Corona-Verharmloser Sucharit Bhakdi war Stammgast bei Servus TV – hier im Interview mit Senderchef Ferdinand Wegscheider.

Foto: Screenshot/Youtube/ServusTV

Wien – Die regelmäßigen Gastauftritte von Corona-Verharmlosern wie Sucharit Bhakdi dürften nicht ohne Wirkung auf das Publikum sein: Unter den Zusehern von Servus-TV-Magazinen wie Talksendungen sind 21 Prozent der Meinung, dass das Coronavirus nicht gefährlicher ist als eine normale Grippe, während bei den Nichtsehern von Servus TV nur elf Prozent dieser Ansicht sind. Beim ORF liegt der Anteil an Corona-Verharmlosern beim Publikum hingegen nur bei zehn Prozent, während er bei jenen, die keine ORF-Magazine konsumieren, bei 18 Prozent liegt.

Das sind zentrale Ergebnisse des Austrian Corona Panel Project (ACPP) der Universität Wien, die Jakob-Moritz Eberl und Noëlle S. Lebernegg erhoben und am Freitag in ihrem Blog veröffentlicht haben. Die Quintessenz lautet: Es gebe "alternative Covid-Realitäten" des österreichischen TV-Publikums.

Verharmloser

"Über diese TV-Sendungen wird eine komplett andere Realität dieser Pandemie kommuniziert. Das ist problematisch, weil wir wissen, dass wir diese Pandemie nur gemeinsam lösen können", sagt Studienautor Jakob-Moritz Eberl im Gespräch mit dem STANDARD: "Da wäre es komisch, wenn sich der ORF mehr Servus TV und oe24.tv annähert, auf Basis dieser Daten macht das keinen Sinn, wenn wir uns einig sind, dass das Coronavirus gefährlicher ist als eine normale Grippe, die Impfungen notwendig sind et cetera."

Magazine und Talksendungen abgefragt

Die repräsentative Panelumfrage unter 1.500 Personen untersuchte die TV-Nutzung und die Einstellungen zu Corona. Konkret geht es um den Konsum von Magazinen und Talksendungen wie "Im Zentrum", "Talk im Hangar" oder "Pro und Contra" und nicht um Nachrichtensendungen. Unterschieden wird zwischen Personen, die solche Sendungen mindestens einmal in der Woche konsumieren, und jenen, die das seltener oder gar nicht tun. Sie werden als Nichtnutzer klassifiziert.

Starker Medienkonsum

Rund zwei Drittel der Bevölkerung verfolgen regelmäßig TV-Magazine, -Dokumentationen und -Diskussionssendungen, um sich über die Corona-Krise zu informieren. Am beliebtesten sind dabei die Formate des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ORF, führen die Studienautoren aus: 50 Prozent der Befragten geben an, im letzten Monat mindestens einmal in der Woche eine solche Sendung gesehen zu haben. Deutlich abgeschlagen folgen Servus TV (33 Prozent), die Sender Puls 4 und Puls 24 (26 Prozent), ATV und ATV 2 (24 Prozent), der Sender oe24.tv (20 Prozent) und Krone TV mit nur 11 Prozent.

Mediennutzung

Ein weiterer Aspekt der Studie war der Anteil der "Gates-Verschwörer" unter den Befragten und ihr Medienkonsum. Gefragt wurde nach der Zustimmung beziehungsweise Unsicherheit bei der Aussage, ob Bill Gates die Menschheit zwangsimpfen wolle, um damit viel Geld zu verdienen. Hier identifizieren die Studienautoren signifikante Unterschiede beim ORF, Servus TV und oe24.tv. Es zeigt sich, dass unter ORF-Nutzern seltener "Gates-Verschwörer" zu finden sind (21 Prozent) als unter ORF-Nichtnutzern (30 Prozent). Bei Servus TV ist das Verhältnis mit 31 zu 22 Prozent wiederum genau umgekehrt. So auch bei oe24.tv mit 33 zu 23 Prozent.

Gates-Verschwörer

Eine andere Tangente der Befragung ist der Zusammenhang zwischen dem Nutzungsverhalten und der Impfbereitschaft der Befragten (das heißt dem Anteil an Geimpften beziehungsweise Impfwilligen). Signifikante Unterschiede zeigen sich wieder bei ORF und Servus TV, schreiben die Studienautoren. ORF-Nutzer zeigen eine deutlich höhere Bereitschaft, sich impfen zu lassen (80 Prozent), als ORF-Nichtnutzer (61 Prozent). Wieder zeigt sich bei Servus TV ein umgekehrtes Bild: Unter Servus-TV-Nutzern sind weniger Menschen (60 Prozent) bereit, sich impfen zu lassen, als bei den Servus-TV-Nichtnutzern (76 Prozent).

Impfbereitschaft

Studienautor Eberl sagt dazu: "Am ehesten erhöhen wir die Impfbereitschaft, wenn wir von Verantwortlichen bei Servus TV oder etwa FPÖ-Veranstaltungen mehr Zuspruch erleben würden. Warum sie das nicht machen, hat unter anderem strategische Gründe. Im Sinne der Pandemiebekämpfung wäre das einer der stärksten Hebel, aber es ist nachvollziehbar, warum sich diese Akteure für diese Strategie entschlossen haben: weil sie ein Wähler- beziehungsweise Zuseherpotenzial identifizieren können."

