
Eine begehrte, aber wegen Lieferschwierigkeiten rare Spielkonsole war in einem Fall für einen 20-jährigen Angeklagten der Auslöser dafür, seine damalige Freundin zu verletzen.
Wien – "Ich habe diese Frau nicht geschlagen, da ich sie über alles geliebt habe!", beteuert Angeklagter J. gegenüber Richterin Alexandra Skrdla. Der 20-Jährige soll zwischen Mai 2019 und September 2020 seine damalige Freundin, die ein Jahr jüngere Frau F., immer wieder geschlagen und sie zum Betteln und Stehlen gezwungen haben. Der zweifach Vorbestrafte gesteht nur eine Verletzung zu: In einem Streit wegen ihrer Eifersucht habe er F. "geschubst", dabei sei sie gestolpert und habe sich an einer Tischkante eine Rissquetschwunde am Kopf zugezogen.
Die Geschichte, die F. am zweiten Verhandlungstag als Zeugin erzählt, muss bei Eltern Albträume auslösen. Sie war 17, als sie den Angeklagten kennenlernte, lebte bei ihrer Mutter, absolvierte eine Lehre und freute sich auf den Führerschein. J. war dagegen arbeitslos, hatte eine Tochter mit einer anderen Frau, und seine eigene Mutter hatte eine einstweilige Verfügung gegen ihn erwirkt und ihn immer wieder aus der Wohnung geschmissen.
Mutter warnte vor eigenem Sohn
Als die Beziehung der Teenager enger wurde, organisierte die mittlerweile verstorbene Mutter des Angeklagten sogar ein Treffen: Sie, F., deren Mutter und die Halbschwester des Angeklagten saßen bei einem Kaffee zusammen. Und die Mutter des Angeklagten warnte vor ihrem Sohn: Der sei aggressiv und manipulativ. "Ich habe es damals nicht geglaubt. Sie hat das völlig ohne Emotionen gesagt", erinnert sich Frau F. vor Gericht.
Ihre Rechtsvertreterin Nina Binder kann sogar den Mitschnitt eines Telefonats zwischen den beiden Müttern vorlegen. Zu hören ist, wie die Mutter des Angeklagten an das seinerzeitige Treffen erinnert und betont, sie habe gewarnt: "Halt dich fern von meinem Sohn, der ist kriminell." Auch der Satz "Das, was da stattfindet, ist extrem krank" fällt.
Zur Probe wohnte das junge Paar zunächst für einige Tage bei der Mutter von Frau F., die hatte aber von Anfang an Vorbehalte. Die beiden zogen zurück zu seiner Mutter, die von F. 500 Euro Mietbeitrag und Kostgeld verlangte. Schon dort soll J. immer wieder zugeschlagen haben. "Er hat eigentlich immer einen Vorwand gefunden, mir gegenüber gewalttätig zu sein", schildert Frau F. bei ihrer Aussage.
Schweigen aus Angst
"Und warum haben Sie die Beziehung nicht einfach beendet?", will die Richterin wissen. "Weil J. mir immer gedroht hat." – "Aber warum sind Sie nicht zur Polizei gegangen?" – "Aus Angst. Er hat gesagt, dass er jemanden organisiert, der meiner Mutter die Finger bricht." Irgendwann landeten die beiden endgültig auf der Straße beziehungsweise in Notunterkünften, auch dort sei F. regelmäßig verprügelt worden und suchte dennoch keine Hilfe, gibt sie zu.
Stattdessen stahl sie für J. Lebensmittel im Supermarkt und wurde von ihm auf die Straße geschickt: Sie musste täglich 20 Zigaretten bei Passanten schnorren und dem Angeklagten zunächst 50, dann 80 Euro erbetteltes Kleingeld bringen. Teilweise sei sie den ganzen Tag an Verkehrsknotenpunkten unterwegs gewesen. Als sie in einem Elektronikgeschäft in seinem Auftrag Spielkonsolen stahl, wurde sie erwischt, beide wurden im vergangenen Sommer dafür verurteilt.
Zorn über nicht erhältliche Spielkonsole
Eine der aufgrund von Halbleitermangel raren Spielekonsolen der nächsten Generation sei dann auch der Grund für die Sache mit der Tischkante gewesen, erinnert sich F. noch. "Er hat gesagt, ich soll nach Tulln in ein Einkaufszentrum fahren und dort die Playstation 5 für ihn bestellen. Er wollte sie zu Weihnachten, aber es hieß, dass sie frühestens im neuen Jahr kommt." Die Verzögerung habe J. so erbost, dass er sie gepackt und gegen den Tisch geschleudert habe.
Eine Version, die auch der ehemalige Freund der Mutter des Angeklagten bestätigt. Es sei um die Playstation gegangen und nicht um ihre Eifersucht. Rund zehnmal habe er erlebt, dass J. gewalttätig gegen F. geworden sei, etwa wenn sie nicht betteln gehen wollte, da sie sich genierte. "Und haben Sie jemanden deswegen verständigt?", fragt Verteidigerin Alexandra Cervinka diesen Zeugen. Hat er nicht – als Afghane mit offenem Asylverfahren habe er Angst vor Scherereien gehabt.
Aus Scham bei Großmutter versteckt
Schlussendlich konnte F. sich erst nach einem positiven Schwangerschaftstest aus der Situation lösen. Sie packte gegen 4.30 Uhr ihre wenigen Habseligkeiten, schrieb auf Küchenpapier noch eine Abschiedsnachricht und versteckte sich bei ihrer Großmutter. "Ich konnte meiner Mutter nicht in die Augen schauen für das, was ich ihr in den eineinhalb Jahren angetan habe. Ich war vor ihm fleißig und nett und habe meinen Charakter völlig verändert", begründet sie, warum sie nicht zu ihrer Mutter zurückging. Mittlerweile scheint sich das Verhältnis aber wieder normalisiert zu haben.
Am Ende verurteilt Skrdla J. rechtskräftig zu einem Jahr Gefängnis, vier Monate davon sind unbedingt. Zusätzlich wird seine Bewährungshilfe verlängert und Psychotherapie angeordnet. Frau F. habe "nachvollziehbar und in sich schlüssig" ausgesagt und einen extrem glaubwürdigen Eindruck hinterlassen, begründet die Richterin ihre Entscheidung. Es sei bei diesem Delikt oft schwierig, da Aussage gegen Aussage stehe, aber die 19-Jährige habe sie im Einklang mit den anderen Zeugenaussagen überzeugt, dass J. die Taten begangen habe. (Michael Möseneder, 18.8.2021)