Zeigte im finalen Vorstieg keine Nervenschwäche: Jakob Schubert.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Nicht ganz so gut war es beim Bouldern gelaufen.

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Der Speed-Bewerb zu Beginn der Kletterkombination ist nicht Schuberts Paradedisziplin.

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Tokio – Jakob Schubert hatte Größtes geleistet und war sich trotzdem nicht sicher. Der Tiroler hatte als Einziger die 45 Züge lange Vorstiegsroute komplett erklettert und war schon längst abgeseilt, musste aber trotzdem noch einigermaßen ratlos in die Luft schauen. Bis ein Trainer die Finger streckte, wie es schon Schubert am Weg nach unten getan hatte. Daumen, Zeigefinger, Mittelfinger. Dritter. Im Olympia-Sprech: Bronze.

Schubert verstand, schrie, jubelte. Erlösung am Ende eines zermürbenden Tages. "Ich bin immer noch komplett verwirrt, kann es noch gar nicht realisieren", sagte der dreifache Weltmeister wenig später im ORF-Interview. "Ich habe die Hoffnung vor dem Vorstieg fast aufgegeben."

Schlechter Start

Der Bewerb hatte für Schubert so schlecht wie nur irgendwie denkbar begonnen: Da der Franzose Mawem Bassa verletzt ausfiel, bescherte das K.-o-System Medaillenkonkurrent Adam Ondra ein Freilos in die zweite Runde – und damit einen vierten Platz in der Disziplin, in der der Tscheche sonst verlässlich Letzter wird. Diese Rolle übernahm der im Speed ähnlich schwache Schubert, er schrieb gemäß seiner Platzierung einen Siebener an.

Im Kombinationsbewerb, der ungeliebten Lösung des mit nur einem olympischen Medaillensatz je Geschlecht gestraften Klettersports, werden die Platzierungen der drei Disziplinen multipliziert, der kleinste Score gewinnt. Durch das Prinzip des Multiplizierens ist ein Disziplinensieg extrem viel wert. Ein erster und zwei fünfte Plätze ergeben 25; drei dritte Plätze ergeben 27. Für Schubert hieß das: Der letzte Speed-Platz war kein Drama.

Boulderdebakel für die Routenschrauber

Bewerb Nummer zwei, das Bouldern dreier kurzer Routen auf Absprungshöhe. Die Routenbauer erlebten ausgerechnet im Finale ein Waterloo, ihre drei Boulder schafften es überhaupt nicht, die Spreu vom Weizen zu trennen. Den ersten Boulder schafften mit einer Ausnahme alle Athleten, den zweiten nur einer, den dritten gar keiner. Der unmögliche Boulder war der kraftlastige, der besonders Schubert gelegen wäre.

Über die Plätze zwei bis fünf entschieden nur die benötigten Versuche, der Tiroler hatte am meisten und schrieb einen Fünfer an. Ondra setzte seine gute Ausgangslage mit Platz sechs in den Sand, ihm gelang anders als der gesammelten Konkurrenz beim zweiten Boulder nicht einmal die Zonenwertung.

Thriller

Österreichs Medaillenhoffnung ging als Letzter in den abschließenden Vorstieg. Seine Chance auf Bronze war mit 35 Punkten minimal, vier Kletterer hielten bei sechs oder sieben Zählern. Schubert brauchte höhere Mathematik, die dem studierten Wirtschaftswissenschafter nicht fremd ist: Er musste gewinnen, und das möglichst direkt vor den ebenfalls abgeschlagenen Ondra und der Amerikaner Colin Duffy. Zwei aus dem Führungsquartett mussten auf den letzten Plätzen landen.

Die Kurzfassung: Schubert eins, Ondra zwei, Duffy drei. Die Langfassung: Schubert tänzelte, kraftete, zauberte seinen Körper unwiderstehlich die Vorstiegsroute hinauf; ähnlich, aber eben nicht ganz so gut gelang es zuvor Ondra und Duffy. Das Schicksal des Tschechen demonstrierte die Komplexität der Multiplikation: Als Schubert seinen Langzeitrivalen überholte, rasselte der vom Goldrang auf Platz sechs. 48 statt 24 Punkte – so groß ist der Wert eines Disziplinensiegs.

Einzelsieger auf dem Podest

Einen solchen hatten auch der 18-jährige Überraschungsolympiasieger Alberto Ginés López (Speed) und der silberne Nathaniel Coleman (Bouldern). Dem Topfavoriten Tomoa Narasaki machte die Multiplikation den Garaus, mit den Plätzen zwei, drei und sechs wurde er einen Punkt hinter Schubert Vierter.

Selten hat jemand eine Bronzemedaille mehr gewonnen als der Österreicher. "Es ist so viel gegen mich gelaufen heute, in der Boulderrunde habe ich nichts rausholen können", sagte er. Die Hoffnung auf Bronze hatte er fast aufgegeben, "weil ich gewusst habe, sogar mit einem Einser ist es unwahrscheinlich".

Frust rausgelassen

"Die Enttäuschung war so groß, dass ich einfach noch mal den Frust rausgelassen habe", sagte Schubert über seinen Vorstiegsmarsch zu Bronze. Sein Erfolg, zumal in der Königsdisziplin fixiert, war auch ein Sieg des Felskletterns. Anders als einige Konkurrenten ist Schubert so oft wie möglich auch auf dem Fels unterwegs, 2019 durchstieg er mit "Perfecto Mundo" als fünfter Kletterer eine Route des Schwierigkeitsgrads 9b+.

Das muss man auch für den Klettersport als dankbar bezeichnen. Bassas Verletzung führte das K.-o-System im Speed ad absurdum, das Bouldern war auch keine Werbung für den Sport. Ein Podest ohne das Star-Trio Narasaki, Ondra und Schubert wäre hinterfragt worden. Im heutigen Frauen-Bewerb darf man ab 10.30 Uhr auf einen reibungsloseren Ablauf hoffen, womöglich mit ähnlichem Ende für Österreich: Auch die in der Qualifikation Achte Jessica Pilz ist Vorstiegsspezialistin. (Martin Schauhuber, 5.8.2021)

KLETTERN – Kombination, Männer:

1. Alberto Gines Lopez (ESP) 28 Punkte
2. Nathaniel Coleman (USA) 30
3. Jakob Schubert (AUT) 35