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Der Schlüssel zur effektiven Bekämpfung der Corona-Pandemie liegt nicht im Kinderzimmer oder in der Spielzeugkiste im Kindergarten. Am längeren Hebel sitzen auch in diesem Fall die Erwachsenen.

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Die Kindergärten und Horte vermissen ein Corona-Sicherheitskonzept für den Herbst. Denn anders als für die Schulen gibt es für den elementarpädagogischen Bildungsbereich, für den die Länder zuständig sind, bis jetzt keinen Plan, der ihnen möglichst sicher durch die erwartbar anziehende Pandemiesituation nach dem Sommer helfen soll. Bildungsminister Heinz Faßmann will noch im August ein "Orientierungspapier" vorlegen.

Welche Orientierungspfeiler für ein tragfähiges Corona-Schutzkonzept würden Experten für den Kleinkindbereich einschlagen? Der STANDARD holte pädiatrische und epidemiologische Expertise ein, und beide Seiten landeten im Endeffekt immer quasi beim archimedischen Punkt der Pandemiebekämpfung.

Das Machbare

Fragt man Thomas Müller, den Leiter der Kinderklinik I der Med-Uni Innsbruck, so antwortet er: "Natürlich gäbe es ein rein medizinisches Konzept, das theoretisch super, praktisch aber nicht wirklich umsetzbar wäre. Denn es geht bei all diesen Konzepten auch um Machbarkeit und ein vernünftiges Risiko-Nutzen-Verhältnis." Heißt: "Je höher der Aufwand oder die Belastung für die Kinder, die Eltern und das pädagogische Personal, desto größer soll der Nutzen sein", sagt Müller.

Man müsse fragen, "was bremst die Infektionsketten oder die Drehscheiben am meisten? Nicht Treiber. Kinder waren nie und sind nicht die Treiber der Pandemie." Die effektivste Bremse ist für Müller eindeutig: "Die Impfung schlägt alles." Das Um und Auf für sichere Kindergärten sei, "dass sich die Elementarpädagoginnen und -pädagogen und die Eltern impfen lassen. In erster Linie, um sich selbst zu schützen."

Dennoch sollte man auch in den ersten Bildungseinrichtungen testen, sagt Müller, "aber an den Schulen orientiert. Wir sollten in den Kindergärten nicht päpstlicher sein als in den Schulen, zumal Kindergartenkinder, trotz Delta-Variante, weiterhin eine kleinere Rolle spielen." Müller plädiert dafür, eng angedockt an den Corona-Schutzplan für die Schulen mit der zweiwöchigen Eingangsphase auch die Kindergärten im Blick zu behalten und zu "schauen, was wirklich passiert".

Das Mögliche

Wie konkret getestet werden könnte, müsse mit den Betroffenen besprochen werden: "Da muss man schauen: Was ist möglich?", sagt der Innsbrucker Pädiater. Die Antigen-Nasenbohrertests, die in den Schulen von den Schülerinnen und Schülern selbstständig angewendet werden, sind mit einer Gruppe Kleinkindern von den Pädagoginnen realistischerweise nicht wirklich sinnvoll abzuwickeln, meint Müller. Dann schon eher "Lollitests" auf PCR-Basis, wie sie auch von Elementarpädagoginnen gefordert werden.

Müller verweist auf eine aktuelle Evaluierung des deutschen Robert-Koch-Instituts über den Einsatz der Lolli-Methode mit Pool-Testung in 32 Kölner Kitas, die sich laut Studie als "praktikabel" erwiesen hat und von Kindern wie Erwachsenen "sehr gut akzeptiert" wurde. "Daher gehen wir davon aus, dass die Lolli-Methode eine Grundlage für ein breit anwendbares und systematisches Testkonzept in Kitas und Schulen darstellen kann", heißt es.

Dieses PCR-Modell sei allerdings nicht nur logistisch "extrem aufwendig", sagt Müller. Alternativ könnte er sich vorstellen, dass man die Lollis den Eltern überantwortet, "auf deren Vernunft und Verantwortung setzt" und die Kinder regelmäßig zu Hause testen lässt.

Das Rationale

Jedenfalls sei ein Argument in der ganzen Pandemiedebatte jetzt hinfällig, betont der Kinderarzt, nämlich jenes, "dass die Schulen und Kindergärten die Erwachsenen schützen müssten: Jetzt kann sich beinahe jeder Erwachsene selber schützen – durch die Impfung. Darum müssen wir uns als Gesellschaft fragen, ob wir weiter den Kindern diese Schutzaufgabe zuschieben. Wenn Elementarpädagoginnen Schutzmaßnahmen, etwa mehr Tests von Kindern, fordern, und dreißig Prozent der Berufsgruppe lassen sich nicht impfen, dann fehlt mir das Rationale", kritisiert Thomas Müller: "Ich kann nicht Brandschutz fordern, wenn ich den besten Schutzmantel wegschiebe."

Ähnlich sieht das der Epidemiologie Gerald Gartlehner von der Donau-Uni Krems. Nicht das Testen der Kleinkinder in elementarpädagogischen Einrichtungen bringe großen Mehrwert oder mehr Sicherheit für alle, sagt er im STANDARD-Gespräch, sondern: "Die wichtigste Prävention im Kindergarten ist ganz sicher die Impfung der Pädagoginnen und Pädagogen." Die Kinder selbst erkrankten in dem Alter in der Regel nicht schwer.

Die Präventionsnotwendigkeit im Elementarbereich habe daher neben dem individuellen Schutzbedürfnis der Pädagoginnen vor einer Covid-Erkrankung vor allem volkswirtschaftliche Gründe, erklärt Gartlehner: "Wenn dort pädagogisches Personal wegen Covid ausfällt, dann hängen da die Eltern und deren Arbeitgeberbetriebe dran, wenn Kindergärten wieder geschlossen oder Gruppen in Quarantäne geschickt werden müssen."

Darum habe man ja das engmaschige Testnetz für die Schulen geknüpft: "Dort wurde getestet, damit sich die Infektionen nicht weiter in die Gesellschaft ausbreiten, nicht weil Kinder so gefährdet waren durch das Virus."

Das Wünschbare

Das ist auch der Grund, warum Gartlehner jetzt wenig von der Forderung nach großflächigen Kleinkindtestungen in elementarpädagogischen Einrichtungen oder auch daheim hält. Das sei ein Nebenschauplatz, der vom eigentlichen Kern der effektiven Pandemiebekämpfung ablenke, und das sei nun einmal die Impfung. Und da sei man an einem prekären Punkt angelangt, meint der Epidemiologe: "Die Gesellschaft oder die Politik muss sich fragen, ob es jetzt überhaupt noch gerechtfertigt ist, Kinder zu testen, um diejenigen zu schützen, die sich nicht impfen lassen wollen." (Lisa Nimmervoll, 10.8.2021)