Der Erste-Group-Chef hat gerade das Halbjahresergebnis (Nettogewinn: 918 Millionen Euro) präsentiert, ein paar Stunden später sitzt er entspannt im Dachgeschoß der Bankzentrale auf dem Erste-Bank-Campus in Wien. Draußen abwechselnd Sonne und Regen – plus Regenbogen.

STANDARD: Wären Sie Milliardär: Würden Sie ins All fliegen?

Spalt: Ganz sicher nicht. Ich wüsste nicht, warum. Dass Private ins All fliegen, halte ich für den Ausdruck einer sehr elaborierten Fadesse. Es gibt auf dieser Welt so viele Probleme zu lösen, und man kann ökonomische Mittel so sinnvoll verwenden, dass ich es Borderline-zynisch finde, über derlei Dinge nachzudenken.

STANDARD: Auf der anderen Seite gibt es Millionäre, auch in Österreich, die den Staat auffordern, sie höher zu besteuern. Was halten Sie von diesem Zugang?

Partnerschaften eingehen, um Probleme zu beleuchten, Kooperationen mit NGOs, Solidarität – das alles fordert Erste-Group-Chef Bernd Spalt.
Foto: Regine Hendrich

Spalt: Ich glaube, dass es nach einer Krise, die zu so vielen Verlusten geführt hat, unausweichlich zu einer Umverteilungsdebatte kommen wird. Das ist nach tiefen Krisen und Transformationen immer so. Und da werden auch Steuer- und Verteilungsgerechtigkeit aufs Tapet kommen. Wobei Partikulardiskussionen à la "Besteuern wir jetzt ein paar Reiche" kein Problem lösen werden. Aber man muss darüber nachdenken, wie eine sinnvolle Verteilung von Einkommen und Vermögen aussehen könnte.

STANDARD: Was können Sie sich da vorstellen?

Spalt: Jedenfalls wird es nicht mit dem Durchprügeln von Partikularinteressen gehen. Wir müssen anders denken in Zukunft, nachdenken, mit welchen Partnerschaften man bestimmte Problemstellungen sinnvoll beleuchten kann. Ob es da um leistbares Wohnen geht, um Verteilungsgerechtigkeit oder um Energiesicherheit: Wir müssen aus unseren Silos rauskommen.

STANDARD: Früher hätte man es vielleicht mit Solidarität probiert …

Spalt: Ich glaube, dass Solidarität ein wesentliches Wort ist – gerade in einer Situation, in der es so viel Unsicherheit gibt wie jetzt. Jeder haut auf die Europäische Union hin, jeder ist unzufrieden – aber der Next-Generation-Fund, der Aufbaufonds der EU, ist genau das. Er ist ein Ausdruck von Zuversicht schaffen in einer unsicheren Situation und Solidarität mit Schwächeren zeigen. Anders geht das nicht. Wir alle – Finanzwirtschaft, Industrie, Medien, Politik – müssen nachdenken, wie man wieder einen Dialog herstellen kann, um etwas weiterzubringen. Mir geht dieser Zustand – plaudern wir über etwas, gehen wir zum nächsten Thema und ändern wir nichts – massiv auf die Nerven.

STANDARD: Wie würden Sie es angehen?

Spalt: Wir haben immer sofort Lösungen parat – aber ohne davor das Problem analysiert zu haben. Wenn EZB-Chefin Christine Lagarde über den digitalen Euro spricht, ist das wunderbar. Es ist eine tolle Lösung, aber für welches Problem? Niemand weiß, was nachher besser sein könnte. Wir brauchen also den Diskurs, um beispielsweise das Problem leistbares Wohnen anzugehen. Und das wird ein megagroßes Thema werden, an dem alle mitarbeiten müssen: Finanzbranche, Politik, Industrie und Wissenschaft. Sie alle müssen sich überlegen, was junge Familien brauchen, um überhaupt leben zu können.

STANDARD: Sehen Sie da schon Ansätze?

