Tausende Menschen demonstrierten in Polen am Dienstag gegen das geplante Mediengesetz, das Grund für den aktuellen Koalitionsstreit ist.

Foto: imago images/ZUMA/Aleksander Kalka

Bild nicht mehr verfügbar.

Warschau, 26. September 2020: Mateusz Morawiecki, Jaroslaw Kaczynski, Jaroslaw Gowin und Zbigniew Ziobro (v.l.n.r.) geben eine Pressekonferenz.

Foto: Reuters/David Zuchowicz/Agencja Gazeta

Jarosław Gowin, bisher Wirtschaftsminister und stellvertretender Premier Polens, erfährt es aus dem Fernsehen: Er ist gefeuert. Kurz nach 18 Uhr, als am Dienstagabend im ganzen Land Solidaritätsdemonstrationen für den Privatsender TVN beginnen, verkündet Polens Regierungssprecher den Rauswurf. Premier Mateusz Morawiecki von der nationalpopulistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) habe den Chef der Kleinpartei Porozumienie ("Verständigung") und Juniorpartner der Koalition entlassen.

Unmittelbarer Anlass ist das Mediengesetz, das am Mittwoch im Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus, beschlossen werden soll. Gowin weigerte sich in den vergangenen Tagen, die sogenannte "Lex TVN" zu unterstützen, da die Neuregelung der Eigentumsverhältnisse bei ausländischen Investoren den US-Konzern Discovery dazu zwingen würde, sich entweder von 51 Prozent seiner Anteile an TVN zu trennen oder aber Polen ganz zu verlassen. Dies würde den polnisch-amerikanischen Beziehungen enormen Schaden zufügen, befürchtet Gowin.

Aus Ex-US-Außenministerin Madeleine Albright zeigt sich besorgt.

Streit um Corona-Wiederaufbauplan

Offiziell hieß es allerdings zur Begründung, dass Gowin und sein Ministerium die neuen Gesetzesvorlagen und Anordnungen für den Corona-Wiederaufbauplan "Polnische Ordnung" zu langsam vorbereiteten. Mit der gleichen Begründung hatte Morawiecki drei Tage zuvor bereits Gowins Stellvertreterin im Ministerium für Entwicklung, Arbeit und Technologie entlassen. Sie hatte öffentlich Kritik am Corona-Wiederaufbauprogramm geübt. Auch wenn Geringverdienerinnnen und Geringverdiener von der "Polnischen Ordnung" profitierten, so Anna Kornecka, bürde es doch denjenigen Polen und Polinnen, die über 2.500 Euro monatlich verdienen, sowie den kleinen und mittelgroßen Unternehmen sehr große Steuerlasten auf.

Kornecka konnte allerdings ihre Arbeit fortsetzen, da Gowin sie umgehend zu seiner Bevollmächtigten im Wirtschaftsministerium ernannte. In der PiS wurde das als offener Affront wahrgenommen. Noch am Dienstagabend kündigte Gowin an, dass seine Partei die Koalition "Vereinigte Rechte" wahrscheinlich schon am Mittwoch verlassen werde.

Parlamentsmehrheit bleibt wohl

Damit zerbricht zwar die bisherige Regierung, doch die absolute Stimmenmehrheit im Sejm – 231 von 460 – wird die PiS wohl behalten. Dies zumindest deutet Jacek Sasin, Minister für Staatsbeteiligungen, im Staatsfernsehen TVP Info an. Die meisten der neun von einst 18 Abgeordneten, mit denen Gowin 2019 auf der PiS-Wahlliste in den Sejm eingezogen war, würden nun die PiS unterstützen, so Sasin.

Darüber hinaus, so rechneten bereits politischer Beobachter nach, gebe es noch mindestens drei Abgeordnete der ehemaligen Kukiz-15-Fraktion rund um den ehemaligen Rocksänger Paweł Kukiz sowie einige der rechtsradikalen Gruppierung "Konföderation", die zur PiS wechseln könnten. Anreize gibt es genug. Unlängst erst hat die PiS einen abtrünnigen Abgeordneten mit einem lukrativen Bankposten zurück in ihre Reihen geholt.

Bangen um zweiten Koalitionspartner

Problematisch für die PiS-geführte Regierung könnte es allerdings werden, wenn auch der zweite Koalitionspartner, die Minipartei des Justizministers und Generalstaatsanwalts Zbigniew Ziobro, "Solidarische Polen", die Reißleine zieht und die Koalition verlassen würde. Ziobro gilt als Vater der umstrittenen Justizreformen in Polen. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) sollen die Reformen zumindest im Fall der Disziplinarkammer für Richter zurückgefahren werden. Das Ultimatum der EU-Kommission läuft am kommenden Montag aus. Danach könnte die Kommission Strafzahlungen beantragen, sollte Polen das EuGH-Urteil nicht umsetzen. Ziobro ist strikt dagegen und erkläre in einem Interview ganz offen, dass Polen "nicht um jeden Preis" in der EU bleiben müsse.

Die erste Probe muss die geschrumpfte Koalition bereits am Mittwoch bei der Sejm-Abstimmung über die "Lex TVN" bestehen. Gelingt es der PiS, auch ohne den Juniorpartner eine absolute Mehrheit zusammenzubekommen, wird der letzte noch freie Fernsehsender über kurz oder lang aus Polen verschwinden. (Gabriele Lesser aus Warschau, 11.8.2021)