Bellezza (Regula Mühlemann) freut sich über ihrer Bekanntheit.

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Jene, die wir musikalisch vermissen, die Mitglieder des Klubs 27 – Brian Jones, Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison, Kurt Cobain und Amy Winehouse –, hatten zumindest dieses Problem nicht wirklich: Sie sind zu früh abgetreten, um sich mit den Fragen des Altwerdens gründlich auseinandersetzen zu können. Anders die quirlige Bellezza (Regula Mühlemann) im Haus für Mozart bei den Salzburger Festspielen. Sie hat sich an die Spitze des Wettbewerbs "World’s Next Topmodel" gecastet. Nun genießt sie in vollen Zügen, was so ein Triumph an Scheinwerfer-Annehmlichkeiten und flüssigen wie festen Glücksverstärkern mit sich bringt, während in der rasenden Ouvertüre geigenmäßig mit der Intonation gekämpft wird.

Aufgeregt und geschäftstüchtig ist auch das Umfeld: Die im roten Businessanzug herumstolzierende Agentin Piacere (Cecilia Bartoli), das personifizierte Vergnügen, lässt Bellezza einen Vertrag unterschreiben. Garantiert wird nicht weniger als der Stillstand der Zeit. Also: ewige Jugend in einer rosa Wolke aus Rausch und Genuss. Keine Falten und Wehwehchen. Älter werden dürfen andere.

Argumente dagegen

Doch leider: Es stört Priester Tempo, dem Charles Workman lyrische Momente schenkt (und Kämpfe mit Koloraturen). An dessen Seite mahnt auch noch der intellektuell schwarzbebrillte Therapeut Disinganno (glänzend: Lawrence Zazzo) zur Einsicht. Sie repräsentieren Zeit und Erkenntnis, was bedeutet, der Schönheit und dem Vergnügen die Party zu verderben. Die junge Bellezza wird also quasi an ihre Endlichkeit erinnert.

Regisseur Robert Carsen hat den Konflikt um die ewige Frage, wie wir unser Dasein fristen sollen, leichtfüßig, showbunt und dann auch im Sinne der gegensätzlichen Positionen zwischen Hedonismus und gottesfürchtiger Entsagung kontrastreich inszeniert. Wie schon bei den Salzburger Pfingstfestspielen – wir sind hier bei einer Wiederaufnahme – lädt Carsen zunächst in ein stressig-überdrehtes TV-Studio. Bellezza wird von einer Livekamera verfolgt und auf Leinwänden groß "rausgebracht". Drumherum würzen effektvolle Choreografien (Rebecca Howell) die partyselige Hektik. Bellezza verguckt sich schließlich auch in den DJ, der unter der Discokugel Groove produziert. Horizontales Vergnügen ist schließlich Teil ihres Lebensmenüs.

Christlich geprägt

Nun ist das hier aber keine Parodie auf den Charakter der Showwelt. In Georg Friedrich Händels Oratorium Il trionfo del tempo e del disinganno geht es um ein lebensphilosophisches Match zwischen den Teams Schönheit/Vergnügen und Zeit/Erkenntnis. Und: Die christliche Parteilichkeit tendiert natürlich in Richtung des zweiten Teams. So mutiert die Vergnügungsparty zusehends zur psychologischen Studie einer an den sinnlich reizvollen Seiten des Lebens zweifelnden, einsamen Frau. Das Vergnügen, welches Cecilia Bartoli gewohnt flexibel, intensiv und vibratostark porträtiert (samt herrlichem Hit Lascia la spina), hat es mit Bellezza immer schwerer.

Sie tendiert langsam, aber sicher eher zerknirscht Richtung innere Einkehr. Auch szenisch wird es zusehends glanzfreier: Da liegt Bellezza beim Psychodoktor "Erkenntnis" auf der Couch, um schließlich in einen riesigen Spiegel der Selbsterkenntnis zu blicken, der auch das Masken tragende Publikum im Haus für Mozart auf sich selbst zurückwirft.

Der moralische Zeigefinger

Ziemlich groß gerät aber letztlich der imaginäre moralische Zeigefinger, es wird ein bisschen verklemmt: Bellezza singt plötzlich von Reue, Buße und gottlosem Begehren. Carsen lässt, wie der Titel des Werkes es fordert, Zeit und Erkenntnis etwas zu kommentarlos im Sinne der Geistlichkeit über Schönheit und Sinnesvergnügen triumphieren.

Regula Mühlemann vermittelt Bellezzas Geschichte innig und in dramatischen Koloraturpassagen mit Mut zum hörbaren Grenzgang. Wie sie es schafft, bei der Schwere der Partie auch darstellerisch abseits des trägen Rampentheaters zu agieren – Kompliment! Im Negligé geht sie auf einer schließlich von allem Prunk leer geräumten Bühne aber ohne viel Effekt langsam und asketisch ab.

Genuss und Freude

Im Orchestergraben klingt es jedoch durchaus lebensfroh. Die Musiciens du Prince-Monaco geben sich zwar historisch informiert, also klanglich schlank. Dirigent Gianluca Capuano, der in der Spiegelszene auch für Zuschauer sichtbar wird, hält gottlob nichts von Entsagung. Da spürt man eine Verbindung mit szenischen Vorgängen. Es ist Rasanz dabei wie lyrisch-nachdenkliche Verlangsamung der Zeit oder Melancholie.

Das Orchestrale zeigte es immerhin: Musikerkenntnisse sind nichts wert – ohne Schönheit und das Vergnügen ihrer Umsetzung. (Ljubiša Tošic, 6.8.2021)