Verfassungsrechtler Heinz Mayer plädiert für geheime Abstimmung im ORF-Stiftungsrat.

Foto: APA / Roland Schlager

Wien – In die Debatte rund um die offene Wahl der ORF-Generaldirektion schaltet sich nun auch Verfassungsrechtler Heinz Mayer ein. In einem Interview mit der "Presse" erklärt er: "Ich kenne keinen Verein, in dem der Vorstand in offener Wahl bestimmt wird."* Gesellschaftsrechtler Martin Schauer indes verweist auf Vorschriften für offene Abstimmungen nach dem Aktienrecht, an sich das ORF-Gesetz von 2001 mehrfach orientiere.

Das Vorgehen beim ORF halte er für "völlig unerträglich". Eine geheime Wahl würde hingegen "zumindest eine Überraschung ermöglichen", erinnert er etwa an die Wahl Gerd Bachers Ende der 1970er-Jahre.

Das ORF-Gesetz sieht seit 2001, damals initiiert und beschlossen von den Koalitionsparteien ÖVP und FPÖ, eine offene Abstimmung vor, Monika Lindner wurde mit dieser Regelung Ende 2002 bestellt, Alexander Wrabetz ebenso 2006, 2011 und 2016. Wenn diese Bestimmung seit 2001 angefochten wurde, dann nicht mit Erfolg.

Parteieneinfluss "nicht völlig zu beseitigen"

Den Einfluss politischer Parteien werde man auch in Zukunft "nicht völlig beseitigen" können, aber "man muss den Einfluss zurückdrängen, damit die nicht völlig allein bestimmen können, wer Generaldirektor wird", erklärt Mayer. Österreich sei viel zu klein, "um ausreichend viele Leute zu finden, die da infrage kommen", sagt Mayer in Hinblick auf die Auswahl unabhängiger Stiftungsräte. "Die müssten wohl aus dem Ausland kommen." Weiters könne man der Redakteursvertretung und dem Betriebsrat "einen stärkeren Einfluss geben".

Haftungsfrage

Mayer lässt mit einer Haftungsfrage aufhorchen: "Wenn eine öffentliche Ausschreibung erfolgt, ist nach der Judikatur Gewähr dafür zu bieten, dass wirklich derjenige genommen wird, der die Ausschreibung am besten erfüllt", so Mayer. "Wenn der Beste übergangen wird und jemand genommen wird, der weniger qualifiziert ist, dann gibt es einen Schadenersatzanspruch des Betreffenden."

Andere vom STANDARD befragte sachkundige Juristen geben allerdings zu bedenken, dass der Nachweis des oder der Besten nicht so einfach sein könnte.

Gesellschaftsrechtler widerspricht

Gesellschaftsrechtler Martin Schauer vom Institut für Zivilrecht am Wiener Juridicum verweist darauf, dass das Aktiengesetz die Form der Abstimmung im Gegensatz zum ORF-Gesetz nicht festlege. Verbreitete Lehrmeinung sei aber, dass im Regelfall offen abgestimmt werde und es im Ermessen des Aufsichtsratsvorsitzenden liege, eine geheime Abstimmung anzuordnen oder zuzulassen. Die Fachliteratur sei dazu aber "sehr zurückhaltend", Fachkommentare würden sie etwa nur zulässig sehen, wenn eine spätere Prüfung der Stimmabgabe möglich sei.

Denn: "Sonst läuft die persönliche Verantwortlichkeit und damit die persönliche Haftung ins Leere", sagt Schauer im Gespräch mit dem STANDARD.

Aus gesellschaftsrechtlicher Sicht sieht er Mayers Position kritisch, dass es bei der Bestellung nur eine richtige Wahl geben könne. Schauer verweist auf das sogenannte Business Judgement Rule, wonach Mitglieder eines Aufsichtsrates etwa nicht hafteten, wenn sie aufgrund einer angemessenen Information eine unternehmerische Entscheidung träfen und sie davon ausgehen könnten, das sie im Interesse des Unternehmens handeln.

"Schwammige" Ausschreibung

Der Arbeitsrechtler Wolfgang Mazal kritisierte im "Kurier" die Ausschreibung für den Generaldirektorenposten. So meinte er, die Ausschreibung sei "völlig schwammig formuliert". Im Grunde könne jeder, der zum Beispiel fünf Jahre Journalist war oder Führungserfahrung vorweisen könne, ORF-General oder -Generalin werden. "Das ist so elastisch ausgelegt, da muss man kein Großunternehmen geführt haben."

Erst Mittwochabend sah der amtierende ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz die Ausschreibungskriterien bei seinem härtesten Mitbewerber, ORF-Vizefinanzdirektor Roland Weißmann, nicht erfüllt. Dieser sei lediglich ein "ordentlicher Abteilungsleiter", weise aber keine Erfahrung in der Unternehmensführung auf.

Wrabetz schlug Weißmann dem Stiftungsrat 2020 zum Geschäftsführer der ORF-Onlinetochterfirma ORF On vor, der seinen nunmehrigen Gegenkandidaten im Juni des Vorjahres bestellte. 2012 machte er Weißmann mit der Funktion des Chefproducers laut Firmenbuch zum Gesamtprokuristen des ORF, der mit einem zweiten Gesamtprokuristen vertretungsberechtigt ist. (APA, red, 6.8.2021)