Die Angriffe gegen Juden und Jüdinnen hätten eine neue Qualität erreicht, sagte die deutsche Bildungsministerin Anja Karliczek am Mittwoch. Schuld daran seien auch Verschwörungstheorien am Rande der "Querdenker"-Szene.

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"Jüdisches Leben ist in Deutschland so bedroht wie schon lange nicht mehr", warnt die deutsche Bundesministerin für Bildung und Forschung, Anja Karliczek, (CDU) am Mittwoch bei einer Pressekonferenz mit Felix Klein, dem Regierungsbeauftragten für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus in Deutschland, und Frank Bajohr, dem Chef des Münchner Zentrums für Holocauststudien.

Die Angriffe gegen Juden und Jüdinnen hätten eine neue Qualität erreicht, so Karliczek. Schuld daran seien auch Verschwörungstheorien am Rande der "Querdenker"-Szene. Hier sei eine "Radikalisierung und Polarisierung der Gesellschaft" zu beobachten. Das zeigt auch der Anstieg der polizeilich gemeldeten antisemitischen Taten auf 2.351 im Vorjahr: eine Zunahme von 15 Prozent seit 2019. Die Dunkelziffer dürfte beträchtlich höher sein, da Antisemitismus manchmal nicht als solcher identifiziert wird.

Junge Medienkompetenz

35 Millionen Euro will man nun über vier Jahre in die Hand nehmen, um die Hintergründe und die Entstehung von Antisemitismus, Rechtsextremismus und Rassismus erforschen zu lassen. Verschiedene Unis, insgesamt zehn Forschungsverbünde, sind beteiligt. Auch Trainings für Medienkompetenz und den richtigen Umgang mit Hass im Netz für Jugendliche sowie Schulungen für den Umgang der Justiz mit dem Thema werden eingeführt.

Bajohr erinnerte daran, dass man 2014 bei dem Anschlag auf die Synagoge in Wuppertal oder beim Angriff auf ein jüdisches Restaurant in Chemnitz 2018 wochenlang ohne den Aspekt Antisemitismus ermittelt hatte. Auf die Frage des STANDARD, ob auch rechtsextreme Netzwerke in der deutschen Polizei und Bundeswehr verstärkt untersucht würden, sagte Klein, es stehe den Forschungsverbünden frei, wo sie Schwerpunkte setzten; er sehe aber im Kontext des Projekts mit der Justiz Möglichkeiten.

Auch Klein warnte vor der "Querdenker"-Szene. Etwa die Hälfte der Bevölkerung glaube bereits Erzählungen von Verschwörungsmythen. Bei den Corona-Protesten gingen "Rechtsextreme Hand in Hand mit Menschen aus eher bürgerlichen Kreisen", so Klein, zudem habe es "Diskursverschiebungen" gegeben, die "Positionen wieder sagbar erscheinen ließen, die wir nicht dulden können". Den größten Anteil mache aber der "israelbezogene Antisemitismus" aus.

Judentum greifbar machen

Für Klein ist es auch wichtig, das Judentum sichtbar und greifbar zu machen. Wer Juden hasse, habe nämlich "in der Regel überhaupt keine Kenntnis vom Judentum", stimmt auch Bajohr zu. Man wolle Judentum nicht nur im Kontext mit der Shoah begreifen. Jüdische Verbände seien daher mit an Bord.

Fragen zu ihrem Parteikollegen, dem ehemaligen Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen, der gerade in Thüringen wahlkämpft und mit antisemitischen Codes in seiner Sprache auffiel, wich Karliczek diplomatisch aus. Seine Kandidatur sei "demokratisch legitimiert". Klein und Bajohr betonten, dass Maaßen Diskussionen über seine Aussagen wohl aushalten müsse. (Colette M. Schmidt aus Berlin, 4.8.2021)