Am Dienstag wird der ORF-Stiftungsrat jedenfalls mit türkisen und grünen Stimmen den bisherigen Vizefinanzdirektor Roland Weißmann (53) zum ORF-Generaldirektor bestellen. Der Favorit der ÖVP-nahen Mehrheitsfraktion übernimmt damit 2022 die Führung von Österreichs größtem Medienkonzern – mit über Jahrzehnte gewachsenen Strukturen, in Schranken von Gesetz, EU und Konkurrenten. Wie aber würde ein idealer ORF aussehen, wenn man ihn neu erfinden könnte? DER STANDARD lädt Expertinnen und Experten, Könnerinnen und Könner ein, ihre Ideen für einen solchen ORF zur Diskussion zu stellen. Hier präsentieren wir erste Vorstellungen.

Medienmanager und Ex-ORF-Chef Gerhard Zeiler.
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Gerhard Zeiler ist Österreichs international erfolgreichster Medienmanager, er führte den ORF in den 1990ern, danach den deutschen Privatsender RTL und die RTL Group, Europas größten TV-Konzern, er ist Präsident von Warnermedia International, die US-Mediengruppe fusioniert nun mit Discovery. Er schreibt, jede öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt habe fünf Aufträge so gut wie möglich zu erfüllen:

Unabhängige Berichterstattung

1. Der Auftrag unabhängiger Berichterstattung ist das Um und Auf jedes öffentlich-rechtlichen Rundfunks und natürlich auch des ORF. Es ist aus meiner Sicht die wichtigste Aufgabe und gleichzeitig der zentrale Unterschied zu einem Staatsrundfunk. Dazu bedarf es Mut und Rückgrat der Journalisten und Mut und Rückgrat der Unternehmensverantwortlichen. Je breiter, politikferner und diversifizierter der Aufsichtsrat des Unternehmens besetzt ist, desto einfacher wird auch die Umsetzung dieses Auftrags sein.

Österreich

2. Den zweiten Auftrag des ORF kann man mit einem Wort beschreiben: Österreich. Dieser Auftrag ist gleichzeitig auch der zentrale USP, das Alleinstellungsmerkmal des ORF. Die sehr ausgeprägte lokale Berichterstattung mögen manche als "Luxus" in einem Neun-Millionen-Einwohner-Land empfinden, es ist aber ein absolut notwendiger "Luxus". Aber nicht nur im Bereich von News und Kultur ist "lokal" gefragt, auch und gerade bei fiktionalen Serien ist Lokalkolorit ein nicht zu unterschätzender Konkurrenzvorteil.

Programm für alle

3. Der dritte Auftrag ist aus meiner Sicht, dass man für jede Zielgruppe – Jung und Alt, Männer und Frauen, urbane und ländliche Bevölkerung – ein Programmangebot zur Verfügung stellen muss. Solange jeder Haushalt Fernseh- und Radiogebühr bezahlt, muss auch für jede und jeden ein adäquates Angebot bereitstehen. Dies verbietet aus meiner Sicht jedes Liebäugeln mit einem ORF, der sich ausschließlich auf Nachrichten und Kultur fokussiert. Ein derartiges Programmangebot wäre der Anfang vom Ende des ORF, wie wir ihn kennen. Er würde jedwede Relevanz innerhalb kurzer Zeit verlieren, so wie jede Zeitung und jedes Wochenmagazin Relevanz verliert, wenn es kaum mehr gelesen wird.

Digitalisierung

4. Der vierte Auftrag verlangt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk die technologischen Möglichkeiten der Digitalisierung voll ausnützt und seine Inhalte auf allen Plattformen, die von den Fernsehzusehern genutzt werden, anbietet. Und er sollte auch seine Programme auf allen Plattformen, inklusive der sozialen Medien, vermarkten dürfen. Diesbezüglich besteht gerade beim ORF ein Nachholbedarf gegenüber anderen europäischen Öffentlich-Rechtlichen wie zum Beispiel der BBC. Ohne hier signifikant zu investieren, kann man sich auch von dem Ziel verabschieden, die jüngere Bevölkerungsschichten beim ORF zu halten oder zurückzugewinnen.

Effizienz und Sparsamkeit

5. Letztlich muss man von jedem gebührenfinanzierten Unternehmen eine gewisse Effizienz und Sparsamkeit erwarten können. Die derzeitige Unternehmensstruktur, eingeführt vor einigen Jahren – Einführung der Channelmanager ohne Reduktion der zentralen Stellen –, entspricht diesem Effizienzgebot nicht. (red, 10.8.2021)