Der Kanzler präsentiert sich auch auf Tiktok im Anzug und auf Hochglanz poliert – Bilder, die auf der jugendlichen Video-App selten sind.

Foto: Tiktok/sebastiankurz.at

Sebastian Kurz isst also vieles gerne und gerne vieles. "Von Schnitzel über Tafelspitz bis zu Pizza und Pasta", erzählt er im blauen Sakko in die Kamera.

Seit zwei Wochen ist der Kanzler unter die Tiktoker gegangen – und mit 103.600 Followern (Stand Ende dieser Woche) so etwas wie ein Neo-Influencer. In Videoschnipseln zeigt er sich auf Reisen in New York oder beim Plausch in den Weinbergen des Burgenlandes. Zudem wird die Community zum Posten von Fragen animiert.

Die müssen nicht sonderlich originell sein, um eine Videoreaktion des Bundeskanzlers auszulösen – wobei das auch für die Antworten gilt. Der Clip über die Lieblingsspeisen etwa mag mäßig aufschlussreich sein, sein Publikum hat er gefunden: 900.000-mal wurde er bisher angesehen, 70.000 gaben der diplomatischen Tour durch die Speisekarten ein Like.

Doch nicht alle Userinnen und User sind vom Eintritt des Kanzlers in die jugendliche Hemisphäre der Video-App angetan: Statt ernst gemeinte Fragen über die Arbeit des Kanzlers zu stellen, verwenden viele Nutzer die Kommentarfunktion, um sich über ihn zu amüsieren. Sie unterstellen Kurz, ständig das Spiel "Candy Crush" auf dem Handy zu spielen, auch absurde Aufforderungen wie "Können Sie bitte einmal springen, Herr Bundeskanzler?" finden sich zuhauf.

Chinesischer Konzern

Tiktok hat sich in den letzten zwei Jahren vom Außenseiter der sozialen Netzwerke zum Trendmedium gemausert. Besonders junge Menschen fühlen sich in der App des chinesischen Konzerns Bytedance zu Hause. Mit 689 Millionen monatlichen Nutzern, davon 100 Millionen aus Europa, ist Tiktok zum ernstzunehmenden Rivalen für Instagram und Facebook herangewachsen.

Neben Teenagern, die in selbstgedrehten Handyclips tanzen, über ihren Alltag plaudern oder sich an "Pranks" (Streichen) versuchen, drängen nun immer mehr Konzerne und Politiker auf Präsenz in der App.

Wenig überraschend, dass nun auch die türkise Social-Media-Abteilung aufgesprungen ist, die seit jeher einen Riecher für die massentaugliche Vermarktung ihres Chefs hat. Auf Facebook ist der ÖVP-Obmann mit rund 960.000 Fans innenpolitisch Spitzenreiter in Sachen Reichweite.

Die Zielgruppe der Bald- und Erstwähler erreicht man dort allerdings nicht mehr, die tummeln sich eher auf Tiktok. Dass die Videos dort höchstens eine Minute dauern dürfen und üblicherweise deutlich kürzer sind, ist für Sebastian Kurz wohl das geringste Problem: Die Reduktion auf simple Botschaften beherrscht der Kanzler auf allen Kanälen.

Hofers Huhn, Ludwigs Tanz

Aktuell soll der Tiktok-Auftritt aber primär einem größeren Ziel dienen. Die Jungen sollen von der Wichtigkeit der Corona-Impfung überzeugt werden. In einem zehnsekündigen Video blickt Kurz direkt in die Kamera: "Schützt euch selbst und leistet einen Beitrag, damit wir das Virus gemeinsam zurückdrängen!" Das klingt ähnlich wie bei einer Fernsehansprache, bloß ohne Siezen.

Andere Politiker sind zwar länger auf Tiktok, verfolgen aber andere Ansätze: Ex-FPÖ-Chef Norbert Hofer ist seit 2019 dabei, seine Postings sollen vor allem Privatheit suggerieren – jüngst zeigte er sich beim Streicheln seines Huhns Kunigunde. Auf dem Account von Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) werden in großen Abständen Clips hochgeladen, zuletzt anlässlich der Club-Öffnungen ein selbstironischer Zusammenschnitt des zu Discomusik abtanzenden Stadtchefs.

