Auf vielen pazifischen Inseln bedrohen der steigende Meeresspiegel und andere Klimaveränderungen ganze Landstriche. Menschen, die infolge dessen auswandern, genießen allerdings kaum Schutz.

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Das Land, in dem Ioane Teitiota geboren ist, ist insgesamt nur 800 Quadratkilometer groß. An manchen Stellen sind es nur ein paar Hundert Meter von der einen Küstenseite zur anderen, und an vielen Stellen weniger als zwei Meter über dem Meeresspiegel. Die Rede ist von Kiribati, einem Inselstaat im Pazifik, der bis 2070 aufgrund des Klimawandels versunken sein soll. Um dem drohenden Untergang zu entgehen, setzte Teitiota 2007 nach Neuseeland über. 2015 wurde er ausgewiesen, weil sein Visum ausgelaufen war, und mit seiner Familie zurückgeschickt. Teitiota legte daraufhin Beschwerde ein, die allerdings abgelehnt wurde.

Für viele Umweltschutzorganisationen ist Teitiota ein Klimaflüchtling, der ein Recht auf Schutz und Asyl haben sollte. Und auch ein UN-Menschenrechtsausschuss kam im vergangenen Jahr zu dem Ergebnis, dass Länder Asylsuchende nicht ausweisen dürfen, wenn der Klimawandel ihr Leben in der Heimat in Gefahr bringe. Tatsächlich haben europäische und andere reichere Länder sogar die Pflicht, künftig Umwelt- und Klimaflüchtlinge aufzunehmen, weil sie für deren Flucht mitverantwortlich sind, argumentieren vermehrt Aktivisten und Wissenschafter.

Klimaschulden

Denn reiche Länder, darunter auch Österreich, haben in den vergangenen Jahrzehnten Unmengen sogenannter Klimaschulden angestaut – Treibhausgase, die Industrieländer schon seit rund 200 Jahren in die Atmosphäre blasen, während Entwicklungsländer erst wesentlich später industrialisierten, und die seither den Klimawandel auf der ganzen Welt vorantreiben.

Am stärksten davon betroffen sind bekanntlich meist ärmere Länder, in denen Menschen durch den steigenden Meeresspiegel, Überschwemmungen, Dürren, Stürme und andere Katastrophen vertrieben werden. Umso mehr der Klimawandel voranschreitet, desto mehr Menschen könnten sich künftig auf den Weg in andere Regionen machen, so viele Prognosen. Würden reichere und weniger vom Klimawandel betroffene Länder hingegen mehr sogenannte Klimaflüchtlinge aufnehmen, könnten einige negative Auswirkungen des Klimawandels gemildert werden, indem Menschen Schutz in sichereren Gebieten finden, so das Argument. Zusätzlich würden ärmere Länder durch Geldüberweisungen von Flüchtlingen und Migranten aus dem Aufnahmeland profitieren.

Kein Flüchtlingsstatus

Fest steht aber: Klimaflüchtlinge sind rechtlich nicht als Flüchtlinge anerkannt, weder von der Genfer Flüchtlingskonvention noch von den Vereinten Nationen oder einzelnen Staaten. Einer der Gründe dafür ist für viele Expertinnen und Experten, dass nicht feststeht, was und wer ein Klimaflüchtling eigentlich ist. "Migration und Flucht haben meist mehrere Ursachen", sagt Roman Hoffmann, Migrationsforscher an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, zum STANDARD. Es sei schwer, in einzelnen Fällen auszumachen, welchen Einfluss der Klimawandel auf die Fluchtentscheidung gehabt hat, da sowohl kurzfristige Veränderungen – beispielsweise durch lokale Naturkatastrophen – als auch langfristige klimatische Veränderungen eine Rolle spielen können.

Umso weniger verwundert es, dass die Zahlen zu weltweiten Klimaflüchtlingen oft weit auseinanderklaffen. Laut dem Internal Displacement Monitoring Centre kam es seit 2008 jedes Jahr durchschnittlich zu 26 Millionen Vertreibungen durch Überschwemmungen, Stürme, Dürren oder Erdbeben. Die Weltbank wiederum schätzt, dass bis 2050 insgesamt 143 Millionen Menschen aus Lateinamerika, Subsahara-Afrika und Südasien flüchten könnten, um den Folgen des Klimawandels zu entgehen.

