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Valery Tsepkalo wollte eigentlich gegen Lukaschenko antreten, dann übernahm seine Frau.

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Veronika Tsepkalo, Swetlana Tichanowskaja und Maria Kolesnikowa führten die Opposition gegen Alexander Lukaschenko.

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Tausende Menschen jubelten in Belarus dem weiblichen Trio zu.

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Von dem Team, das den belarussischen (weißrussischen) Diktator Alexander Lukaschenko im Jahr 1994 an die Macht gebracht hat, sind nicht mehr viele übrig: Juryj Sacharanka, der ehemalige Innenminister, Viktor Gonchar, der ehemalige Premier, und Anatol Krasouski, der die Kampagne finanzierte, wurden 1999 entführt und gelten als liquidiert. Der spätere Oppositionsführer Anatol Ljabedska und der erste Pressechef Lukaschenkos, Alexander Feduta, fassten danach Haftstrafen aus. Sie alle hatten sich gegen das Regime gewandt.

Valery Tsepkalo lebt noch. Er zählt die Namen der Opfer auf, als hätte er das bereits hunderte Male davor getan. Zurückgelehnt in der Lobby eines Wiener Hotels. Neben ihm seine Frau Veronika, die sich ebenso gegen das Regime gestellt hat.

Tsepkalo war Vize-Außenminister unter Lukaschenko, später Botschafter in den USA und versuchte aus Belarus einen gefragten IT-Standort zu machen – nach dem Vorbild des Silicon Valley. 2020 entschloss er sich, als Kandidat um das Präsidentenamt in den Ring zu steigen. Doch die Führung in Minsk ließ das nicht zu.

STANDARD: Sie kennen Lukaschenko noch als jungen Präsidentschaftsanwärter. Mittlerweile mussten Sie das Land verlassen, weil Sie sich gegen ihn gestellt haben. Wie hat er sich verändert?

Valery Tsepkalo: Man kann die Frage auf zwei Arten beantworten. Auf der einen Seite hat er sich vollkommen verändert, die Macht hat ihn zu einem anderen Menschen gemacht. Ziemlich schnell hat er begonnen, sich der Personen zu entledigen, die ihm 1994 nahestanden. Wir wollten als Team arbeiten, das Land verändern. Aber nicht so, wie es unter Lukaschenko passiert ist. Wir wollten eine freie Demokratie, eine starke Marktwirtschaft. Auf der anderen Seite hat sich die Gesellschaft verändert. Lukaschenko ist nicht mehr der Mann an der Spitze, den es braucht.

STANDARD: Politische Gegnerinnen und Gegner sind in Belarus immer schon verschwunden. Hatten Sie keine Angst, als Sie sich im Vorjahr gegen Lukaschenko aufgestellt haben?

Valery Tsepkalo: Natürlich hatte ich große Bedenken, aber ich habe versucht, sie beiseitezuschieben. Ich habe mich auf die Möglichkeit konzentriert, meine Vision für das Land den Leuten näherzubringen. Auf dem IT-Sektor habe ich gezeigt, dass private Wirtschaft für hohe Löhne sorgen kann. Das wollte ich auch für andere Sparten erreichen.

Ich wollte eine Bewusstseinsrevolution, dass sich die Leute der Probleme klar werden. Die sollte dann zu einer tatsächlichen Revolution führen. Aber ich war mir immer vollkommen bewusst, dass Lukaschenko seine Macht nicht so einfach abgeben wird.

STANDARD: Wann war Ihnen klar, dass die Führung Ihre Kandidatur nicht zulassen wird?

Valery Tsepkalo: In den vergangenen Vorwahlzeiten hat Lukaschenko zumindest Wahlkampf möglich gemacht. Man konnte seine Ideen veröffentlichen, die Opposition wurde dann erst am Wahltag abgedreht. Doch diesmal war das anders. Zwar hatten die Oppositionskandidaten Wiktor Babariko, Swetlana Tichanowskaja und ich mehr als die geforderten 100.000 Unterschriften beisammen, doch wurde die Mehrheit unserer Unterstützungserklärungen für nichtig erklärt.

Nur Swetlana durfte antreten. In ihr sah Lukaschenko keine Gefahr, sie war Hausfrau und Mutter und war nur kurzfristig für ihren verhafteten Mann Sergej Tichanowski eingesprungen. Das war Lukaschenkos Art zu zeigen, dass er Opposition zulässt. Mein Team und ich haben uns dann aber entschieden, Swetlana zu unterstützen.

STANDARD: Wie sah diese Unterstützung aus?

Valery Tsepkalo: Ich habe ihr logistisch ausgeholfen. Etwa mit Fahrzeugen, damit sie die gesammelten Unterschriften von A nach B transportieren konnte. Außerdem habe ich ihr geraten, dass sie sich auf zwei Punkte in ihrem Wahlkampf konzentriert: die Freilassung aller politischen Gefangenen und Neuwahlen nach fünf Monaten, die unter internationaler Aufsicht stattfinden.

