
In dieser Asylunterkunft im zehnten Wiener Gemeindebezirk hat der 52-jährige S. seine Frau erstochen.
Wien – Welches Drama sich in einer Flüchtlingsunterkunft in Wien-Favoriten am 3. Februar genau abgespielt hat, kann nur noch der 52-jährige Angeklagte S. erzählen. Denn seine Frau, die damals mit ihm im Zimmer war, wurde an jenem Tag getötet, S. als mutmaßlicher Täter festgenommen. Fünf Messerstiche in den Hals haben laut medizinischem Gutachten nach etwa fünf bis zehn Minuten zum Tod der 45-Jährigen geführt.
S. gestand an jenem Februartag gegenüber der Polizei die Tat, und auch am Freitag vor Gericht. Ihren Tod habe er aber nicht herbeiführen wollen, sagt S., der einen Dolmetscher benötigt. "Ich weiß, dass fünf Messerstiche tödlich sein können. Aber in dem Moment war ein schwarzer Schleier über mir."
Probleme seit der Flucht nach Österreich
Was war passiert? S. berichtet über heftigen Streit. Wieder einmal. Seit die Familie in Österreich lebte – S. flüchtete 2014 aus Syrien, seine Frau und der gemeinsame Sohn kamen 2016 nach –, sei das immer öfter vorgekommen. S. litt dem psychiatrischen Gutachter Peter Hofmann zufolge seither an einer Depression, sei mit der Entwurzelung nicht zurechtgekommen. Seine Frau habe ein eigenes Konto gewollt, erzählt S., um das Familieneinkommen – etwa 1.400 Euro Sozialhilfe, S. arbeitete außerdem gelegentlich am Bau – zu verwalten. Das sei aus bürokratischen Gründen aber nicht möglich gewesen. Seine Frau sei außerdem viel am Handy gewesen, was ihn störte. Eifersucht sei das nicht gewesen. "Ich wollte nicht, dass sie jemand schlecht berät. Ich wollte, dass sie sich auf uns konzentriert." Auch in einem gemeinsamen Bett habe die Frau nicht mehr schlafen wollen, Sex ebenso wenig.
Vergangenen Herbst reicht das Paar dann die einvernehmliche Scheidung ein, doch kurz bevor diese durch ist, zieht die Frau den Antrag zurück. "Unser Sohn hat weder mit ihr noch mit mir gesprochen. Da habe ich gesagt: 'Schau, was du anrichtest. Lass uns gemeinsam leben'", sagt S. Er zog wieder ein, doch die Streitigkeiten gingen weiter.
Neue Erinnerungen
So auch am 3. Februar. Seine Frau sei schon seit dem Vorabend bedrückt gewesen, S. habe ihr gut zugeredet, Frühstück gemacht. Als er sich an das Bett seiner Frau setzte und ihr über die Haare strich, habe sie sich auf einmal verändert, ihn mit den Beinen vom Bett gestoßen, zu schreien begonnen. S. habe sie gebeten, sich zu beruhigen, doch seine Frau habe ihn bespuckt und das in der Nähe liegende Obstmesser in die Hand genommen. Ein Detail, das S. vor Gericht zum ersten Mal berichtet, was die vorsitzende Richterin wundert. "Ich konnte mich damals nicht erinnern", sagt S. Heute wisse er das. Das Messer habe er ihr sofort weggenommen.
An das Danach könne er sich nicht erinnern. Nur dass seine Frau zu Boden ging. Er habe versucht, ihr zu helfen, habe Mund-zu-Mund-Beatmung gemacht – auch das eine neue Erinnerung. Dann habe S. Hilfe suchen wollen. Er rennt blutverschmiert und mit einem Meldezettel auf die Straße – wo er schließlich auf Polizeibeamte trifft, die ihn zur Wohnung begleiten und die Frau "in einer Blutlacke ohne offensichtliche Vitalfunktionen" vorfinden, wie ein Beamter als Zeuge aussagt.
"Natürlich", sagt S. unter Tränen auf die Frage der Vorsitzenden, ob er die Tat bereut. Auf Nachfrage, wer denn Schuld habe, dass es so weit kam, meint S.: Zu 90 Prozent sie."
Die Zahl 17
Dass dieses Jahr bereits 17 Frauen in Österreich getötet wurden, war im Schlussplädoyer der Staatsanwältin Thema. Sie erinnerte die acht Geschworenen an diese Zahl. "Und heute geht es um eine davon." Auch die vorsitzende Richterin ließ es sich nicht nehmen, auf die aktuelle Situation einzugehen. Diese zeige, "dass es in unserem Land noch immer genug Menschen gibt, die glauben, man kann mit Frauen machen, was man will." Die Verteidigung bat hingegen um eine milde Strafe. Das Paar sei nach der Ankunft in einer schwierigen Situation gewesen. S. habe außerdem seine Frau nicht töten wollen, habe Hilfe geholt.
Die Geschworenen gehen auf diese Bitte nicht ein, sie befinden S. nach kurzer Beratungszeit einstimmig des Mordes für schuldig. Die "besondere Brutalität wegen nichtigem Anlass" lasse nur "eine einzige Strafe" zu, sagt die Vorsitzende zum Strafausmaß, "nämlich lebenslange Haft". Auch weil sie möglichen Nachahmungstätern zeigen wolle, "so ein Verhalten wird hier in Österreich nicht toleriert". S. bat um Bedenkzeit, das Urteil ist somit noch nicht rechtskräftig. (Lara Hagen, 6.8.2021)