Der Österreicher Matthias Settele ist Generaldirektor des größten TV-Senders in der Slowakei, TV Markíza.

Foto: APA/TV MARKIZA / MARTIN LACHKOVIC

DER STANDARD hat Medienexpertinnen und -experten, Medienwissenschafter und -wissenschafterinnen, Medienpolitikerinnen und -politiker und auch Bewerber und Bewerberinnen um möglichst konkrete Ideen, Vorstellungen und Vorschläge für einen idealen ORF gebeten.

Der Österreicher Matthias Settele ist Generaldirektor des größten TV-Senders in der Slowakei (TV Markíza):

Welche Angebote/Inhalte haben/bieten – Channels, Medien, Inhalte, Schwerpunkte?

Settele: Im linearen Bereich sollte die Positionierung der beiden Hauptsender, die bereits mehr als 25 Jahre alt und mehr oder weniger unverändert geblieben ist, nachjustiert werden. Für die Zukunft des ORF am wichtigsten aber scheint (so wie für jeden klassischen TV-Sender) eine non-lineare Streamingplattform, der ORF nennt sie Player, die eigenständig Filme, Serien und Dokus anbietet, die zunächst exklusiv dort bereitgestellt werden; eine Plattform, die gleichzeitig aber auch eine digitale Heimat für die TV-Sendungen und Radioprogramme zum individuellen Gebrauch darstellt, gegebenenfalls auch offen für externe Partner.

Der Erfolg von Netflix und Co im Videostreaming und der Erfolg der Podcasts im Audiobereich zeigen, wie groß der Bedarf an gut gemachten, individuell abrufbaren Programmen geworden ist. Was die Zielgruppen betrifft: Dem ORF fehlen unter anderem ein Kinderkanal und ein Nachrichtensender. Der Kinderkanal könnte künftige Generationen an den ORF binden und würde für die Eltern eine heimische und sichere ("brand safe") Alternative zu den globalen kommerziellen Giganten bieten. Und im Nachrichtenbereich darf der ORF seine führende Rolle nicht verlieren, will man die Legitimität der Gebühren erhalten. Ob man diese thematischen Angebote im ORF-Player macht oder als klassische lineare TV-Sender ist eine nachgeordnete Frage.

In welcher Qualität bzw. auf welche Qualitäten/Eigenschaften/Kriterien besonders achten?

Settele: Es gelten aus meiner Sicht immer beide Kriterien: Der Zuschauererfolg und die Qualität, für die es selbstverständlich auch handwerkliche Kriterien gibt, egal ob es um Bild, Schnitt, Licht, Ton, Studio, Musik oder andere Teilbereiche geht; entscheidend für die "gefühlte" Qualität aus persönlicher Sicht der UserInnen ist letztlich der Wert, den jeder für sich aus den Programmen gewinnen kann: Unterhaltung, Information, Spannung, Innovation etc.; für den Player könnte es eigene Formate geben, die exklusiv für Streaming produziert werden und inhaltlich radikaler und vielfältiger sein könnten.

Welche Angebote/Inhalte/Channels braucht er vielleicht nicht?

Settele: Der ORF sollte meiner Ansicht nach selbst entscheiden dürfen, welche Programme er macht, und sich nicht von außen Regeln, Quoten oder Einschränkungen auferlegen lassen.

Wie sollte die Unabhängigkeit des Unternehmens, des Angebots und insbesondere seiner Berichterstattung organisiert werden?

Settele: Es liegt an der Politik, sich zurückzunehmen und Kritik nur dann zu üben, wenn sie faktenbasiert und berechtigt ist und die Besetzung von Jobs den ManagerInnen des Unternehmens zu überlassen. Und es liegt an den MitarbeiterInnen, die gesetzliche Unabhängigkeit mit Leben zu erfüllen, indem sich jeder einzelne in seiner Arbeit dem Unternehmen verpflichtet fühlt und nicht einer Partei, Bewegung oder Meinung.

Wie sollte dieser ORF kontrolliert werden, und wie sollte seine Führung bestellt werden (Aufsichts-/Entscheidungsorgan/e)?

Settele: Es braucht eine unabhängige Rundfunkbehörde, die die Einhaltung der gesetzlichen Regeln kontrolliert (Werbung, Jugendschutz etc.) und an die sich auch alle SeherInnen wenden können, sowie einen Aufsichtsrat, der meiner Meinung nach einen guten Mix aus Experten der Medienbranche und politischen Vertretern aufweisen sollte.

Wie sollte dieser ORF geführt werden (Führungsstruktur, vielleicht auch Kriterien für Auswahl)?

Settele: Im Programmbereich muss es jemanden geben, der Entscheidungen trifft und Verantwortung übernimmt. Am Ende kommt es immer auf das Gesamtergebnis der TV-Gruppe an und nicht auf die Quoten der einzelnen Sender, sprich Positionierung und Programmplanung müssen komplementär sein. Es gibt keine Alternative zu einer gesamthaften Programmstrategie für alle Inhalte auf allen Vertriebswegen. Im Informationsbereich sollten die einzelnen Sendungen starke redaktionsverantwortliche Leitungen haben, wiewohl es in Teilbereichen mit unstrittigen Inhalten (Wetter, Verkehr, Börsenkurse, Kurzmeldungen) sicherlich Synergiepotenziale gibt.

In der Gesamtleitung eines Senders haben die potenziellen Modelle jeweils ihre Vor- und Nachteile, da gibt es keine richtige oder falsche Lösung. Der kollektive Vorstand ist im TV-Bereich deswegen bis dato unüblich, weil Fernsehen so komplex ist, dass die Bereiche auf vielfältige Art und Weise ineinandergreifen und nicht einfach voneinander zu trennen sind. Der traditionelle CEO ist nach wie vor am häufigsten anzutreffen, weil in diesem Modell – neben allen Nachteilen – ganz klar jemand entscheidungsbefugt und letztverantwortlich ist. (red, 10.8.2021)