Stefan Ströbitzer war Chefredakter von ORF-Radio und "ZiB" und Entwicklungschef des öffentlich-rechtlichen Riesen, er betreibt seit 2018 seine Beratungsfirma Ströbitzer Consulting.

DER STANDARD hat Medienexpertinnen und -experten, Medienwissenschafter und -wissenschafterinnen, Medienpolitikerinnen und -politiker und auch Bewerber und Bewerberinnen um möglichst konkrete Ideen, Vorstellungen und Vorschläge für einen idealen ORF gebeten.

Stefan Ströbitzer ist Geschäftsführer der Firma Ströbitzer Consulting und berät international Medien in Fragen der Video- und Contentstrategie. Ströbitzer war bis 2018 beim ORF, zuletzt als stellvertretender Fernsehdirektor:

"Der ideale ORF ist DER Informationsdienstleister der Bewohner*innen (= alle, die hier leben) der demokratischen (= alle, die demokratisch handeln), föderalen (= alle Regionen, Bundesländer, Stadt – Land gleichberechtigt) Republik Österreich. Seine wichtigste Aufgabe ist, verlässlicher Übermittler fachlich fundiert recherchierter und möglichst objektiv und verständlich dargestellter Informationen zu sein sowie den gesellschaftspolitischen Diskurs so abzubilden, dass allen Bürger* innen eine Teilnahme an der demokratischen Willensbildung möglich ist. Er ist Plattform des lösungsorientierten Diskurses, investigativ recherchierender Anwalt der Bürger*innen UND in seiner journalistischen Grundausrichtung immer um Lösung, Dialog, Verbindendes und Abbau von Polarisierung bemüht.

Kultur und Sport (insbesondere österreichische Ligen und Wettbewerbe) haben im idealen ORF einen verlässlichen Partner, um möglichst weite Teile der Bevölkerung erreichen zu können. Der ideale ORF ist der größte Unterstützer der österreichischen Filmwirtschaft, fördert Talente und Innovation nicht nur im Kultur-, sondern auch im Wissenschaftsbetrieb des Landes.

Alle Vertriebswege

Um das leisten zu können, muss der ORF alle Vertriebswege für Content ohne inhaltliche Einschränkungen nutzen können – analog, digital, social.

Der ideale ORF ist daher eine digitale Plattform für qualitätsvolle Audio- und Videoangebote, live und on demand, die ihr Angebot bis zum Ende des Vollprogramms in einigen Jahr(zehnt)en noch in TV-Vollprogrammen und nationalen und neun regionalen Radiosendern bündelt, um der derzeit noch großen Bedeutung dieser Angebote für bestimmte Zielgruppen gerecht zu werden.

Der ideale ORF richtet seine volle Aufmerksamkeit und damit einen Gutteil seiner Ressourcen auf das Erreichen und Versorgen "jüngerer" Zielgruppen mit objektiver, qualitätsvoller Information in ihrem Digital Stream am Smartphone. Für Kinder gibt es ein breites, sinn- und identitätsstiftendes Angebot, das ohne Einschränkung zugänglich sein sollte.

Partner und Konkurrenz der Privaten

Apropos Einschränkung: Der ideale ORF sieht den privaten Mitbewerb als Partner und Pluralität sichernde Konkurrenz. Angebote des ORF sind daher gebührenpflichtig, um fairen Wettbewerb zu ermöglichen – egal auf welchem Verbreitungsweg. Einzige Ausnahme ist wie erwähnt der Kinderkanal aufgrund seiner Bedeutung für die österreichische Identität in Sprache und Kultur und weil der ORF konkurrenzlos der einzige österreichische Marktteilnehmer ist.

Diese Gebührenpflicht kann im Wege einer Ausdehnung der GIS-Gebührenpflicht für die Nutzung digitaler ORF-Angebote mittels Login erfolgen. Oder es kommt wie in Deutschland zur Verankerung der Finanzierung der ORF-Angebote mittels Haushaltsabgabe und gleichzeitiger schrittweiser Werbefreiheit der ORF-Angebote.

Hierarchieebenen

Um trotz fehlender Werbeeinnahmen (derzeit etwas mehr als 200 Millionen Euro) die Finanzierung dieser vielfältigen Aufgaben zu gewährleisten, hat der ideale ORF ein schlankes Management mit klaren inhaltlichen, personellen und finanziellen Verantwortlichkeiten auf allen Managementebenen. Apropos Ebenen: Zwei bis maximal drei Hierarchieebenen – von der Redakteur*in bis zur Direktor*in – sind genug. Die Struktur des idealen ORF ist ausschließlich darauf ausgerichtet, dem Publikum das beste Produkt zu bieten = mehr Ressourcen ins Programm, weniger in der Verwaltung und Infrastruktur.

Im idealen ORF sind die Landesstudios die dezentralen Anker in den Regionen – nah bei den Menschen – und nehmen als Produzenten von erstklassigen, die Vielfalt des Landes abbildenden Inhalten eine immer wichtigere Rolle in der Beziehung zwischen ORF und seinem Publikum ein.

Dreiviertelmehrheit für ORF-Chef

Im idealen ORF ist die konkrete Zusammensetzung und Besetzung des Kontrollorgans zweitrangig. Wichtiger ist, dass der Vorstandsvorsitzende mit Dreiviertelmehrheit gewählt wird (siehe Deutschland) und die Belegschaftsvertreter dabei kein Stimm-, sehr wohl aber ein Vorschlagsrecht haben. Sie laden die Bewerber*innen gemeinsam mit den Redakteursvertreter*innen zu einem öffentlich zugänglichen Hearing und sprechen per Votum ihre Empfehlung für die Vorstandsposten aus – ähnlich dem derzeitigen Prozedere bei der Bestellung von redaktionellen Führungsfunktionen.

Apropos Redakteursrechte: Im idealen ORF, der Eigenverantwortung fördert, eine offene Feedbackkultur lebt und Transparenz zum Prinzip erhoben hat, ist innere Pluralität und Vielfalt weiterhin durch das hervorragende Redakteursstatut garantiert!" (red, 10.8.2021)