Corona-Maßnahmen

Deutliche Unterschiede zwischen den Sendern gibt es auch bei der Einschätzung der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus, zeigt die Studie. Unter den ORF-Nutzern sind 20 Prozent der Meinung, dass die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus ein Fehler waren. Bei den ORF-Nichtnutzern steigt der Anteil auf 28 Prozent. Unter Nutzern von Formaten bei Servus TV oder oe24.tv zeigt sich wiederum ein umgekehrtes Muster: 34 Prozent der Nutzer und 19 Prozent der Nichtnutzer von Servus TV und 35 Prozent der Nichtnutzer sowie 21 Prozent der Nichtnutzer von oe24.tv stehen der Maßnahmensetzung kritisch gegenüber.

Maßnahmenkritiker

Was die Studie nicht kann, ist Kausalität von Korrelation unterscheiden. "Wir können nicht sagen, ob Servus TV das den Leuten einredet. Es kann sein, dass Personen diese Einstellungen schon grundsätzlich haben und sich dann erst entscheiden, diese Sendungen zu verfolgen, weil sie eher ihren Inhalten entsprechen", erklärt Eberl, aber: "Im Endeffekt sollte es diesen Sendern egal sein, ob es eine Korrelation oder Kausalität ist, denn es ist in jedem Fall problematisch. Ihre Zuseher fühlen sich offenbar wohl und in ihrem Irrglauben und ihrer Verschwörungstheorie oder Impfskepsis bestätigt."

Verantwortung des Senders

Er, Eberl, glaube nicht, dass Servus-TV-Senderchef Ferdinand Wegscheider möchte, dass die Zuseher an Verschwörungstheorien glauben oder sich nicht impfen lassen, aber: "Er hat es in seiner Verantwortung, sie zu erreichen." Wegscheider spricht beispielsweise in seinem satirischen Wochenrückblick "Der Wegscheider" regelmäßig von einer "Plandemie". Kürzlich sagt er in einem APA-Interview, dass ihn die anderen Sender und Medien an "totalitäre Staaten" erinnern würden, "weil sie den kritischen Teil der Wissenschaft aussperren".

Zum "kritischen Teil der Wissenschaft" dürfte für Wegscheider demnach auch Sucharit Bhakdi, ehemaliger deutscher Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie und eine Ikone der Corona-Leugner- und Verharmloser, gehören. Der Senderchef selbst interviewte ihn zweimal in einer Spezialsendung, Bhakdi bekam regelmäßige Auftritte in Talksendungen wie dem "Corona-Quartett" oder im Februar 2021 in der Servus-TV-Reportage "Geächtet und ausgegrenzt – die Corona-Kritiker!", als Bhakdi unwidersprochen sagte, dass die Pandemie vorbei sei.

"Armutszeugnis"

Wegscheider werden die Studienergebnisse möglicherweise nicht interessieren, vermutet Eberl, aber vielleicht werde das einer größeren Öffentlichkeit bewusst. "Ich kenne noch immer genug Leute, die sagen, was ist das Problem bei 'Talk im Hangar', da wird ja so super diskutiert. Das Problem ist, wen sie einladen. Das trägt nicht dazu bei, dass die Impfskepsis oder Verschwörungstheorien bekämpft werden. Eher im Gegenteil", sagt Eberl, der auch Servus-TV-Dauergast Bhakdi ins Spiel bringt: "Es war von Anfang an klar, dass es sich um eine problematische Figur handelt. Da braucht es antisemitische Aussagen, bis man sich von so einer Person distanziert. Das ist ein Armutszeugnis." Wie berichtet, plant Servus TV keine weiteren Auftritte mehr mit Bhakdi, nachdem er etwa Israel als "lebende Hölle" bezeichnet hat.

False Balance bei Talksendungen

Leute wie Bhakdi würden gerne hofiert, weil man der Meinung sei, dass objektive Berichterstattung bedeute, dass man alle zu Wort kommen lassen müsse. "Das ist journalistisch nicht immer sinnvoll, und man stolpert in die Falle der False Balance rein. Wenn die einen nur Falschinformationen verbreiten, muss man sich die Frage stellen, warum man für sie eine Bühne hergeben soll. Postfaktische Aussagen sollten nicht den gleichen Platz im Diskurs haben wie wissenschaftliche Erkenntnisse", so Eberl. Dann sehe es aus, als stünde es eins gegen eins: "Der normale Zuseher kann das nicht so leicht voneinander unterscheiden."

Radikalisierung und Misstrauen in Institutionen

Eberls Conclusio: "Wir liefern die wissenschaftlich fundierte Basis von etwas, das wir uns alle seit letztem Jahr gedacht haben. Die Beweislage ist erdrückend." Und: "Auch wenn es eine Korrelation wäre und Personen mit diesen Einstellungen sich daher erst dazu entscheiden, Servus TV zu schauen, fühlen sie sich bei diesem Sender offensichtlich durch die Bank bestätigt. Allein das sollte einem Sender zu denken geben. Denn diese Verschwörungstheorien fördern Misstrauen in Demokratie und Institutionen. Das kann auch zur Radikalisierung führen. Der Sender Servus TV hat da eine Verantwortung, der er sich bewusst sein sollte." (Oliver Mark, 6.8.2021)