent. Das zeigen auch die Zahlen hierzulande, die Österreichische Agentur für Ernährungssicherheit (Ages) hat 91 Prozent Schutz vor schweren Verläufen nach vollständiger Impfung errechnet.

Doch in der Diskussion um die Antikörper wird vergessen, dass sie nicht der alleinige Schutz sind, den unser Immunsystem zu bieten hat. Ein Kontakt mit dem Virus, durch Erkrankung oder durch Impfung, regt auch die Bildung von Gedächtniszellen an. Sie sind quasi das Erinnerungsvermögen der Körperabwehr, erkennen ein eindringendes Virus und sorgen dafür, dass neutralisierende Antikörper gebildet werden.

Zwei Säulen des Immunsystems

Doch wie genau entsteht Immunität? Grob vereinfacht aus zwei Komponenten, die untrennbar miteinander verbunden sind: den Antikörpern und der zellulären Immunantwort durch die sogenannten T-Zellen, die unter anderem die Gedächtniszellen produzieren.

Sobald das Immunsystem mit Viruspartikeln in Berührung kommt, startet die Produktion von beiden. Die Antikörper binden an das Spike-Protein und verhindern so, dass das Virus in die Zelle eindringt. Man findet sie im Blut, dort können sie auch mit sogenannten Neutralisationstests oder Surrogattests, die zahlreiche Labore anbieten, gemessen werden. Weniger empfehlenswert sind dagegen Antikörper-Schnelltests für zu Hause. Die liefern zwar Ergebnisse schon in 15 Minuten, aber die Aussagekraft ist sehr gering.

Auch die Produktion der Gedächtniszellen wird angeregt. Ihre Aufgabe ist, wie der Name schon sagt, sich das Virus zu merken und, wenn es erneut auftaucht, die Immunantwort des Körpers zu beschleunigen.

Das Problem ist, dass die Antikörper mit der Zeit weniger werden. Das Immunsystem hat aber eben noch das Ass der Gedächtniszellen im Ärmel, wie Ralf Braun, Professor für Biochemie an der Danube Private University (DPU) in Krems, weiß: "Nur weil die Antikörper weniger werden, heißt das nicht zwingend, dass man nicht mehr immun ist." Wird das Virus den Gedächtniszellen nämlich ein weiteres Mal präsentiert, werden die Antikörper wesentlich schneller produziert als bei einer Erstinfektion oder nach einer Impfung.

Gute Immunantwort trotz Impfdurchbrüchen

Das zeigt sich nun auch mit zunehmendem Impffortschritt. Zuletzt wurden die Impfdurchbrüche stark diskutiert, in Österreich sind laut Ages 1.656 symptomatische Erkrankungen nach vollständiger Impfung bestätigt. Diese Zahl ist an sich sehr gering, sie macht 0,6 Prozent der gesamt gut 266.000 Covid-Infektionen im Jahr 2021 aus. Was allerdings wesentlich wichtiger ist: Zu 91 Prozent schützt die Impfung vor einem schweren Verlauf. Das liegt auch an den Gedächtniszellen, die selbst wenn nicht mehr so viele Antikörper vorhanden sind, sofort deren Produktion wieder aktivieren.

Und diese Gedächtniszellen bilden sich auch durch die Impfung und tragen so stark zur langanhaltenden Immunantwort bei. Man weiß nicht genau, wie viele dieser Gedächtniszellen die einzelnen Personen haben beziehungsweise brauchen. Sie nachzuweisen ist nämlich sehr aufwendig. Aber Braun betont, man könne davon ausgehen, dass sie ihre Arbeit machen, auch langfristig: "Wahrscheinlich sind trotz der Abnahme der Antikörper weiterhin die meisten Menschen immun, solange sich das Virus nicht allzu sehr verändert."

