Wer sein geplantes Stadtquartier Wildgarten nennt, spielt mit dem Feuer. Der Kopf malt sich die tollsten Bilder aus, von hängenden Gärten, Naturwegen und Tieren, die zwischen den Häusern hin und her huschen. Und zugegeben, die Internetseite wildgarten.wien befeuert diese Bilder. "Lebensraum für seltene Tiere und Pflanzen" wird angepriesen. Gleichzeitig sollen bis 2023 rund 1.100 Wohneinheiten entstehen.

Nun, da die ersten Bewohner das Quartier bezogen haben, stellt sich bei manchen Ernüchterung ein. "Ich will nicht so weit gehen, dass ich mich verarscht fühle. Aber auf den Visualisierungen sah das anders aus", berichtet ein Anwohner, der mit seiner Partnerin eine Wohnung im Wildgarten gekauft hat und seit Anfang des Jahres hier wohnt.

Müllabfuhr und Feuerwehr

Sie sind nicht allein. Immer wieder kommt es in Wiener Stadtentwicklungsquartieren zu enttäuschten Käuferinnen und Käufern. Sei es nun der Wildgarten, die Seestadt Aspern oder das Sonnwendviertel. Grund dafür: vermeintlich falsche Versprechen, irreführende Visualisierungen – und, auch das muss gesagt sein, fehlende Geduld der neuen Bewohnerinnen und Bewohner. So wie auch im Wildgarten.

Der größte Kritikpunkt des Neuwildgartners: die Zufahrtsstraßen für MA 48 und Rettung. "Dass es die geben muss, ist klar. Aber schauen Sie doch mal, da passen ja drei Fahrzeuge nebeneinander hin", sagt er und zeigt auf die wohl breiteste Straße im Wildgarten, die von Häuserwand zu Häuserwand reicht und auf der kein Platz für Grün gelassen wurde. Auf seine Kritik sei die Antwort gekommen, für die Straßen sei die MA 28, Straßenverwaltung und -bau, zuständig.

"Außerdem ist Brandschutz immer ein großes Thema, weswegen solche Straßen mitunter unvermeidlich sind, damit Feuerwehr und Rettung durchkommen", erklärt Stadtplaner Robert Korab, Geschäftsführer von Raum & Komm, der schon an der Planung vieler Stadtentwicklungsgebiete beteiligt war.

Foto: Pollerhof

Tatsächlich sind die Zufahrtsstraßen unschöne Flecken in der ansonsten mit Vorgärten durchsetzten Siedlung. Hie und da hat man versucht, die Straße mit einem Blumenkasten aufzulockern. "Manche Bäume an den Straßen sind von Gras umringt, andere wieder von diesem weißen Kies, der dann irgendwann überall in der Gegend rumliegt." Herumliegender Hundekot sei ebenfalls ein Problem. "Die Pflege von Rasenflächen ist viel Arbeit. Die kann man eben leicht umgehen, wenn man beispielsweise diesen Kiesel nutzt", sagt Korab.

Die Antwort der zuständigen MA 28 auf die Frage, ob die Straßen denn so ausfüllend sein müssten, lässt Spielraum für Spekulationen: "Grundintention des Projekts Wildgartenallee war es, dem Fuß- und Radverkehr möglichst viel Platz einzuräumen. Die einzigen Fahrzeuge, die hier gestattet sind, sind jene der MA 48 für Winterdienst und Müllabfuhr." Die Mindestnorm dieser Straßen belaufe sich auf 3,5 Meter. "Die meisten Straßen sind hier definitiv breiter als das", sagt ein Anwohner.

Einer der Streitpunkte im Wildgarten: ein gemeinschaftlicher Platz, vollkommen versiegelt.
Foto: Pollerhof

Und die Versiegelung setzt sich fort. Sei es vor dem Eingang des italienischen Restaurants oder auf einem Platz mit seltsam angeordneten Leuchten. Der Asphalt erstreckt sich über die gesamte, noch nicht fertig bebaute Fläche der Siedlung. Hie und da gibt es Grünflächen, die mit Steinplatten zum Überqueren ausgestattet sind. Zwischen diesen besteht aber ein so großer Abstand, dass man von einer zur nächsten fast springen muss.

Planung und Realität

Mit dem Problem der Versiegelung ist der Wildgarten nicht allein. Auch die Seestadt Aspern wird laufend für ihren übermäßigen Einsatz von Asphalt kritisiert, vor allem im Seeparkquartier. Das schaue nicht nur schiach aus, sondern treibe auch die Erhitzung weiter voran.

