Das privilegierte Leid des weißen alten Mannes bringt Heinz Strunk 2021 hübsch auf den Punkt: "Von der Illusion eines schönen Lebens hat er sich verabschiedet, von einem komplikationsfreien nicht."

Foto: Rowohlt/Dennis Dirksen

Ab einem gewissen Zeitpunkt wünscht sich der alte weiße Mann bekanntlich nicht nur, dass seine Generation ruhig die letzte sein könne. Nach ihm die Sündenflut und der Weltenbrand. Etwas Besseres als man selbst wird sowieso nicht nachkommen. Betrachtet man die aktuelle Klimasituation mit Waldbränden, Trockenheit, Tornados oder Hochwasser, scheint es nicht einmal so abwegig zu sein, dass sich dieser Wunsch erfüllt. Zudem erhofft sich der alte weiße Mann, dass sich sein langsam weniger bis überflüssig werdendes Testosteron einmal noch in einen sexuell unwiderstehlichen Botenstoff verwandeln möge.

Die geilen Jahre sind vorbei. Ungefähr ab dem 30. Geburtstag ist es nun stetig abwärts gegangen. Aber es muss doch um Himmels willen weitergehen! Zur über die Jahrzehnte aufgebauten Frustration gesellt sich langsam die Wut. Ältere männliche Autofahrer sind entgegen allen Annahmen gefährlicher als die jungen. Frustration, Aggression. Stressabbau mittels eines übertriebenen sportlichen Ehrgeizes oder in der gemütlicheren Variante mit Alkohol. Hoher Blutdruck, Schlafstörungen, Nachtschweiß, Gefäßerkrankungen, Herzkasperl. Spätestens ab 50 wird es gefährlich, wenn man zu viel lebensgewandelt ist. Die Hochzeiten werden weniger, die Begräbnisse mehr.

Das Leben ist nicht fair

Das Leben ist nicht fair. Das ist die Wahrheit. Die alte Vermutung, dass man im Alter nur durch Beschwerden, aber nicht mit Glück, Glanz und Ruhm bereichert wird, ist nicht erst seit unseren Tagen und der in den tiefen gesellschaftlichen Raum gehenden Silberrückendebatte ein Thema.

Die ominöse Midlife-Crisis des privilegierten alten weißen Mannes war immer schon ein bestens dokumentiertes Thema der Literatur. Goethes Faust, der Professor Unrat von Heinrich Mann, Philip Roths Zuckerman-Trilogie, Michel Houellebecqs Gesamtwerk. Und, und, und.

Das alles hat natürlich auch mit Heinz Strunk und seinem neuen, im Rowohlt-Verlag erschienenen Roman Es ist immer so schön mit dir zu tun. Damit es nicht zu autobiografisch wird, hat der 59-jährige Hamburger seinen im Buch namenlos bleibenden Protagonisten mindestens zehn Jahre jünger gemacht. Das ändert an der gefühlt verzweifelten Lage des Mannes aber auch nichts. Der früher vielversprechende, jetzt verkrachte Musiker betreibt in Es ist immer so schön mit dir lustlos, aber halbwegs erfolgreich ein Tonstudio für Hörspielaufnahmen. Er ist mit Julia, einer Mathematiklehrerin, liiert. Allerdings mehr aus Gewohnheit. Erstens sieht er sich selbst doch als Mann der Frauen, also als Weiberheld. Zweitens: Da geht nichts mehr. Unten hängt bei ihm alles sinnlos rum. Der Hodensack wird nur noch von der Erdanziehung in Anspruch genommen. Ein Lifting wird im Suff kurz angedacht. Auch sonst nur Runzeln, Falten, abgelebte Haut.

Ganz so traurig liest sich das alles allerdings gar nicht. Immerhin ist der mit Studio Braun bekannt gewordene Spaßmacher aus dem Umfeld des Pudelclubs in St. Pauli als Autor 2004 mit dem autobiografischen Roman Fleisch ist mein Gemüse bekannt geworden. Schon dessen Protagonist Heinzer hatte in jungen Jahren mit Erfolglosigkeit als Musiker sowie bei Frauen – und im Leben ganz allgemein – zu kämpfen. Auch der Alkohol als Schmiermittel gegen den Sand im Getriebe des Lebens war damals schon ein Thema. Allerdings kann man bei Heinz Strunk immer schon auf Situationskomik und skurrile Charaktere vertrauen. Das macht seine Bibliografie der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung so tragisch wie erheiternd.

Als wäre es das letzte Mal

Nach den vor allem die autoerotischen Selbstversuche der Jugendzeit umkreisenden Erinnerungen Fleckenteufel oder dem gemeinsam mit Christoph Grissemann verbrachten und gründlich misslungenen, also versoffenen Arbeitsurlaub Heinz Strunk in Afrika begeisterte Strunk zuletzt mit Der goldene Handschuh, einem abgründigen Roman über den Hamburger Serienmörder Fritz Honka.

Dass nun ausgerechnet ein "Liebesroman" des schnoddrigen und zur Pointe zielenden Autors erscheint, mag anfangs etwas verstören. Liest man allerdings Sätze wie die folgende Betrachtung daheim vor dem Spiegel, ist man nicht nur gleich versöhnt. Man wird auch schnell in diese kleine, uns erschreckend vertraute Welt hineingezogen: "Was er da sieht, hat nun gar keinen Marktwert mehr. Kann er sich gleich morgen mit den anderen Ausgeleierten und Verwelkten zusammentun."

Bevor er also die weitaus jüngere Schauspielerin Vanessa und ihr herrlich geschildertes, zur Bühne drängendes soziales Biotop kennenlernt und sich dieses – eine Entschuldigung fürs Trinken gibt es immer – schönsaufen muss, ist die Ausgangslage ebenso klar wie der Ausgang gewiss: "Von der Illusion eines schönen Lebens hat er sich verabschiedet, von einem komplikationsfreien nicht."

Natürlich wird auch die Beziehung mit der nicht gerade nahbaren, aber sexuell natürlich laut Klischee unglaublich attraktiven Vanessa durch ein Tal der Tränen führen. Aber eben auch nur ein bisschen. Immerhin ist ein zentrales Thema unserer Gesellschaft derzeit nicht nur die Vormachtstellung des alten weißen Mannes beziehungsweise fehlgeleitete Männlichkeit. Ganz allgemein geht es auch darum, dass wir offenbar nicht mehr fähig scheinen, uns über heutige Beziehungsunfähigkeiten und einen längst gefährlich gewordenen Individualismus hinwegzusetzen. Heinz Strunk betreibt diese Gesellschaftsstudie im kleinstmöglichen Rahmen. Das geht dem Leser bei allem Unterhaltungswert doch recht nahe. Christian Schachinger, 6.8.2021)