Spalt: Immer wieder. Nehmen Sie die Klimatransformation: Ist doch bemerkenswert, dass es eine Handvoll NGOs, die strenggenommen keinerlei demokratische Legitimierung haben, schaffen, dass ganze Volkswirtschaften umgebaut werden. Wir alle müssen uns mit diesen Spielern an einen Tisch setzen, und zwar auf Entscheidungsebene, und uns etwas vornehmen, damit das Leben auch für die nächsten Generationen noch ein wünschenswertes bleibt. Wir brauchen Ernsthaftigkeit in dieser Diskussion, ein paar konkrete Vorhaben, damit wir in drei oder fünf Jahren sagen können: Das ist jetzt besser. Sachpolitisch, sozialpolitisch, gesellschaftspolitisch.

STANDARD: Stichwort Klimawandel: Geht es ohne Verzicht?

Spalt: Verzicht? (lächelt) Wenn Corona- und Klimakrise irgendetwas gebracht haben, dann das, dass wir nach 45 Jahren endlich von Klimaschutz reden – und dass das Thema nicht mehr verschwindet und massiv Geld hineinfließen muss. Da werden Volkswirtschaften komplett umgebaut, das ist überhaupt keine Frage. Es geht nicht darum, Verzicht zu verhindern. Wenn man glaubt, dass man diese Entwicklung stoppen kann, dann ist das als wollte man mit beiden Händen eine Flut aufhalten. Die Klimatransformation wird passieren, das braucht man gar nicht ideologisch betrachten. Diese Weichen sind gestellt: Dorthin geht das Geld, dorthin gehen alle Bemühungen und Transformationen. Und wer hofft, dass man das aussitzen oder ignorieren kann, ist auf dem falschen Dampfer.

Den EU-Aufbaufonds und seine Zweckwidmung für Klimainvestitionen hält Spalt für gut. Er hält aber die Versuchung der Regierungen für groß, das Geld "in Budgetlöcher zu kübeln und grün drüberzupinseln". Hier ein Bild von den jüngsten Überschwemmungen in Bayern.
Foto: Imago/Bernd März

STANDARD: Sind ja auch Chancen drin, oder?

Spalt: Ja, in dieser Entwicklung liegen riesige Chancen, da werden auch nachhaltige Arbeitsplätze geschaffen. Mir ist das Herangehen an das Thema zu larmoyant, zu defensiv, zu verzagt – viel besser wäre mehr Selbstbewusstsein und Freud'. Wenn man die hat, gelingt viel.

STANDARD: Österreich bekommt aus dem EU-Aufbaufonds 3,5 Milliarden, ungefähr 40 Prozent davon fließen in Klimainvestitionen, 20 Prozent in die Digitalisierung. Ist das okay?

Spalt: Ja, das ist der richtige Weg. Wobei ich nicht verstehe, dass niemand vom dritten Aspekt redet: den Strukturreformen. Wir brauchen eine Reform des Pensionssystems, des Arbeitsmarkts, der Pflege. Meine Sorge ist, dass die Versuchung der Regierungen groß ist, das alles in Budgetlöcher zu kübeln und grün drüberzupinseln. Aber wenn wir das ernst nehmen und das Geld wie gedacht investieren, dann könnten wir was schaffen damit.

STANDARD: Da reichen 3,5 Milliarden Euro?

Spalt: Nein, es wird Co-Finanzierungen brauchen, und daher geht es um viel mehr als 3,5 Milliarden. Wenn die kommen und Auswirkungen im supranationalen Bereich haben, dann kann sich das Volumen dieser grünen Investitionen auch auf das Zehnfache erhöhen.

STANDARD: Meinen Sie da Effekte in der EU?

Spalt: Ja, wir und die Politik müssen uns überlegen, was unsere Region attraktiver machen kann, was uns eigentlich verbindet. Wir sollten Projekte schaffen, die auch junge Leute davon überzeugen, dass sie die Region zu einem besseren Ort machen. Egal ob es um Hochgeschwindigkeitszüge geht, die Regionen besser erschließen und miteinander verbinden – oder um die Donau.

STANDARD: Die Donau?

Spalt: Ja, die Donau ist der Fluss, der uns verbindet und durch sehr viele unserer Länder fließt. Und die Donau ist der schmutzigste Fluss Europas, weil jeder kübelt alles rein. Echt blöd, oder? Wenn wir es grenzüberschreitend schaffen, dass der Fluss wieder blau wird, dass sich dort wieder Tiere und Pflanzen ansiedeln, dass man wieder fischen und baden kann, dass die Donau ein Erholungsgebiet wird, wenn wir das attraktiv finden, dann machen wir das doch! Wir sollten nicht immer über Milliarden reden, die irgendwo reinfließen, sondern darüber, was nachher besser ist.