Zahlen fehlen

"Vorhersagen von zukünftiger Migration sind mit äußerster Vorsicht zu genießen", sagt Hoffmann. Wirklich verlässliche Daten zu Umwelt- und Klimamigration gebe es nicht. Auch die verbreitete Annahme, dass Menschen, die vor Umwelt- und Klimakatastrophen fliehen, gleich mehrere Landesgrenzen überqueren, kann der Experte nicht bestätigen. "Viele Menschen haben kaum Möglichkeiten, überhaupt ihren Heimatort zu verlassen", sagt er. Die meisten Menschen würden innerhalb der eigenen Region migrieren, und viele kehren auch wieder an ihren Heimatort zurück. Klimabedingte Migration und Vertreibung spielen zudem nicht nur in armen, sondern auch zunehmend in reicheren Ländern eine Rolle.

Das von politischen Parteien immer wieder gezeichnete Bild von hunderttausenden oder Millionen Menschen, die aufgrund des Klimawandels nach Europa oder den USA flüchten, hat mit der Realität daher nur wenig gemein. Einige Expertinnen und Experten lehnen den Begriff der Klimaflüchtlinge überhaupt ab, da er den Blick auf andere Probleme verstelle. Anstatt genereller Ursachen müsse man den Klimawandel eher als Verstärker von bereits vorhandenen Risiken – wie beispielsweise Ungleichheit, Armut und Gewalt – in vielen Ländern verstehen.

Temporäre Visa

Trotz der schwierigen Definition und fehlenden Zahlen sehen Organisationen wie die Vereinten Nationen Klimamigration als wachsendes Phänomen der Zukunft. Gleichzeitig würden internationales und nationales Recht klimabedingte Flüchtlinge und Migranten nur unzureichend schützen.

Zwar haben sowohl die EU als auch aktuell die Biden-Regierung begonnen, nach Möglichkeiten zu suchen, Klimamigranten und Klimaflüchtlinge zu unterstützen – vielen Menschenrechts- und Klimaaktivistinnen und -aktivisten gehen die Vorstöße aber nicht weit genug. In einem Bericht von Forschenden der Yale Law School heißt es etwa, Länder wie die USA hätten noch viel Potenzial, ihr Einwanderungssystem zu verbessern, und könnten künftig beispielsweise Klimamigranten aus Mittelamerika temporäre Visa ausstellen, die ein erster Schritt zur Staatsbürgerschaft sein könnten.

Anpassung vor Ort

Auf politischer Ebene stoßen Vorschläge dieser Art schnell an ihre Grenzen. Und auch für die genaue Bestimmung von Klimaflüchtlingen müsste laut Experten zuerst die Datenlage von vom Klimawandel vertriebenen Personen verbessert werden.

Nicht zuletzt sind Möglichkeiten für Flucht und Migration nicht die einzigen und effektivsten Wege, auf die Auswirkungen des Klimawandel zu reagieren: Mehr Geld für Maßnahmen vor Ort, bessere Frühwarnsysteme und höhere finanzielle Rücklagen können laut Experten eine ebenso wichtige Rolle spielen. Letzten Endes gehe es aber vor allem darum, die Treibhausgase weltweit zu reduzieren. Das Ziel: Jene Menschen, die bleiben wollen, sollen bleiben können, und jene, die auswandern wollen, sollen auch dafür die nötigen Mittel und Schutz bekommen. Dafür sprechen sich auch viele Menschen in besonders vom Klimawandel betroffenen Ländern aus: Man wolle nicht Klimaflüchtling werden, sondern in der eigenen Heimat bleiben, oder in Würde und auf regulärem Weg migrieren können, heißt es.

"Wie wir aktuell in Europa mit Migranten umgehen, widerspricht vielen europäischen Werten von Solidarität und Menschlichkeit", sagt Roman Hoffmann. Dabei habe die EU schon allein aus humanitärer Sicht die Verantwortung, vom Klimawandel bedrohte Menschen zu unterstützen und die dafür notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Dies wäre ein erster Schritt, für die historisch angesammelten Klimaschulden Rechnung zu tragen, so Hoffmann.

Emissionen reduzieren

Menschen wie Ioane Teitiota werden die Überlegungen vorerst wenig nützen. Sie müssen in der Zwischenzeit auf ihre Heimatregierung vertrauen, mit einigen Auswirkungen des Klimawandels so gut wie möglich umzugehen.

Zwar kündigte beispielsweise die neuseeländische Regierung schon 2017 an, jedes Jahr 100 humanitäre Visa für Menschen von vom Klimawandel bedrohten pazifischen Inseln auszustellen. Sechs Monate später wurde das Vorhaben allerdings wieder verworfen. Laut Regierungsangaben setzt man stattdessen auf die Reduktion von Treibhausgasen, um die Vertreibung von Menschen zu verhindern. An den steigenden Temperaturen und den Auswirkungen des Klimawandels vor Ort wird das so schnell allerdings wenig ändern. (Jakob Pallinger, 12.8.2021)