Bei der Operation Luxor, im Zuge derer am 9. November 2020 dutzende Razzien gegen angebliche Muslimbrüder durchgeführt wurden, könnte einiges ins Rollen kommen – selbst bei den Hauptbeschuldigten.

Rechtsanwalt Andreas Rest verteidigt einen von ihnen. In den Akten der Staatsanwaltschaft Graz wird sein Mandant gar als der "führende Muslimbruder in Österreich" bezeichnet. Gestützt wird diese Annahme auf Aussagen eines anonymen Hinweisgebers.

Fast 1.000 Polizisten waren vergangenen November bei Hausdurchsuchungen im – so der Verdacht – islamistischen Milieu im Einsatz.
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Rest wehrte sich mit einer Beschwerde samt Einspruch wegen Rechtsverletzung beim Oberlandgericht (OLG) Graz gegen die Hausdurchsuchung und den erfolgten Sicherstellungen und bekam recht. Die Razzia war wie in vorerst weiteren acht Fällen rechtswidrig. Die nicht überprüfbaren Aussagen des anonymen Hinweisgebers würden weder ausreichen, um ihn als Kopf der Muslimbruderschaft zu bezeichnen, noch, um ihm zu unterstellen, dass er in irgendeiner Weise terroristische Ziele verfolge.

Das Beschwerdegericht kritisiert auch, dass Verdachtsmomente aufgrund familiärer Verbindungen der Ehegattin herangezogen werden. "Familienhaftung" sei keine "taugliche Beweisführungsmethode". Die Staatsanwaltschaft Graz lässt sich vom Beschluss des Oberlandesgerichts nicht beirren. Die Ermittlungen gegen mehr als 70 Personen und Vereine laufen weiter. Anderes wäre auch nicht zu erwarten gewesen; der Beschluss des Gerichts bezieht sich schließlich nur auf die (nicht vorhandene) Rechtmäßigkeit der Hausdurchsuchungen.

Gestiegene Chancen

Doch bei einer beträchtlichen Anzahl an Beschuldigten dürfte dieser Beschluss mittelfristig auch Auswirkungen auf das Ermittlungsverfahren haben. Und zwar deshalb, weil das OLG auch Folgendes festhielt: Die Verfahrensergebnisse würden derzeit nicht ergeben, dass es sich bei der Muslimbruderschaft als Ganzes um eine Terrororganisation handle. Somit sei auch nicht jede Person, die sich für die Muslimbruderschaft betätige, "dem Verdacht nach ohne weiteres" auch Mitglied einer terroristischen Vereinigung.

Nun ist es so, dass vielen Personen im Zuge der Operation Luxor Terrorfinanzierung vorgeworfen wird. Doch bei etwa zehn Personen steht "bloß" die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Raum. Und zwar eben deshalb, weil ihnen vorgeworfen wird, Teil der Bruderschaft zu sein.

Viele von ihnen haben schon vor einiger Zeit einen Antrag auf Einstellung des Verfahrens gestellt. Die Chancen darauf sind nun eindeutig gestiegen. Darin sind sich Verteidiger durch die Bank einig.

"Dann ist das Kartenhaus eingestürzt"

"All jene Ermittlungsverfahren, wo der Verdacht rein auf Basis der Zugehörigkeit zur Muslimbruderschaft besteht, sind einzustellen", sagt etwa Rechtsanwalt Johannes Zink. Auch Verteidiger Norbert Wess rechnet im Fall seiner Mandantin, einer Lehrerin, mit einer Einstellung. Ebenso wird der Anwalt des öffentlich bekannten Beschuldigten Farid Hafez einen derartigen Antrag einbringen, wie dieser bekanntgibt.

"Wenn das Oberlandesgericht sagt, da stimmt etwas von Haus aus nicht, dann stimmt uns das natürlich optimistisch", sagt auch Rechtsanwalt Clemens Lahner, der ebenfalls einen Beschuldigten vertritt, der laut den Ermittlern zu der obersten Liga der hiesigen Muslimbruderschaftsszene zählen soll. Doch bei den Durchsuchungen sei nichts zu finden gewesen, die Behörden hätten hier jedenfalls "den falschen auf dem Radar", meint Lahner.

Aber auch über den konkreten Fall seines Mandanten hinaus sieht Lahner die Basis der Ermittlungen gehörig wackeln: "Wenn sie nicht im Zuge der Ermittlungsmaßnahmen zufällig was gefunden haben, dann ist das Kartenhaus hiermit eingestürzt."

Spannend werden also vor allem jene Fälle, in denen auch Terrorfinanzierung im Raum steht. Das betraf zum Beispiel Vorwürfe hinsichtlich Finanzierungsströmen in Richtung der Terrororganisation Hamas.

Beweismittel

Doch was ist mit etwaigen Beweisen, die während einer rechtswidrigen Hausdurchsuchung gefunden wurden? Automatisch zurückgeben müssen die Behörden diese nicht – außer die Unterlagen wurden bis dato noch nicht ausgewertet. Weitere Ermittlungsschritte können außerdem darauf aufbauen. Es dürfe jedoch keine Anklage ausschließlich auf derartig erlangte Beweise gestützt werden, sagt Strafrechtlerin Ingeborg Zerbes.

Übrigens: Erst neu geschaffene Tatbestände wie jener der "religiös-extremistisch motivierten Verbindung", der speziell hinsichtlich des sogenannten "politischen Islams" geschaffen wurde, können nicht nachträglich angewandt werden. (Vanessa Gaigg, Jan Michael Marchart, Fabian Schmid, 5.8.2021)