Eine zentrale Rolle spielt die Frage, ob auf die Bedürfnisse des jeweils anderen Rücksicht genommen wurde.

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"Aber wir sind doch nur Freunde" ist in Scheidungsverfahren vor dem Obersten Gerichtshof keine gültige Ausrede. In einer aktuellen Entscheidung bestätigte das Höchstgericht seine Rechtsprechung, dass auch eine "rein freundschaftliche" Beziehung zu einer anderen Person eine Eheverfehlung sein kann. Voraussetzung ist allerdings, dass die Freundschaft gegen den Willen des anderen Ehegatten gepflogen wird oder ein Ehegatte sie dem anderen trotz ihrer "über das Übliche hinausgehenden Intensität" verheimlicht (OGH 22.6.2021, 1 Ob 2/21g).

Schuldfrage

Anlass der Entscheidung war die gerichtliche Auseinandersetzung zweier Eheleute, die in ihrem Scheidungsverfahren versuchten, die Schuld des jeweils anderen zu beweisen. So beschwerte sich der Mann über zu wenig Geschlechtsverkehr. Außerdem vermutete er eine außereheliche Liebschaft seiner Gattin mit dem Nachbarn.

Die Ehefrau brachte dagegen vor, der Mann habe sie geschlagen und betrogen – belegen konnte sie dies allerdings nicht. Fest stand nur, dass der Gatte seinen Kontakt zu einer anderen Frau verheimlicht hatte. Das Erstgericht und das Berufungsgericht werteten das als "schwere Eheverfehlung". Denn: Durch den Umgang mit seiner Bekannten habe er jedenfalls "objektiv den Schein einer ehewidrigen Beziehung erweckt".

Keine ausreichenden Anhaltspunkte

Dass auch "rein freundschaftliche Beziehungen" zu einem Dritten eine Eheverfehlung sein können, bestätigte auch der Oberste Gerichtshof in dritter Instanz. Voraussetzung ist – wie bereits erwähnt – die Verheimlichung und eine über "das Übliche hinausgehende Intensität" der Freundschaft. Im konkreten Fall hat es laut Höchstgericht allerdings keine ausreichenden Beweise für die "Intensität der Beziehung" gegeben.

Fest stand lediglich, dass sich der Mann mehrmals mit der anderen Frau getroffen hatte, mit ihr seine Freizeit verbrachte und "ihr bei zwei Gelegenheiten behilflich war". Außerdem sei unklar, ob er die Beziehung nicht erst dann aufgenommen hatte, als die Ehe bereits gescheitert war. Der Oberste Gerichtshof verwies die Angelegenheit daher zurück ans Bezirksgericht. Es muss nun neuerlich Beweise aufnehmen.

Die ständige Rechtsprechung, dass auch freundschaftliche Beziehungen der Ehegatten zu einer anderen Person schwere Eheverfehlungen sein können, geht auf eine OGH-Entscheidung aus dem Jahr 1966 zurück. Dass noch immer so entschieden wird, mag verwundern. Hintergedanke ist aber wohl, dass sich der Betrug – im Gegensatz zu einer freundschaftlichen Beziehung – oftmals nur schwer beweisen lässt. Ob tatsächlich eine schuldhafte Eheverfehlung vorliegt, entscheiden Gerichte immer im Einzelfall. Eine zentrale Rolle spielt dabei, ob auf die Bedürfnisse des jeweils anderen Rücksicht genommen wurde. "Wenn man etwas macht, obwohl man weiß, dass es dem anderen wehtut, verstößt das gegen die Grundsätze der Einvernehmlichkeit und der gegenseitigen Rücksichtnahme", sagt die Juristin Theresa Kamp. (Jakob Pflügl, 11.8.2021)