Überbezahlte Aufsichtsräte und Vorstände, Bilanzierungsmethoden wie bei Enron – all diese Darstellungen des Gutachters weisen die Betroffenen zurück.

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Wie ein Kartenhaus brach die Immobiliengruppe Wienwert vor dreieinhalb Jahren zusammen – die möglichen Gründe für die spektakulärste 2018er-Pleite erhellt sich aus dem jüngst fertiggestellten Gutachten, das die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) in Auftrag gegeben hat. Von der Insolvenz betroffen sind vor allem die hunderten Zeichner der Wienwert-Anleihen im Volumen von fast 40 Millionen Euro, die die Gesellschaft mit dem Wiener Stephansdom als Bildmarke nicht mehr bedienen und zurückzahlen konnte. Das Geld ist wohl perdu.

Die Anleihen bilden denn auch einen der Schwerpunkte im höchst umfangreichen Gutachten von Matthias Kopetzky. Er schreibt darin etwa, dass mit den Anleihen zunehmend nicht Immobilienprojekte finanziert worden seien, sondern das Unternehmen. Und damit auch die in den Augen des Gutachters völlig überhöhten Gagen für Vorstand und Aufsichtsrat – all diese Ausgaben seien letztlich von den Anleihegläubigern geschultert worden. Die nun durch die Finger schauen.

Überbezahlte Gründer

Die früheren Wienwert-Manager Stefan Gruze und seine Vorgänger Wolfgang Sedelmayer und Nikos Bakirzoglu, die zu den 22 Beschuldigten des Strafverfahrens zählen, bestreiten das. Letztere beiden hatten das Unternehmen gegründet, wechselten 2016, als Gruze Chef wurde, in den Aufsichtsrat und verließen Selbigen im Dezember 2017. Ihnen bzw. ihnen zuzurechnenden Gesellschaften gehörte die Wienwert; Gruze war dann auch beteiligt.

Der Gutachter kommt in seinen auf Buchhaltungsunterlagen basierenden Berechnungen zum Schluss, dass der Zweiervorstand Sedelmayer/Bakirzoglu allein in den Jahren zwischen 2010 und 2015 seine "überhöhten" Bezüge ständig habe "ausweiten" lassen – die vom Aufsichtsrat gewährten Boni gar nicht eingerechnet. Nach seiner Darstellung betrug die Überzahlung in dieser Zeitspanne bis zu 1,68 Millionen Euro. Zur Erinnerung: Die Überzahlung von Vorstandschef Gruze in den Jahren 2016 und 2017 setzt der Gutachter mit 1,46 Millionen Euro an. Er kam erst 2016 in den Vorstand und hat damals laut Gutachten längst fällige Abwertungen vorgenommen. Zudem habe es dann in Ad-hoc-Meldungen und Prospekten umfassende Risikohinweise auf die höchst angespannte wirtschaftliche Lage der WW Holding gegeben.*

Zu den fixen Vergütungen des Altvorstands kamen freilich noch Gewinnausschüttungen, Prämien und Beratungshonorare dazu, die sich laut Gutachter ziemlich summiert haben. So seien von 2011 bis 2017 insgesamt zumindest 8,2 bis 9,8 Millionen Euro "in die Gesellschaftersphäre" abgeflossen. Ein lukrativer interner Markendeal gehörte damals auch dazu, aber das ist eine eigene Geschichte. Finanziert worden sei all das vornehmlich über: Anleihen.

Little Enron

Wobei der Gutachter auch den Profit hinterfragt: Die Gewinne der WW Holding AG (die Gesellschaft wurde 2016 umgebaut) seien quasi nur der Bilanzierungsmethode zu verdanken gewesen. Sie erinnert Kopetzky an jene des US-Energiekonzerns Enron, der 2001 nach Auffliegen eines riesigen Bilanzskandals in die Pleite stürzte.

Wörtlich schreibt der Sachverständige von "Luftbuchungen": Ohne die hätte es gar keine verteilungsfähigen Ergebnisse gegeben. In Summe hätten die Gewinnausschüttungen an die Eigentümergesellschaften in den vier Jahren 2010, 2011, 2013 und 2014 mehr als 1,5 Mio. Euro betragen. Die Boni der zwei damaligen Chefs in der Zeit: 650.000 Euro, pro Person. Notabene: Die Beschuldigten weisen die Vorwürfe, zu denen auch Bilanzfälschung zählt, zurück und es gilt für alle Genannten die Unschuldsvermutung.

Branchenprimus beim Salär

Großzügig waren auch Vergütungen an den Aufsichtsrat der Wienwert AG und ihrer Mutter WW Holding AG, in dem Sedelmayer und Bakirzoglu nach ihrer Tätigkeit im Vorstand saßen. Der Gutachter verglich die Bezüge der sechs Aufsichtsratsmitglieder der "minimalen" Wienwert – 335.000 Euro von April 2016 bis Ende 2017 – mit jenen der Immobilienriesen Buwog bzw. UBM AG und kam auf eine Überzahlung von 100.000 bzw. 229.000 Euro. "Nur bei den Aufsichtsratsentlohnungen war man ,Branchenprimus‘", ist in der Expertise zu diesem Thema nachzulesen.

Die beschuldigten Exmanager und Exaufsichtsratsmitglieder weisen diese Darstellungen des Gutachters zurück. Gruze argumentiert wie berichtet, er habe marktüblich verdient und sein Salär sei vom Aufsichtsrat abgesegnet gewesen.

Zulässige Vorgehensweise

Der Rechtsanwalt von Bakirzoglu und Exrechtsanwalt von Sedelmayer, Stefan Prochaska, arbeitet noch an seiner Stellungnahme zum Gutachten, wie er auf Anfrage sagt. Er knüpft folgende Argumentationskette: Die Finanzierung der Wienwert durch Anleihen sei gemäß Anleihebedingungen erlaubt gewesen. Die Gesellschaft sei nicht seit Jahren überschuldet gewesen, weswegen auch der Vorwurf zu hoher Bezüge nicht stimme. (Renate Graber, 5.8.2021)

*Der Artikel wurde am 5. August um 10.15 Uhr ergänzt.