Meistens hat Brad Binder sein Arbeitsgerät im Griff.

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Es sind 362,4 km/h. Das ist schneller als ein Passagierflugzeug beim Abheben und seit diesem Jahr der Topspeed in der MotoGP. Mit dieser irrwitzigen Marke kommt die Zweirad-Königsklasse nach fünf Wochen Sommerpause zum Doppel auf den Red Bull Ring nach Spielberg. Am Sonntag steigt der Steiermark-GP, eine Woche später der Österreich-GP.

"Es ist eine Grenze erreicht. So darf es nicht weitergehen", fordert Pit Beirer. Der Deutsche ist Sportdirektor bei KTM, damit auch "Chef" von Brad Binder. Der Südafrikaner hat im Mai in Mugello den zuvor in Doha aufgestellten Rekord von Johann Zarco egalisiert. "Es war cool. Du denkst bei diesem Speed nicht daran, was alles passieren kann. Angst machte aber, das Bike wieder abzubremsen", verwies Binder auf das eigentliche Dilemma. Denn für die Bremsen sind die MotoGP-Raketen kaum beherrschbar.

Reglementänderungen gefragt

Das ist 2020 in Spielberg sichtbar geworden, als Maverick Vinales bei 220 km/h "abspringen" musste, weil seine Yamaha keine Vorderbremse mehr hatte. Die Hersteller weisen auf das Problem hin. "Wir sind einen Schritt zu weit", glaubt Beirer. "Unser Auftrag als Werk ist, das beste Motorrad zu entwickeln. Wir wünschen uns technischen Widerstand vom Reglement her."

Bei einem modernen MotoGP-Bike senkt die Elektronik des aktiven Fahrwerks beim Beschleunigen den Schwerpunkt ab, vorne pressen "Flügel" das Motorrad auf den Boden. "Diese zwei Dinge haben beim Topspeed nochmals 20 km/h draufgelegt, das Ding geht ab wie ein Düsenjäger", erklärt Beirer den Sprung bei der Höchstgeschwindigkeit. "Jetzt darf es nicht noch schneller werden. Sonst reißt einmal die Aerodynamik ab, und das Vorderrad hebt ab, wenn man eigentlich bremsen sollte. Dafür sind die Sturzräume nicht gemacht."

Kopfschütteln

Selbst in der Formel 1 schüttle man mittlerweile den Kopf über die Entwicklung im MotoGP-Sport. "Dort sitzen die Piloten aber in einer Sicherheitszelle", verweist Beirer auf den folgenlosen Silverstone-Crash von Max Verstappen mit 51 G. "Bei uns geht es in so einem Fall kopfüber in den Reifenstapel."

Durch die besten Bremsen nicht zu verhindern ist das fatale Überfahren von gestürzten Fahrern. "Das ist leider die harte Realität", sagt Binder. "Egal welche Vorkehrungen du triffst. Die Gefahr ist immer da, wenn du versuchst, mit einem Motorrad so schnell wie möglich zu fahren" Sein Teamkollege Miguel Oliveira sieht das ähnlich. "Wir sind ein leistungsorientierter Sport. Es geht auch um das Verhalten von uns Fahrern und gegenseitigen Respekt."

Mitverantwortlich für die Sicherheit in Spielberg ist der örtliche Rennleiter Andreas Meklau. Schwere Unfälle und Tote habe es zu seiner Zeit auch gegeben, trotz der Riesensprünge bei der Sicherheit trage dieser Sport eben Risiken. "Selbst die sicherste Strecke wird nie sicher genug sein. Und wer den Gedanken an die Gefahr nicht wegschiebt, ist hier falsch", sagt Meklau. Die Gefahr mache einen guten Teil der Faszination im Zweiradsport aus. "Deshalb sind MotoGP-Piloten immer ganz besondere Helden."

Michael Leitner, Teammanager bei KTM, ist lange im GP-Sport tätig und weiß, dass im Hintergrund ständig Gespräche zum besseren Schutz der Piloten geführt werden. Die rasante Entwicklung der Sicherheitsbekleidung vom Carbonhelm über den Airbag bis zu den Stiefeln sei ein Zeugnis davon. "Im Gegensatz zum Autorennsport fällt bei uns der Pilot beim Unfall vom Fahrgerät weg. Das ist, wie wenn ein Skifahrer auf der Streif den Kontakt zum Schnee verliert. Dann bist du nur noch Passagier. Da können schlimme Sachen passieren." (APA, red, 5.8.2021)