Südafrikanische Rechtsgelehrte sprechen von Jacob Zumas "Stalingrad-Strategie". Das mag für österreichische und deutsche Ohren zu martialisch oder drastisch klingen, trifft aber den Kern einer juristischen Schlacht, die am Kap der Guten Hoffnung schon seit fast zwei Jahrzehnten für größte Aufregung sorgt. So lange versuchen nämlich wechselnde Verteidigerteams des vormaligen südafrikanischen Präsidenten bereits, in einem beispiellosen "Häuserkampf" die Anklagen der Staatsanwaltschaft abzuwehren: Haus für Haus wird um jeden Zentimeter Boden gerungen – ein Durchbruch ist selbst 22 Jahre nach dem mutmaßlichen Korruptionsfall des führenden Politikers des regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) immer noch nicht abzusehen.

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Jacob Zuma, 79, versucht mit allen Mitteln, die Durchführung eines Prozesses zu vermeiden.
Foto: AP Photo/Shiraaz Mohamed

Die hiesige Öffentlichkeit hatte damit gerechnet, dass das Korruptionsverfahren gegen den inzwischen 79-jährigen Zuma am Dienstag endlich ernsthaft beginnen würde – nach zahllosen Ausweichmanövern, mit denen Zumas Anwälte das Landgericht in der Provinzhauptstadt Pietermaritzburg beschäftigt hatten. Sie erhoben Ende Juli Einspruch dagegen, dass das Verfahren wegen der Covid-Pandemie nicht "live" im Gerichtssaal, sondern "virtuell" übers Internet starten sollte; auf diese Weise werde ihrem Mandanten kein "fairer Prozess" gewährt, hieß es. Kurz nachdem Richter Piet Koen dem Wunsch der Zuma-Anwälte entsprach, hieß es plötzlich: Der wegen eines anderen Delikts inhaftierte Angeklagte sei ernsthaft erkrankt, der Beginn des Verfahrens müsse erneut verschoben werden.

Todesgefahr durch Prozess?

Ihren Antrag stützten die Verteidiger auf die Stellungnahme des hochrangigen Militärarztes Mcebesi Mdutywa. Zuma sei dermaßen ernsthaft erkrankt, dass ein Prozess für ihn tödlich sein könnte, heißt es in der Erklärung des Arztes: Seine Genesung werde mindestens ein halbes Jahr in Anspruch nehmen. Die Krankheit des Ex-Präsidenten sei auf eine "traumatische Verletzung" vor eineinhalb Jahren zurückzuführen, hieß es weiter: Deren Behandlung habe der Angeklagte wegen seiner Beanspruchung durch zahlreiche juristische Verfahren verschleppt.

Um welche Krankheit es sich genau handle, wurde bisher nicht mitgeteilt. Einzelheiten sollen erst in einem ausführlichen ärztlichen Untersuchungsbericht stehen, der Ende des Monats fertig sein muss. Ein neuer Gerichtstermin wurde für den 9. September vereinbart. Selbst dann wird es jedoch noch immer nicht um die eigentliche Sache gehen, weil zunächst über das ärztliche Gutachten verhandelt werden muss. Hält Richter Koen den ärztlichen Bericht für glaubwürdig, wird der Prozess wohl mindestens um ein weiteres halbes Jahr verschoben – oder sogar ganz scheitern.

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Mitte Juli kam es rund um die Verhaftung von Jacob Zuma zu beispiellosen Unruhen und Plünderungen (Bild: Durban).
Foto: AP Photo/Andre Swart

Zumas Stalingrad-Strategie wird in Südafrika mit zunehmender Sorge verfolgt. Seine Verhaftung wegen Missachtung eines Urteils des Verfassungsgericht löste vor drei Wochen eine beispiellose Gewalt- und Plünderungswelle in den beiden bevölkerungsreichsten Provinzen des Landes, Gauteng und KwaZulu-Natal, aus. Dabei kamen fast 350 Menschen ums Leben, die Wirtschaft soll einen Schaden von rund 50 Milliarden Rand, knapp drei Milliarden Euro, erlitten haben. Wegen seiner Weigerung, vor einer Kommission zur Untersuchung der Korruption während seiner Amtszeit auszusagen, hatte das höchste Gericht des Landes Zuma zu einer 15-monatigen Haftstrafe verurteilt.

Politischer "Häuserkampf"

Der "Häuserkampf" des ANC-Politikers gegen die Justiz geht auf das Jahr 2005 zurück, als der damalige Vizepräsident gerichtlich gegen Ermittlungen und Hausdurchsuchungsbefehle der Polizei vorging. Sie galten den Vorwürfen, dass Zuma im Rahmen eines umfangreichen Waffeneinkaufs der südafrikanischen Streitkräfte – an denen auch die deutschen Unternehmen Thyssen und Ferrostaal beteiligt waren – mehrere Millionen Rand von seinem "Geschäftsfreund" Shabir Shaik als "Schmiergeld" erhalten zu haben. Shaik war in diesem Zusammenhang bereits 2004 zu 15 Jahren Haft verurteilt worden.

Dagegen gelang es Zuma – offensichtlich vor allem unter Anwendung politischen Drucks –, ein ähnliches Verfahren zu vermeiden. Nach seiner Wahl zum ANC-Präsidenten zog der damalige Chefankläger Mokotedi Mpshe die Anklage gegen Zuma zurück. Sie wurde erst nach dem Rücktritt des Präsidenten neun Jahre später und einem juristischen Marathonlauf der oppositionellen Demokratischen Allianz wiederbelebt.

Zumas Stalingrad-Strategie kostete Südafrikas Steuerzahler umgerechnet mehr als 1,5 Millionen Euro: Anfang dieses Jahres befand ein Gericht, dass diese Kosten zu Unrecht von der Staatskasse übernommen wurden. (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 10.8.2021)