Im Vorhof der Medienmacht: Das Foyer im ORF-Zentrum.

Foto: Christian Fischer

1. Rundfunk für alle – Wozu gibt es öffentlich-rechtliche Medien?

Die Idee hinter dem ORF und anderen öffentlich-rechtlichen Anstalten ist, grob umrissen, Programme und Inhalte im Dienste der Allgemeinheit – Information ebenso wie Unterhaltung, Kultur und Sport. Die Aufgaben definiert das Gesetz, nur für ihre Erfüllung darf der ORF Gebühren verwenden, das verlangen auch die Wettbewerbsregeln der EU.

Aber das ORF-Gesetz definiert den Auftrag für den Rundfunk relativ breit, entsprechend breit programmiert der ORF sein Angebot. Privatsender gingen mehrfach bei der Medienbehörde gegen aus ihrer Sicht allzu kommerzielle, auf ein Massenpublikum abzielende Programmierung vor, die ihnen Konkurrenz mache. Bisher mit äußerst überschaubarem Erfolg, ein Verfahren zieht sich schon seit sieben Jahren.

Die Bewerbungskonzepte der Generalskandidaten sehen keine gravierenden Änderungen in TV und Radio vor.

2. Marktbeherrscher – Der ORF dominiert TV, Radio und Online

Marktposition des ORF in TV, Radio, Online
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Wer nutzt den ORF? Der Großteil der Menschen in Österreich: Gut 88 Prozent der in Reichweitenstudien erfassten Menschen in Österreich nutzen jeden Tag zumindest ein ORF-Angebot vom Ö3-Wecker bis zur Zeit im Bild, von den News auf ORF.at bis zur TVthek und der ZiB Insta auf Instagram, ab September auch auf Tiktok. Nach dieser Berechnung des ORF aus mehreren Befragungen und Messungen tun das auch 79 Prozent der Menschen täglich – das schwierigste Publikum für lineares TV und Radio.

Der ORF ist Marktführer beim Gesamtpublikum in Fernsehen, Radio und Online (nach Visits auf ORF.at unter den österreichischen Angeboten in der Webanalyse).

3. Informationsriese – Die größte Redaktion, die größte Infoquelle

Mehr als die Hälfte des TV-Publikums sieht die ZiB 1 um 19.30 Uhr – mit ihrem Millionenpublikum die meistgesehene Nachrichtensendung des Landes, vor allem für ein älteres Publikum. Die ZiB 2 schafft häufig Marktanteile um 30 Prozent.

2022 werden die bisher unabhängig voneinander von eigenen Chefredakteuren geführten Redaktionen von TV, Radio und Online im neuen Newsroom zusammengelegt, die Ressorts Innenpolitik, Wirtschaft, Außenpolitik, Chronik der ORF-Medien vereint. Aktuelle Nachrichten werden zentral von einem Newsdesk für alle Medien von TV bis Tiktok produziert. Und eine neue, gemeinsame Chefredaktion wird die größte Redaktion des Landes mit geplant 337 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern führen.

Die Führungsfunktionen dort besetzt der ORF-Generaldirektor. Der amtierende General Alexander Wrabetz will das selbst noch im Herbst erledigen.

4. Streaming-Player – Das Zukunftsprojekt ORF On

Wer schaut fern, wer streamt? Die Daten für das Gesamtpublikum ab 14 Jahren und das jüngere Pubikum unter 30 in Österreich laut Bewegtbildstudie 2021.
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Wer schaut noch klassisches, sogenanntes lineares Fernsehen? Im Gesamtpublikum noch eine große Mehrheit laut Bewegtbildstudie der TV-Sender und der Medienförderstelle RTR. Das junge Publikum zeigt das Szenario der Zukunft: Hier hat Streaming (von Youtube bis Netflix) das lineare Fernsehen längst überholt.

Der ORF arbeitet seit Jahren an einer Streamingplattform unter dem Arbeitstitel ORF-Player, tatsächlich dürfte sie ORF On heißen. Ein Info-Teil soll im Herbst starten, das Sportmodul lehnte die Medienbehörde nach geltendem ORF-Gesetz ab. Der ORF drängt auf ein neues Gesetz, mit dem er Formate alleine fürs Web produzieren darf.

5. Großproduzent Gut 100 Millionen für Produktionsbranche

Der Milliardenkonzern ORF ist auch größter Auftraggeber der Produktionsbranche. Mehr als 100 Millionen Euro investiert der ORF nach eigenen Angaben in die Filmwirtschaft. Eingerechnet sind allerdings nicht nur Aufträge für Filme, Serien und Dokus, sondern auch solche für Kamerateams.

Inzwischen haben auch private Sender und Plattformen begonnen, Fiction in Film und Serie in Österreich zu produzieren. Servus TV etwa finanziert mit dem Milliardenkonzern Red Bull im Rücken Serien wie Meiberger oder Trakehnerblut. Die Pay-Plattform Sky hat David Schalkos Ich und die Anderen beauftragt, im Herbst zeigt Sky seine vierteilige Miniserie über Die Ibiza-Affäre.

Der ORF betont seine weiterhin tragende Rolle als Produzent von österreichischen Inhalten, inzwischen auch als Partner von Streamingplattformen wie Netflix bei Freud.

6. GIS-Gebühren 650 Millionen Euro und ab 2022 mehr

650 Millionen Euro pro Jahr erhält der ORF aus GIS-Gebühren, rund zwei Drittel der eingehobenen Mittel, die übrigen gut 300 Millionen gehen über Steuern und Abgaben an Bund und Bundesländer.