Die Neos haben auf Tiktok einen Partei-Account und suchen dort auch die Interaktion mit Politikverdrossenen. Die Parteichefin griff etwa das Video einer Userin auf, die "Meinl-Resinger gar nicht mehr aushält". Unter dem Schriftzug "Beate reacts" räumte die Angesprochene Fehler ein und sagte, dass sie Unmut über die selbstbezogene Innenpolitik verstehen könne.

Um Anschluss zu finden, brauchen Politiker kommunikative Hilfe von jenen, die mit der Zielgruppe vertraut sind. Im Social-Media-Team von Kanzler Kurz sind die für den Tiktok-Account zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter laut ÖVP zwischen 19 und 23 Jahre alt. Trotzdem wird bisher wenig Gebrauch von den typischen Stilmitteln der App gemacht: Flotte Schnitte, Spezialeffekte, virale Songs, eingeblendete Emojis und vor allem Memes vermisst man bei dem Auftritt bisher.

Interessant erscheint auch, dass trotz der schnelllebigen Trends Maßstäbe der politischen Aktualität auf der App kaum eine Rolle spielen. Just während der ersten zwei Wochen seines Tiktok-Einstiegs war Kurz sommergrippig – und ließ etliche öffentliche Termine sausen. Aufgrund der täglich hochgeladenen, vorproduzierten Videos bekamen die User die Erkrankung aber überhaupt nicht mit. (Tiana Hsu, Theo Anders, 7.8.2021)


So beurteilen erfolgreiche Tiktoker seinen Auftritt

Carina Berry (@carinaberry)

Carina Berry
1,1 Mio. Follower
Foto: Tiktok / Berry

PROFI-URTEIL:

Die bisherigen Uploads sind bemüht, aber nicht unbedingt optimal auf die Plattform abgestimmt. Tiktok lebt von schnellen Schnitten, Challenges, Handyaufnahmen und Attention-Grabbern. Professionell gedrehte Videos, lange Sequenzen und viel Text funktionieren leider nicht so gut. Generell finde ich es aber als Creator schön, dass auch die Bundesregierung den Wert von Tiktok sieht und versucht, ihre Inhalte kreativ zu vermitteln.

Coolness-Faktor: 3 von 5 Punkten


Paula Wolf (@paulawwolf)

Paula Wolf
2,7 Mio. Follower
Foto: Paula Wolf

PROFI-URTEIL:

Seine persönlich gehaltenen Videos, in denen Kurz Fragen beantwortet, passen gut auf Tiktok. Wie man an der Zahl der Aufrufe erkennen kann, interessieren sich auch viele User dafür. Anders sieht das bei seinen werblichen und politischen Videos aus, die passen schon weniger zur bislang eher leichtherzigen App. Man merkt auch sofort, dass hier ein PR-Team dahintersteckt und nicht er selbst. Insgesamt wirkt der Kanal ein bisschen steif.

Coolness-Faktor: 3 von 5 Punkten


Markus und Thomas Danninger (@zweikanalton)

Markus und Thomas Danninger
800.000 Follower
Foto: Tiktok / Danninger

PROFI-URTEIL:

Viele Teenager nutzen nur Tiktok, um Infos zu erhalten. Deshalb finden wir es gut, wenn auch Personen des öffentlichen Lebens versuchen, sie dort zu erreichen. Gerade durch die vielen Rückmeldungen gibt es aber noch Spielraum für Kurz. Da die Top-Kommentare unter den Videos eher kritisch oder lustig sind, könnte man hier die Gelegenheit ergreifen und mit Humor antworten. Der Grat zwischen "cringe" und "lustig" ist auf Tiktok aber schmal.

Coolness-Faktor: 2 von 5 Punkten