Blau ist die Donau hier bei der Wiener Reichsbrücke zwar nicht, aber von Umweltschützern beschwommen: Chemiker und Schwimmer Andreas Fath und Schwimmer Thorsten Hüffer im Rahmen des neuen Projekts "Cleandanube – Schwimmen für eine Donau ohne Mikroplastik" der Association for Wildlife Protection (AWP).
Foto: APA/Pfarrhofer

STANDARD: Welche Rolle könnten die Banken dabei spielen?

Spalt: Wir können Geld dafür und Strukturen zur Verfügung stellen. Und als Banker, die wir unsere Regionen gut kennen, wären wir gute Diskussionspartner.

STANDARD: Und würden sich in Ideologiekonflikten wiederfinden.

Spalt: Es geht nicht um Ideologie, es geht nicht um gut oder schlecht. Es geht darum, dass wir uns alle von ein bisschen nichtgrün zu ein bisschen "mehrgrün" transformieren. Es geht nicht um: hier das tolle Grün, hier das böse Braun. Es geht nicht darum, dass man das eine abschaffen und das andere fördern muss – es geht darum, besser zu werden. Und da können Banken eine große Rolle spielen, wenn sie Eigenkapital arrangieren und Fremdkapital zur Verfügung stellen.

STANDARD: Vor ziemlich genau einem Jahr haben Sie gesagt, man müsse die steuerlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen, damit einfache Sparer ihr Geld in Unternehmen investieren. Ist da etwas geschehen?

Spalt: Nein, genau gar nichts.

STANDARD: Hört Ihnen niemand zu?

Spalt: Doch, wir haben gute Gespräche – aber solange das nicht im Bundesgesetzblatt steht, ist es wertlos. Warum da nichts passiert, das weiß ich nicht. Wobei es viel Erklärungsbedarf gäbe: Den Sparern müsste man erklären, dass solche Investments mit ein bisschen mehr Risiko sinnvoll sind, weil die österreichischen Unternehmen vom Aufschwung profitieren werden. Und den Unternehmern, die Kapital wollen, aber keine Mitsprache wünschen und ihr Unternehmer auch nicht verkaufen wollen, müsste man erklären, dass es nur um vorübergehende Beteiligungen geht.

STANDARD: Werden die Banken umweltschädigende Investitionen künftig nicht mehr finanzieren?

Spalt: Die Umwelttangente wird künftig sicher eine Rolle spielen bei der Finanzierbarkeit von Projekten. Die Banken werden sich das Know-how aneignen müssen, um die Klimakomponente betriebswirtschaftlich einordnen zu können. Bestimmte Dinge werden nicht mehr finanziert werden. Aber es werden nicht die Banken sein, die etwas abdrehen, sondern es wird einen gesellschaftlichen Konsens geben, einen politischen Willen, was wünschenswert ist und was nicht.

STANDARD: Letztlich wird es aber die Entscheidung der Bank sein, ob sie Kredit gibt oder nicht.

Spalt: Das war immer schon so. Eine Bank ist keine Religionsgemeinschaft und keine Ideologiegemeinschaft, sondern ein Dienstleister. Wenn die gesellschaftliche und regulatorische Debatte bewirkt, dass bestimmte Energiequelle oder Industrien unerwünscht sind, dann wird das auch Einfluss darauf haben, ob diese Projekte den nötigen Cashflow für die Rückzahlung des Kredits erwirtschaften können. Wir sollten uns von diesen Ideologien befreien: Es ist ja nicht so, dass Unternehmen die nächsten 40 Jahre unbedingt Braunkohle schürfen und Kredite dafür haben wollen, sondern sie wissen ja, was geschieht. Sie wollen einen Weg sehen, wie sie zu den neuen Zielen kommen können.