Sie sollte sich nicht inhaltlich zu Reformen äußern, weil Lukaschenko sie sonst mit der vollen Staatsmacht angegriffen hätte. Dann habe ich Maria Kolesnikowa angerufen, die Kampagnenleiterin des verhafteten Babariko, und sie gebeten, den Wahlkampf weiterzuführen. Als Swetlana, Maria und meine Frau Veronika – die als meine Vertreterin vor Ort war – bei Veranstaltungen aufgetreten sind, kamen tausende Menschen. Wir spürten das Momentum der Bewegung.

STANDARD: Sie beide und Tichanowskaja befinden sich nicht mehr im Land. Kolesnikowa wurde verhaftet, und die Fälle der Sprinterin Kristina Timanowskaja sowie des toten Witali Schischow sorgen für Aufregung. Wird das Regime aggressiver oder werden einfach mehr Fälle öffentlich?

Veronika Tsepkalo: Man sagt, dass Lukaschenko damit ein Signal senden will. Er will der Opposition zeigen, was mit ihnen passiert, wenn sie sich mit ihm anlegen. Lukaschenko will unseren Kampf stoppen. Das ist sein höchstes Ziel, vor allem, weil wir nach einem Jahr noch immer politisch aktiv sind.

Zum Beispiel mit der Belarusian Women's Foundation in Lettland habe ich die Zeugenaussagen von Frauen gesammelt, die von dem Regime verschleppt, geschlagen und vergewaltig wurden. Diese haben wir an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag geschickt. Wir wollen, dass Lukaschenko dort der Prozess gemacht wird, denn in Belarus gibt es die Todesstrafe, und sterben soll er nicht. Er soll in Haft sein, wie die Kritiker, die er eingesperrt hat.

Valery Tsepkalo: Und er soll sehen, was aus dem Land wird, wenn er nicht mehr an der Macht ist. Was die Freiheit mit den Menschen macht, und welcher Wirtschaftsboom möglich sein wird.

STANDARD: Die Bilder der Massenproteste in Belarus sind verschwunden, aber was ist mit der Opposition passiert?

Valery Tsepkalo: Die gibt es noch, der Hass gegen das Regime baut sich täglich auf. Das ist wie ein Druckkopftopf. Lukaschenko stopft nur die Löcher, doch es brodelt, und irgendwann wird es explodieren.

Veronika Tsepkalo: Lukaschenko geht hart gegen alle Aktivisten vor. Die Menschen müssen sogar Angst haben, wenn sie nur die Farben Rot und Weiß – die der verbotenen Flagge – tragen. Dann setzt es hohe Haft- oder Geldstrafen. Er hat große Angst vor dem Volk. Aber das Volk hat auch große Angst vor den Sanktionen.

STANDARD: Glauben Sie, dass es noch einmal gewalttätig wird, bevor Friede kommt?

Veronika Tsepkalo: Wir haben ein Jahr lang den friedlichen Weg versucht. Er hat nicht funktioniert.

Valery Tsepkalo: Wir haben gedacht, dass es einfach wird, das Regime auf friedliche Weise zu ändern als mit Waffengewalt. Damit sind wir falsch gelegen. Lukaschenko fehlt es vollkommen an Moral und Ethik. Viele andere Politiker hätten angesichts der tausenden Demonstrierenden darüber geredet, wie ein friedlicher Machtwechsel passieren kann. Er nicht. Das war ein großer Schock für das belarussische Volk.

STANDARD: Wie geht der Widerstand nun weiter?

Veronika Tsepkalo: Auch wenn wir uns stark mit der belarussischen Diaspora vernetzten – wie nun bei unserem Besuch in Wien –, liegt die Lösung in Belarus selbst.

Valery Tsepkalo: Wir arbeiten zum einen mit unabhängigen Gewerkschaften zusammen, um die Arbeiter zu organisieren. Viele wussten im vergangenen Jahr noch nicht, was ihre Kollegen über das Regime dachten, und haben sich deshalb nicht getraut, kritisch aufzutreten. Das soll sich ändern. Wenn der Ruf zum Generalstreik kommt, sollen die Leute mitmachen.

Außerdem unterstützen wir Aktivisten vor Ort, die die Menschen auf den sogenannten "Tag des Sieges" vorbereiten. An diesem Tag sollen alle aus ihren Wohnungen und Häusern strömen und gegen das Regime auf die Straße gehen.

Und wir sammeln Geld für die Kampagne "Verhaftet Lukaschenko". Bisher haben wir bereits 300.000 Euro, die derjenige erhalten soll, der ihn festnimmt. Damit wollen wir einen Anreiz gegen ein mögliches Blutbad setzen. (Bianca Blei, 5.8.2021)