Zahlen muss, wer ein empfangsbereites Rundfunkgerät im trauten Heim hat. Aber wer ORF-Angebote nur streamt, kann das laut einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs gänzlich gebührenfrei tun. Der ORF nennt das "Streaminglücke" und will diese so rasch wie möglich mit einem neuen ORF-Gesetz schließen.

Spätestens alle fünf Jahre muss der ORF nachrechnen, ob die Gebühren ausreichen, um sein öffentlich-rechtliches Angebot zu finanzieren. Nach der Generalswahl im Herbst steht so ein Gebührenantrag an, ab 2022 dürften sie dann erhöht werden. Der amtierende ORF-Chef stellt den Antrag, der ORF-Stiftungsrat entscheidet darüber, die Medienbehörde prüft ihn.

7. Medienriese Österreichs weitaus größtes Medienhaus

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Die GIS-Gebühren machen rund zwei Drittel des ORF-Jahresumsatzes von etwas mehr als einer Milliarde Euro aus, den Rest bestreitet er großteils mit Werbung.

Damit ist der öffentlich-rechtliche Riese das weitaus größte Medienunternehmen im Land. Mehr als doppelt so groß wie der größte Zeitungskonzern Mediaprint mit Kronen Zeitung und Kurier oder das Red Bull Media House mit Servus TV und Magazinen, das den größten Teil seiner Einnahmen vom Mutterkonzern Red Bull bekommt. Der ORF nimmt vielfach mehr ein als alle Privatsender zusammen und mehr als die drei größten Zeitungsverlagshäuser zusammen.

8. Unabhängigkeit Vorgegeben von einem Verfassungsgesetz

Das Verfassungsgesetz Rundfunk von 1974 schreibt "die Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Berücksichtigung der Meinungsvielfalt, die Ausgewogenheit der Programme sowie die Unabhängigkeit der Personen und Organe" vor. Programmrichtlinien und vor allem ein starkes Redakteursstatut sollen Unabhängigkeit absichern.

Im Stiftungsrat des ORF dürfen seit 2001 keine aktiven Politiker und Parteiangestellten sitzen, teils sind zumindest vier Jahre Abkühlphase nach einem Mandat vorgesehen. Bis dahin waren Abgeordnete, Landeshauptleute, Mediensprecher und Parteimanager Mitglieder im früheren Aufsichtsgremium, dem ORF-Kuratorium.

Dennoch verlaufen Abstimmungen im ORF-Stiftungsrat häufig entlang von Fraktionsgrenzen, die etwas verschämt "Freundeskreise" genannt werden. Abstimmungen werden im Freundeskreis vorbesprochen – auch die Generalswahl.

9. Stiftungsrat – Die türkise Mehrheit im Entscheidungsgremium

Der ÖVP zugeordnete oder nahe stehende Stiftungsräte haben eine Mehrheit im ORF-Stiftungsrat. Neben Grünen, SPÖ-nahen, FPÖ-nahen und einer Neos-Stiftungsrätin gibt es Unabhängige.
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Der Stiftungsrat ist das oberste Entscheidungsorgan des ORF. 35 Mitglieder bestellen Generaldirektoren und Direktoren, beschließen Budgets und Programmschemata, treffen unternehmerische Entscheidungen. Das Gesetz verpflichtet sie, im Interesse des Unternehmens und unabhängig von den Entsendern zu entscheiden.

Erstmals, jedenfalls seit vielen Jahrzehnten, hat eine Partei, die ÖVP, die alleinige Mehrheit im Stiftungsrat. Wesentlich sind dafür vor allem die von der Bundesregierung, den Bundesländern, den Parteien und dem ORF-Publikumsrat beschickten Mandate im Stiftungsrat. Die Mehrheit der ORF-Publikumsräte bestimmt der Bundeskanzler.

10. ORF-General – Was bestimmt der Alleingeschäftsführer?

Der ORF-General ist Alleingeschäftsführer, die von ihm nach seiner Bestellung vorgeschlagenen Direktoren sind bessere Prokuristen. Sie bestellt der Stiftungsrat.

Der ORF-Chef entscheidet über jeden Führungsjob darunter, also etwa Chefredakteurinnen und Chefredakteure, Ressortchefs. Regierungsmehrheiten und Kanzlerparteien haben dafür meist Anregungen parat. Und ihre unabhängigen Stiftungsräte können dem General das Leben schwer machen – etwa bei Budgetbeschlüssen und GIS-Anträgen. Und eine Regierungsmehrheit kann die Hoffnung eines Generals auf Gesetzesänderungen überhören – etwa auf Lockerungen der Onlinebeschränkungen für den ORF-Player.

600 ORF-Mitarbeiter gehen in den nächsten Jahren in Pension. Der ORF-General entscheidet über jede Einstellung/Nachbesetzung. Das könnte eine türkise Hoffnung auf einen grundlegenderen Umbau des ORF wecken, grundlegender als alleine ein neues Führungsteam.

Favorit Roland Weißmann will mit der bisherigen Struktur der Direktorien starten und während der Amtszeit eine neue erwägen. Das könnte auf ein neues ORF-Gesetz hindeuten, das den Alleingeschäftsführer durch einen Vorstand ersetzt.

(Harald Fidler, 9.8.2021)