Der Südstaatenrassist muss weg: Die Demontage des Robert-E.-Lee-Denkmals in Charlottesville (Virginia) wurde im Juli endlich in die Tat umgesetzt.

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Weiße Überlegenheit ist kein Laster, dessen man sich im Vorbeigehen entledigt. "White Supremacy" ist auch keine lässliche Angewohnheit, die man leichthin, etwa mit dem Auflegen eines Pflästerchens, kuriert. Notorische Rassisten, die mindestens in Gedanken ausspucken, wenn sie "BIPoC" begegnen – Schwarzen, Indigenen, People of Colour –, gehören erst recht nicht zur Kundschaft von Social-Media-Aktivistin Layla F. Saad. Die britische, zurzeit in Katar lebende Dozentin hat sich Rilke zu Herzen genommen. Dessen berühmtes Sonett Archaïscher Torso Apollos endet mit dem aufwühlenden Satz: "Du musst dein Leben ändern."

Saads Imperativ ist aus einer Instagram-Challenge hervorgegangen: #MeAndWhiteSupremacy. Das gleichnamige Buch, ein Bestseller bei Weißen, die guten Willens sind, wirbt mit gleich zwei Aufforderungen: "Bekämpfe Rassismus und verändere die Welt". Und: "Warum kritisches Weißsein mit dir selbst anfängt". Es reicht nicht aus, Rassismus schlecht zu finden. Antirassismus ist eine integrative Lebenspraxis. Wer sich ihr widmet, wird seinen Lebensstil von Grund auf verändern müssen. Mehr noch: Die Tutorin verheißt während ihres Antirassismuskurses die Empfindung von Scham. Sie weissagt Heulen und moralisches Zähneklappern.

Beteuerungen von Weißen, dass sie guten Willens seien, nimmt Layla F. Saad von vornherein keine entgegen. Arbeit am Selbst heischt Gewissenserforschung. Das Privileg, weiß zu sein, fügt BIPoC Schmerz zu. Die weiße Hautfarbe ist eine Konstruktion; als solche bringt sie eine rein fiktive Höherwertigkeit zum Ausdruck. Nutznießer sind ausnahmslos alle Weiße – durch gesellschaftliche Einübung und institutionelle Verankerung.

Verfaulter Kern

Um "bis zum verfaulten Kern deiner verinnerlichten Unterdrückung" vorzustoßen, reicht es nicht aus, das Robert-E.-Lee-Denkmal im eigenen Kopf abzureißen. Weiße leben, ob sie wollen oder nicht, in Komplizenschaft mit rassistischen Verhältnissen. Autorin Saad beerbt in ihrem Buch die Praxis religiöser Gewissenserforschung: Führe Tagebuch! Lege Listen an über Privilegien, die deinen Alltag bestimmen! Wer hingegen die lautstarke Empörung von BIPoC maßregelt, mache sich des Vergehens des "Tone-Policing" schuldig: Er geißelt den Ton, hält sich so umso bequemer das Anliegen vom Leib.

Angehende Antirassisten blicken einem Leben voller Pleiten, Pech und Pannen entgegen. Wer zu rassistischem Unrecht schweigt, stützt weiße Dominanz. Wer sich dagegen zu Protestbekundungen aufschwingt, verhält sich alibihaft: Er entmündigt diejenigen, die er zu unterstützen meint.

Kaum weniger heikel und "weißzentriert" erscheinen Formen kultureller Zuwendung und, horribile dictu, Aneignung. Die antirassistische Lebenspraxis gleicht einem beherzten Gang durch ein Minenfeld. "Optische Solidarität" mit den "Verdammten dieser Erde"? Schon schlecht. Du trittst für die feministischen Anliegen weißer Frauen ein? Ganz schlecht. "Der weiße Feminismus", schreibt Saad, "stellt die Gleichberechtigung weißer (und in der Regel cisgender) Frauen über den Kampf der BIPoC." Und: "Der weiße Feminismus ist ein Arm der weißen Überlegenheit."

Als Gegengift sei einzig "Intersektionalität" wirksam: die lebendige Auffassung von der Vielzahl zeitgleicher Unterdrückungsmechanismen. Wer Saads Lernprogramm absolvieren will, muss Antworten finden auf Fragen wie: "Inwiefern musst du Weißsein und den weißen Blick aus dem Zentrum deiner Betrachtungen entfernen?" Gefordert wird ein Nachsitzen, bis dass die letzte Stunde schlägt: "Ich verpflichte mich zu lebenslanger antirassistischer Arbeit, weil …" Aber ein bisschen lebenslange Anstrengung ist nach 500 Jahren Kolonialismus wohl nicht zu viel verlangt.

Eine Art Kreisverkehr

Noch besteht die Strategie von Aktivistinnen wie Layla F. Saad in einer Art Gebetskreisverkehr. Wenn wir Weißen uns nur alle ganz fest bemühen, uns der Führung durch BIPoC ausliefern, dann, ja, dann ... Um mich als Weißer korrekt zu verhalten, müsste mein Weißsein ganz einfach aufgehoben sein. Es bestünde, in vollendet postrassistischen Verhältnissen, einfach kein Bedarf nach einer gesonderten Wahrnehmung der Eigenschaft "weiß". Bis es jedoch so weit ist, macht auch die Absolvierung von Saads Übungseinheiten Sinn. (Ronald Pohl, 8.8.2021)