Die Ärztekammer fordert 300 zusätzliche Kassenstellen im niedergelassenen Bereich. Der Ruf nach mehr Personal in den Spitälern wurde bereits erhört, hier wurden 250 Stellen zugesagt und zum Teil auch schon besetzt.

Foto: Corn

Wien – Vor zwei Jahren ließ die Ärztekammer eine Befragung durchführen, um die Stärken und insbesondere die Schwächen der Gesundheitsinfrastruktur aufzuzeigen. Inmitten der Pandemie wurde die Untersuchung voriges Jahr wiederholt und brachte einen großen Ausreißer im Vergleich zu 2018 zutage: die Antworten zu der Frage, wie die Gesundheitsinfrastruktur im EU-Vergleich beurteilt wird. Sowohl die 500 Personen aus der Wiener Bevölkerung als auch die 200 befragten Ärztinnen und Ärzte zeigten nun eine eklatant bessere Zufriedenheit mit den Gesundheitseinrichtungen in der Bundeshauptstadt.

"Das Gesundheitssystem hat einen gewaltigen Stresstest erlebt – und bestanden", fasste es Thomas Szekeres, Präsident der Wiener Ärztekammer, am Dienstag bei der Präsentation des Gesundheitsinfrastrukturberichts 2020 zusammen. Drei Viertel der Ärztinnen und Ärzte, statt zuvor gut die Hälfte, gaben nun an, dass die Wiener Gesundheitsinfrastruktur im europäischen Vergleich besser dastehe. Bei den Patientinnen und Patienten waren es zwei Drittel im Vergleich zu 57 Prozent im Jahr 2018.

Zwar meinen sowohl Ärzteschaft als auch Patientinnen und Patienten nur zu rund einem Viertel, dass sich die Gesundheitseinrichtungen sehr gut bewährt hätten. Gemeinsam mit jenen, die angaben, dass sie "eher gut" funktioniert hätten, ergibt sich aber eine ganz klare Mehrheit, die dies (eher) positiv beurteilt.

Trotz des guten Zeugnisses nach dieser Belastungsprobe sieht Szekeres Investitionsbedarf: "Das Budget muss dennoch erhöht werden", sagte der Kammerchef. Die Krise habe auch die Schwächen im System gezeigt, insbesondere, dass es beim Personal einen Engpass gebe.

Mehr Kassenordinationen

Die Kammer fordert seit Jahren 300 Kassenordinationen mehr für Wien, was Szekeres nun wiederholte. Dass rund 100 Millionen Euro an EU-Geldern für den Ausbau der Primärversorgungszentren zugesagt wurden, wie Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) kürzlich bekannt gab, sei erfreulich, wirke aber nur zum Teil dem Problem entgegen. Man brauche weiterhin den klassischen Hausarzt, insbesondere für die ältere Bevölkerung.

Eine weitere Forderung, jene nach mehr Spitalspersonal, werde inzwischen umgesetzt. 250 zusätzliche Stellen seien zugesagt und zum Teil bereits besetzt worden, teilte Szekeres mit.

Digitalisierung schritt voran

Laut Gesundheitsinfrastrukturreport sehen darüber hinaus zwei Drittel der im Juli 2020 insgesamt 500 befragten Patientinnen und Patienten Aufholbedarf im Pflegebereich und da insbesondere bei der mobilen Pflege. Die Hälfte der Befragten sieht Probleme im Spitalsbereich und beim Thema "Medizinische Digitalisierung". Letztere ist laut Szekeres während der Pandemie gut vorangeschritten und auch von den Patienten gut angenommen worden: "Das elektronische Rezept und auch die Krankschreibung über Telemedizin hat sich bewährt, die Technologien sollten weiterhin genützt werden", resümierte der Kammerchef.

Mehr Not-Infrastruktur für Pandemien

Die 200 befragten Ärztinnen und Ärzten sehen im Wiener Gesundheitssystem vor allem Verbesserungspotenzial bei der Not-Infrastruktur für Pandemien und beim Thema Digitalisierung sowie Probleme im niedergelassenen Bereich (zum Beispiel wegen Abwanderung der Ärztinnen und Ärzte).

Seit vielen Jahren wird moniert, dass die Spitalsambulanzen von Menschen überlastet würden, die eigentlich von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten behandelt werden sollten. Das zeigte sich auch in der aktuellen Befragung 2020. Somit bleibe zu wenig Zeit für einzelne Patientinnen und Patienten in den Krankenhäusern. 44 Prozent warnten außerdem vor einem Ärztemangel. Die Abwanderung von Ärzten (39 Prozent) und zu wenig Mittel für die Ausbildung (37 Prozent) seien weitere negative Folgen von Ineffizienz im Gesundheitswesen, gaben die Ärzte an.

Auch Managerinnen und Manager wurden befragt – und zwar dazu, welche Rolle ein gutes Gesundheitssystem für den Wirtschaftsstandort Wien spiele. Nach der Infrastruktur für IT, Energie, Telekommunikation und Straße folgte die Nennung der Gesundheitsinfrastruktur. Für Szekeres mit ein Grund, mehr Investitionen anstelle etwaiger Einsparungen zu fordern. (Gudrun Springer, Michael Matzenberger, 10.8.2021)