Redet nur dann, wenn sie etwas zu sagen hat: Schauspielerin Bibiana Beglau, die 2019 mit Martin Kušej nach Wien kam.

Foto: APA/Herbert Neubauer

Es ist das Schwierigste, den übersättigten Westeuropäer dazu zu bewegen, die Welt einmal aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Kunst muss das herbeiführen können, und Bibiana Beglau hat sich genau das vorgenommen: Raus aus dem Schöne-Möbel-Theater, bequeme Haltungen sind nichts wert.

Burgtheater Wien

Für diesen Anspruch schindet sich die Schauspielerin seit einem Vierteljahrhundert auf den wichtigsten Bühnen im deutschsprachigen Raum sowie in Film und Fernsehen. "Schinden" ist nicht einfach dahingesagt. Die Entschiedenheit ihrer immer fundiert hergeleiteten Argumente und Einsprüche setzt sich auf unverkennbare Weise im körperlichen Ausdruck fort. Harmonisch gehe es in ihrer Anwesenheit bei den Proben eher nicht zu, beschreibt es ihr langjähriger Regiebegleiter Falk Richter anerkennend.

Elisabeth

Dass sie seit zwei Jahren im Ensemble des Burgtheaters ist, hätte in Nichtpandemiejahren längst noch größeres Echo ausgelöst, gehört Bibiana Beglau doch zweifelsohne zu den wichtigsten Schauspielerinnen ihrer Generation. Mit der Rolle der Elisabeth in Maria Stuart– das Stück wird am Samstag bei den Salzburger Festspielen Premiere haben (Regie: Martin Kušej) – zieht sie neben Birgit Minichmayr in der Titelrolle ab September wieder an die Burg. Hier spielt sie seit 2019 in sämtlichen Kušej-Inszenierungen, in Virginia Woolf, in Faust, in der Hermannsschlacht.

Burgtheater Wien

Wenn Journalisten sie vor das Mikrofon bekommen, was nicht allzu oft der Fall ist, kann sie schon einmal loslegen mit dem Groll über die heute bis zur Lähmung "unheimlich befriedete" westliche Welt. In einem Theater heute-Gespräch bemängelt sie, dass im übersättigten Kulturbetrieb heute anstelle von "Werken" oft nur noch "mehr oder weniger gute Arbeiten" entstünden. Dagegen rennt sie schonungslos auf der Bühne an.

"Natural Born Mephisto"

Für ihre Schauspielkunst hat sich die Presse folglich schon viele markige Beschreibungen einfallen lassen: Beglau sei "Dynamit", sie sei der "Rock ’n’ Roll des deutschen Sprechtheaters", und anlässlich ihrer Teufelsrolle im Faust wurde sie zum "Natural Born Mephisto" erklärt. Wer mitverfolgt hat, wie sich die schlangenlinienförmigen Bewegungen dieses höllischen Seelenräubers um den Hals des zaudernden Faust legen, muss dem auch zustimmen.

Dabei wollte Bibiana Beglau ursprünglich Bildhauerin werden. Es ist anders gekommen, und doch nicht ganz, denn das Bildnerische ließ die heute 50-Jährige nie ganz los. In ihrer Interpretationskunst schwingt bei aller verausgabenden Bewegung etwas Skulpturales immer mit. Man könnte sagen, für jede Rolle entwirft sich Beglau einen neuen Körper. Er wird dann mitunter zur Allzweckwaffe und durchsäbelt, wie etwa in Die bitteren Tränen der Petra von Kant am Residenztheater, wie ein offenes Messer die Luft. Manche ihrer Kollegen behaupten sogar, "Bibi" würde selbst ihre Texte wie mit einem Meißel behandeln, sich sie herausklopfen wie eine Plastik.

Nichts tut weh

Das haben Regisseure wie Frank Castorf, Dimiter Gotscheff, Falk Richter oder auch Einar Schleef, mit dem sie in Berlin oft inkognito um die Häuser zog, zu nutzen gewusst. Ihr Durchbruch kam indes mit einem Film, Die Stille nach dem Schuss (1999) von Volker Schlöndorff, der sie damals von der Baracke am Deutschen Theater für die Hauptrolle wegengagierte. Dann ging alles schnell: Silberner Bär bei der Berlinale 2000, gleich darauf mit Nothing Hurts erstmals zum Berliner Theatertreffen und auch die erste Zusammenarbeit mit Frank Castorf. Zehn Jahre lang spielte sie dann die Mieze in Berlin Alexanderplatz an der Volksbühne.

An Dauerbrennern ist Beglau des Öfteren beteiligt: Sarah Kanes 4.48 Psychose lief elf Jahre an der Schaubühne, und die nun mit Kušej nach Wien gewanderte Virginia Woolf hat auch schon beachtliche sieben Jahre am Buckel (ab 7. September wieder auf dem Spielplan). Für Faust gilt Nämliches. Das nennt man Nachhaltigkeit.

Schneller, bitte

Dabei konnte es schon für Klein-Beglau nie schnell genug gehen – sie wuchs als Tochter einer Krankenpflegerin und eines Grenzwachebeamten im Zonenrandgebiet nahe Braunschweig auf. Nichts sehnlicher hat sich die Waldorfschülerin im Urlaubsauto der Eltern einst gewünscht, als dass die Tachonadel doch bitte endlich abbreche. Viel zu langsam war der alte Mercedes. Da muss doch mehr gehen. Und es ging. Aus dem scheuen Kind, wie sie einmal sagte, wurde ein Punk, der sie – verborgen hinter Disziplin und Eleganz – wohl heute noch ist. (Margarete Affenzeller, 10.8.2021)