Am 6. März 2008 mauerten Greenpeace-Aktivisten den Haupteingang zur Erste- Bank-Zentrale am Wiener Graben zu. Es ging ums Kernkraftwerk Mochovce.
Foto: Andy Urban

STANDARD: 2008 hat Greenpeace den Eingang zur Erste-Zentrale am Graben mit Ytong-Steinen zugemauert …

Spalt: Super Beispiel. Die NGOs warfen uns vor, dass wir die Reaktorblöcke 2 und 3 von Mochovce finanzieren. Das hat zwar nicht gestimmt, aber egal: Atomkraft nahe der Grenze ist in Österreich seit Zwentendorf nicht erwünscht, und wir wurden sehr kritisiert für unser Engagement. Aber in Tschechien, der Slowakei und in Rumänien gibt es keinen gesellschaftlichen und politischen Konsens, ob Atomstrom gut oder böse ist, auf europäischer Ebene auch nicht. Und das, bei allem Respekt, kann eine Bank nicht entscheiden, das muss politisch und gesellschaftlich entschieden werden.

STANDARD: Und was macht die Erste Group heute, wenn Kunden aus Osteuropa von ihr Geld wollen für Atomkraftwerke?

Spalt: Wir finanzieren keine neuen Nuklearkernkraftwerke. Wenn es in unserer Region bestehende Kernkraftwerke gibt, die für die Energieversorgung essenziell sind und die in eine Verbesserung der Sicherheit investieren wollen, dann finanzieren wir das.

STANDARD: Wenn Gesellschaft und Politik entschieden haben, was gut und böse, was finanzierbar und was nicht finanzierbar ist: Wird das dann in Gesetze gegossen?

Spalt: Ja, irgendwann wird auch die europäische Taxonomie sagen: Atomstrom ist gut oder nicht gut – und man kann ihn finanzieren oder nicht.

STANDARD: Letztlich kann das doch der Markt entscheiden? Die Aktionäre, die sagen, an einer Bank, die Atomkraftwerke oder von mir aus die Vorarlberger Bodensee-Schnellstraße S18 finanziert, beteilige ich mich nicht.

Spalt: Ich kann das nur für uns sagen, die wir viele US-Fonds zu unseren Investoren zählen: Sie werden sich mit der S18 nicht beschäftigen. Nein, man kann es der Politik nicht ersparen: Da braucht es gesellschaftlichen Konsens, das ist nichts, was Banken entscheiden können oder sollen. Denn davon verstehen wir nichts, das kann nicht unsere Rolle sein.

STANDARD: Werden Sie Kunden verlieren, wenn Sie Ihre Kreditvergabestrategie ändern?

Spalt: Nein, unsere Kunden wissen ja, was sich gerade tut. Ihnen müssen wir nicht wie ein Kindermädchen erklären, was gerade passiert auf der Welt.

Das Thema Inflation hält Bankchef Spalt derzeit für "kleingeredet", man müsse die Entwicklung genau im Blick behalten.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Was ist denn Ihre größte Sorge derzeit?

Spalt: Dass wir wie im Vorjahr zu optimistisch in den Herbst hineingehen und dann fürchterlich enttäuscht sind, wenn es wieder Lockdowns gibt. Denn das wäre in jeder Hinsicht schlecht. Ich hoffe, dass alle alles daransetzen, dass es nicht passiert. Das ist eine meiner Kernsorgen. Zudem müssen wir das Thema Inflationsgefahr im Auge behalten – das Thema wird gerade kleingeredet: Es gibt einen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften, Preisdruck bei Roh- und Baustoffen, zum Teil nicht mehr funktionierende Lieferketten und zudem einen Riesenpreisdruck bei Immobilien. Das lässt sich nicht wegdiskutieren, das muss man beobachten.

STANDARD: Freuen Sie sich trotzdem schon auf September?

Spalt: Auf September?

STANDARD: "Keine Zeit zu sterben" mit Daniel Craig.

Der neue James Bond soll im Herbst in die Kinos kommen, jetzt aber wirklich. Im Bild das Mozart Kino in Salzburg.
Foto: APA/Barbara Gindl

Spalt: Den James Bond schau ich mir hundertprozentig an. Ich glaube, die Trailer, die es gibt, sind schon fast so lang wie der ganze Film. Den muss man anschauen, schon der Vollständigkeit halber. Wenn Sie wollen, erzähle ich Ihnen dann, wie er war. (Renate Graber, 7.8.2021)