Fragen in der Grundlagenforschung: Wann entscheiden sich Fruchtfliegen für Sex statt Essen – und umgekehrt?
Bild: IMBA

Liebe geht durch den Magen, könnte man sagen: Eine Person, der den halben Tag lang die Nahrungsaufnahme verwehrt ist, etwa weil sie fastet, und die danach wieder essen darf, wird meist entsprechende Prioritäten setzen. Dann müssen andere starke Bedürfnisse, die ebenfalls in dieser Zeit zurückstecken mussten, weiter warten – etwa den Sexualtrieb.

Was für Menschen relativ naheliegend ist, muss so aber nicht für Fruchtfliegen gelten. Um die Prozesse der Entscheidungsfindung zu erforschen, die letztendlich das Verhalten in solch einer Extremsituation bestimmen, hat ein Forschungsteam der britischen Universitäten Birmingham und Oxford daher das beliebte Modellorganismus-Insekt herangezogen, wie sie im Fachjournal "Current Biology" schreiben. An seinem relativ einfach gebauten Gehirn mit etwa 100.000 Neuronen lassen sich Grundlagen komplexen Verhaltens gut erforschen – zum Vergleich: Das menschliche Gehirn hat etwa 86 Milliarden Neuronen.

Schnell Energie tanken, dann sofort zum Weibchen

Dafür setzten sie verschiedene Versuche an, um die Verhaltensweise männlicher Fruchtfliegen zu beobachten, wenn ihnen nach mehrstündigem Futter- und Sex-Entzug beide Optionen zur Wahl stehen. Außerdem behielten sie über bildgebende Verfahren die Aktivität ihrer Nervenzellen beim Treffen der Entscheidung im Blick.

Das Ergebnis: Die ausgehungerten Fliegen entschieden sich ab einer Fastenzeit von 15 Stunden eindeutig dafür, erst einmal einen Schluck Zuckerlösung zu sich zu nehmen. Einige von ihnen wandten danach aber sofort ihre Aufmerksamkeit der Paarung zu: Schon wenige Sekunden nach der Stärkung balzten sie eine geköpfte weibliche Fruchtfliege an, die sich auch in unmittelbarer Nähe befand.

Auch Futterqualität ist entscheidend

Doch nicht immer kommt es zu diesem Verhalten, die Bedingungen spielen ebenfalls eine Rolle. Beispielsweise die Qualität der Nahrungsquelle: Schlechtes Futter, das die Fliegen kaum verarbeiten können und das weniger Kalorien liefert, wird auch von hungrigen Fliegenmännchen angesichts der Möglichkeit zur Paarung links liegen gelassen.

Carolina Rezaval, Leiterin des Forschungsteams der Uni Birmingham, beschreibt, woher die Tiere wissen, was sie tun sollen: "Die Neuronen, die der Fliege sagen, ob sie fressen oder sich paaren soll, konkurrieren im Wesentlichen miteinander. Wenn das Bedürfnis nach Futter am dringlichsten ist, werden die Fressneuronen die Oberhand gewinnen. Wenn die Gefahr des Verhungerns geringer ist, wird der Drang zur Fortpflanzung siegen." In der Studie fand sie heraus, dass der Signalweg des Eiweißstoffs Tyramin hierfür wichtig ist. Es kann sozusagen die Balzneuronen aktivieren, die aber wiederum gehemmt werden, wenn eine nahrhafte Futterquelle wahrgenommen wird oder der Hunger generell zu groß ist.

Solche Erkenntnisse über die molekularen Wirkungsmechanismen sind ein essenzieller Teil der Grundlagenforschung. Letztendlich können sie auch helfen zu verstehen, wie komplexere Gehirne funktionieren. Und auch bei Krankheiten wie Parkinson, Alzheimer und verschiedenen Süchten werden Entscheidungsprozesse beeinträchtigt, die man immer besser im Detail analysieren will – auch wenn die Methoden manchmal etwas seltsam anmuten. (sic, 6.8.2021)