In der Seestadt sorgte zuletzt das praktisch durchgängig asphaltierte Seeparkquartier für böses Blut.
Foto: Putschögl

In der Seestadt sei tatsächlich zu viel versiegelt, sagt auch Korab. "Im Vergleich ist der Wildgarten schon grüner." Das Problem sei oft die Diskrepanz zwischen dem Planerischen und der Realität. "Auf dem Papier sieht so ein Vorplatz eben super aus. Und wenn man ihn gebaut hat, merkt man erst, was für eine Betonwüste man damit geschaffen hat."

Foto: Pollerhof

Das sollte aber im Wildgarten anders aussehen. Entwickler ARE versprach zum Baubeginn, von der Gesamtfläche von 107.400 Quadratmetern sollten 46.000 unversiegelte Grün- und Freiflächen bleiben. Aber wie setzt sich diese Fläche zusammen? "Grünflächen, die den bei weitem größten Anteil ausmachen, Sportflächen, Gemeinschaftsgärten, andere Freiflächen mit wasserdurchlässigem Untergrund (wassergebundene Decke, Schotterrasen, Pflaster) und private Gärten. Zusätzlich gibt es überall, wo es möglich ist, begrünte Dächer, die ebenfalls zur Verbesserung des Kleinklimas und zur Regenrückhaltung beitragen", heißt es auf Anfrage bei der ARE beziehungsweise bei der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG), deren Tochterunternehmen die ARE ist.

Foto: privat
Foto: E. Diop

Eine andere Anwohnerin beschwert sich darüber, dass die Bäume unverhältnismäßig stark zugeschnitten werden. Auch sie macht sich Sorgen um das Versprechen des "Lebensraums für seltene Pflanzen und Tiere". "Nur ein Beispiel: Der Fuchs, der sich noch im vorigen Sommer hier gezeigt hat, auch noch im Frühjahr, ist verschwunden", sagt sie. Die Jungbäume, die neu und "zu eng" gepflanzt würden, bekämen auch zu wenig Wasser ab, sodass sie bereits verdorren. Außerdem sei die Sickerfähigkeit der Böden so schlecht, "dass die Kellerräumlichkeiten des Hauses, in dem ich wohne, heuer an einem Tag bereits zweimal geflutet wurden".

Foto: E. Diop

Auch ausgewachsene Bäume seien mit der Zeit gefällt worden. Bei der BIG heißt es auf Nachfrage: "Im Zuge der Bauführung mussten planungskonform auch Bäume, die im Bereich der zukünftigen Erschließung oder innerhalb der Baugrenzen liegen, gefällt werden. Für diese werden die entsprechenden Ersatzpflanzungen gemäß Wiener Baumschutzgesetz geleistet."

Auch Korab spricht hier von der Normalität. "Wo etwas gebaut wird, müssen eben Hindernisse verschwinden. Zudem bin ich mir sicher, dass diese Bäume nachgepflanzt werden."

Neue S-Bahn-Station?

Und dann wäre da noch das Problem mit der Anbindung. Derzeit fahren in der Nähe des Wildgartens der 63A und der 58A. Laut Website sind auch die S-Bahn-Stationen Hetzendorf und Atzgersdorf Optionen für die Anwohner. Beide sind aber fußläufig über 20 Minuten entfernt. Eine Station in der Mitte sei, laut Anwohnern, geplant gewesen, man habe nun aber lange nichts über die vermeintlichen Pläne gehört.

Langfristig lautet die Zielsetzung, die Voraussetzungen für eine neue S-Bahn-Station zwischen Atzgersdorf und Hetzendorf im Bereich östlich des Wildgartens zu schaffen. Seitens der Stadt Wien und der ÖBB gibt es Überlegungen zur Errichtung einer neuen S-Bahn-Station im Zuge des viergleisigen Ausbaus der Südbahn. "Ein genauer Zeitplan liegt uns noch nicht vor", ist die Antwort der BIG darauf.

Wer am Ende im Streit zwischen Entwicklern und Anwohnern recht hat, das lässt auch Korab offen. "Man darf nicht vergessen, Visualisierungen haben immer viel mit Marketing zu tun. Sie sollen den Endzustand zeigen, nicht den Status quo."

Bis dahin dürfte es aber wohl noch einige Jahre dauern. Und dann ist es auch an der Zeit, einen Vergleich zwischen den Erwartungen und der Realität zu ziehen. (Thorben Pollerhof, 9.11.2021)