Wie lange dieses Immungedächtnis erhalten bleibt, kann man noch nicht sagen, dafür fehlen logischerweise die Daten. Doch die Annahme ist gerechtfertigt, dass es über einen sehr langen Zeitraum bestehen bleibt, wie der Immunologe Johannes Huppa von der Med-Uni Wien mit einem Vergleich erklärt: "Die überwiegende Mehrheit von Probanden, die vor 18 Jahren an Sars erkrankt waren, hat heute immer noch Sars-reaktive T-Zellen. Das heißt, das immunologische Gedächtnis ist zumindest für das Schwester-Coronavirus sehr langlebig. Ich vermute das Gleiche für Sars-CoV-2."

Dazu kommt, so Huppa, dass die T-Zellen, die die Gedächtniszellen bilden, weniger anfällig für Virusmutationen sind. Sie erfassen nämlich in ihrer Gesamtheit das Virus in einer viel größeren Breite molekular, als Antikörper das tun. Was wiederum heißt, dass sie sehr wichtig sind für die bleibende Immunität bei potenziellen neuen Virusmutationen.

Geringere Viruslast

Was heißt das nun für die Immunität? Da bietet die React-1-Studie des Imperial College in London neue Erkenntnisse. In ihr wurde der Schutz vor Infektion in Geimpften und Ungeimpften untersucht. "Vollständig Geimpfte haben ein 50 bis 60 Prozent niedrigeres Infektionsrisiko als Ungeimpfte, und bei Geimpften, die sich infiziert hatten, waren die CT-Werte, die die Infektiosität angeben, höher als bei Ungeimpften. Das entspricht einer etwa zehnfach niedrigeren Viruskonzentration", erklärt Judith Aberle, Virologin an der Med-Uni Wien.

Und auch wenn die Impfung keine Garantie dafür bieten kann, dass man sich nicht mehr infiziert oder im Fall der Fälle niemanden ansteckt, sieht man ganz klar, dass Geimpfte wesentlich häufiger keine Symptome haben. "Die Daten zeigen auch, dass die Antikörper bei Geimpften im Fall einer Infektion innerhalb weniger Tage ansteigen, dadurch können vorhandene Viren schneller eliminiert werden", sagt Aberle. "In welchem Ausmaß vollständig Geimpfte das Virus noch übertragen, kann man aus den CT-Werten nicht schließen. Dazu muss man die epidemiologischen Daten abwarten."

Und was bedeutet das für die dritte Impfung? Auch die österreichischen Organisatoren beginnen ja bereits mit den Vorbereitungen dafür, auch wenn es noch keine Empfehlung des Nationalen Impfgremiums (NIG) dazu gibt. Derzeit geht man davon aus, dass der Booster neun Monate nach dem Zweitstich folgen muss, das wäre für die Ersten bereits Mitte Oktober der Fall. Ob eine Auffrischungsimpfung für alle nach neun Monaten nötig sein wird, kann man aber noch nicht beurteilen, die Daten dazu liegen noch nicht vor. Das NIG beobachtet derzeit die Lage. Und auch Virologin Aberle betont, dass man die Daten abwarten müsse, um Nutzen und Risiko abwägen zu können.

Dritte Impfung für Immunsupprimierte

Eine Ausnahme gibt es allerdings. Im Rahmen von Studien wird die dritte Impfung bei immunsupprimierten Patientinnen und Patienten und Älteren ohne Immunantwort bereits durchgeführt, um besonders die Risikopatienten besser zu schützen.

Eine Sache droht bei der ganzen Diskussion um die dritte Impfung hierzulande aber unter den Tisch zu fallen. Es gibt zahlreiche Länder, in Afrika und Südostasien etwa, wo der Impffortschritt wenig bis nicht vorhanden ist. Und das kann gefährlich werden, wie Biochemiker Braun betont: "Da besteht die große Gefahr, dass sich neue Varianten bilden, die dann auch für uns gefährlich werden können. Wir tun uns eher keinen Gefallen damit, wenn wir hier auf den dritten Stich für alle pochen und gleichzeitig darauf verzichten, in anderen Ländern den Impffortschritt voranzutreiben." (Pia Kruckenhauser, 6.8.2021)