Um in nährstoffarmen Umgebungen an lebenswichtigen Stickstoff zu gelangen, setzen manche Pflanzen auf tierische Supplementierung: Mithilfe von klebrigen Sekreten, Klappfallen oder Hohlräumen fangen sie Insekten, die anschließend mit speziellen Verdauungsenzymen aufgelöst und konsumiert werden. Einige größere karnivore Pflanzenarten können sogar Frösche oder kleine Säugetiere fangen und verdauen. Die bekannteste fleischfressende Pflanze ist, nicht zuletzt dank popkultureller Referenzen, die Venusfliegenfalle – sie ist aber nur eine von hunderten beschriebenen Arten.

Triantha occidentalis, der neueste Name auf der Liste der fleischfressenden Pflanzen.
Foto: Danilo Lima

Nun kommt eine neue hinzu: Ein Forscherteam um Qianshi Lin von der University of British Columbia hat entdeckt, dass die in Nordamerika beheimatete Blütenpflanze Triantha occidentalis aus der Familie der Simsenliliengewächse ebenfalls zu den Karnivoren zählt, und nicht nur das: Das unscheinbare Gewächs geht dabei ziemlich ungewöhnlich vor, wie die Wissenschafter im Fachblatt "PNAS" berichten.

Klebriger Stängel

Triantha occidentalis lebt in Sumpfgebieten und Mooren, wo sie in den Sommermonaten Blütenstängel ausbildet. Wie die Forscher nun herausgefunden haben, dient das nicht nur der Fortpflanzung: Der gesamte Stängel ist mit klebrigen "Härchen" bedeckt, an denen Mücken und andere kleine Insekten haften bleiben – und an Ort und Stelle verdaut werden. Weit mehr als die Hälfte ihres Stickstoffbedarfs stillt Triantha occidentalis auf diese Weise.

Unscheinbar und ungewöhnlich: Blüten und Fangvorrichtung sind bei dieser Pflanze überraschend nah beisammen.
Foto: Danilo Lima

Doch anders als andere bekannte fleischfressende Pflanzen sorgt Triantha occidentalis nicht für eine räumliche Trennung zwischen ihren Beuteinsekten und nützlichen Bestäubern, wie Qianshi Lin erklärt: "Einzigartig an dieser Pflanze ist, dass sie Insekten in unmittelbarer Nähe ihrer Blüten fängt, die von anderen Insekten bestäubt werden müssen." Bei der Venusfliegenfalle etwa, die mittels Klappfallen nach Insekten schnappt, wachsen die Blüten in großem Abstand zu den Fangvorrichtungen, um nützliche Insekten nicht zu gefährden. Wie bringt dann Triantha occidentalis diese unterschiedlichen Interessen unter einen Hut – oder besser gesagt: auf einen Stängel?

Stabile Strategie

"Wir vermuten, dass die Drüsenhärchen nicht klebrig genug sind, um Bestäuberinsekten wie Bienen oder Schmetterlinge zu fangen, aber zum Erbeuten von Mücken ausreichen", sagt Tom Givnish von der University of Wisconsin-Madison, einer der Studienautoren. Die Strategie scheint aufzugehen: Ausführliche Beobachtungen und Analysen zeigten, dass die Pflanzen im Sommer bis zu 64 Prozent ihres Stickstoffbedarfs durch kleine Mücken stillen, während sich Bestäuberinsekten ungestört an die Blüten machen.

Fleischfressende Pflanzenarten gibt es übrigens auch in Österreich, etwa den klebrigen Sonnentau, Fettkräuter und einige Wasserschlaucharten. In Mitteleuropa sind rund 15 Arten bekannt, die meisten davon sind allerdings gefährdet: Der Verlust ihrer Lebensräume, vor allem Moore, und der zunehmende Nährstoffeintrag aus der Landwirtschaft wird immer mehr karnivoren Gewächsen zum Verhängnis. (David Rennert, 11.8.2021)