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Die Impfskepsis auf dem afrikanischen Kontinent ist groß.

Foto: AP Photo/Themba Hadebe

Zumindest derzeit läuft es wie geschmiert. In Südafrika werden täglich rund 200.000 Corona-Impfdosen verabreicht, bald sollen es sogar 300.000 sein. Damit sucht das etwas weniger als 60 Millionen Einwohner zählende Schwellenland seine Bevölkerung emsiger vor dem Coronavirus zu schützen als mancher Industriestaat – und kann sich selbst mit Deutschland (rund 500.000 Dosen bei 83 Millionen Einwohnern) messen lassen.

Das war nicht immer so: Noch vor vier Monaten hatte das Land am Südzipfel Afrikas, das mit derzeit mehr als 2,5 Millionen Infektionen einsam an der Spitze des Kontinentes liegt, noch kaum eine Nadel in die Oberarme seiner Bürgerinnen und Bürger gestochen. Ob der Impfboom anhält und die entscheidende Zweidrittelmarke für die "Herdenimmunität" der Bevölkerung tatsächlich bis Ende des Jahres erreicht werden kann, ist allerdings nicht ausgemacht. Denn 43 Prozent der Südafrikaner sind einer Umfrage des unabhängigen Afro-Barometer-Instituts zufolge vom Nutzen einer Impfung alles andere als überzeugt. Sie glauben, dass Gebete wirksamer sind als Vakzine.

Niedrige Impfrate

Dass die Impfkampagne so spät anlief, hatte mit der Skepsis der Bevölkerung jedoch nichts zu tun. Zunächst verschlief Südafrikas Regierung die Bestellung der Vakzine, und als sie aufwachte, hatten sich die Industrienationen die Dosen unter den Nagel gerissen. Kein Wunder, dass die Impfrate auf dem gesamten Kontinent heillos hinterherhinkt: Lediglich drei Prozent der 1,2 Milliarden Afrikaner haben bislang zumindest eine Dosis bekommen, in den Industrienationen sind es meist über 50 Prozent.

Inzwischen ist die Verfügbarkeit der Impfstoffe zumindest in Südafrika allerdings nicht mehr das Hauptproblem: Derzeit ist es die Logistik, nämlich mit genügend medizinischem Personal in alle Teile des Landes zu kommen – und bald wird es der Widerstand großer Teile der Bevölkerung gegen die im Westen entwickelten angeblichen Wundermittel sein.

Skepsis durch Kolonialismus

Das Misstrauen vieler Afrikaner gegenüber westlicher Medizin hat eine lange Tradition. Das in weiten Teilen des Kontinents verbreitete Verständnis von Krankheit unterscheidet sich vom europäischen radikal: Verantwortlich für physische Gebrechen sind hier nicht mikroskopisch kleine Erreger, sondern das aus dem Lot gerate Verhältnis eines Individuums zu seiner sozialen Umwelt und den Ahnen, die dazugehören.

Hinzu kommt die Skepsis gegenüber angeblichen Errungenschaften der einstigen Kolonialherren: Sie haben in den vergangenen Jahrhunderten nur Unheil gebracht. Selbst blitzgescheite Staatschefs teilen dieses Misstrauen. Anders ist die Ablehnung retroviraler HIV/Aids-Medikamente durch den südafrikanischen Ex-Präsidenten Thabo Mebki nicht zu verstehen. Der scheidende Präsident des Verfassungsgerichts, Mogoeng Mogoeng, warnte die Kapbewohner vor einem halben Jahr: "Wenn der Impfstoff eine satanische Wirkung wie das apokalyptische Tier aus der Offenbarung bringt, dann muss der Impfstoff verbrannt werden. Gott muss einschreiten und es zerstören."

Das war vielen Südafrikanern dann doch zu viel. Der höchste Richter des Landes solle seine gefährliche Flammenrede gegen das "Biest" wieder zurücknehmen, wurde gefordert: Andernfalls sei jede Impfkampagne zum Scheitern verurteilt. Der fromme Jurist blieb stur und war damit – wie die jüngste Umfrage belegt – auch nicht allein. Mehr als die Hälfte aller Südafrikaner traut selbst der eigenen Regierung nicht, wenn es um empfindliche Fragen der Gesundheit und der Moral geht. Die zahlreichen Korruptionsskandale im Zusammenhang mit der Beschaffung medizinischer Ausrüstung für den Kampf gegen die Pandemie bestätigten sie noch.

Tote durch Medikamententest

Das Misstrauen gegenüber Absichten und Produkten westlicher Pharmakonzerne ist nicht unbedingt unbegründet – wie ein Skandal in der nordnigerianischen Provinzhauptstadt Kano aus dem Jahr 1996 belegt. Im Zusammenhang mit einer ungewöhnlich schweren Meningitis-Epidemie (einer von zehn Erkrankten starb) probierte der Impfstoffhersteller Pfizer ein neues Medikament namens Trovan aus – ohne dass die Behandelten oder die Behörden von dem Experiment mit der bislang ungetesteten Arznei in Kenntnis gesetzt wurden.

Trovan stellte sich später als nutzlos oder sogar schädlich heraus: Elf minderjährige Testteilnehmer starben, dutzende erblindeten, wurden gelähmt oder verloren ihr Gehör. Die Provinzregierung und mehrere Geschädigte zogen vor Gericht und versuchten von Pfizer einen Schadenersatz in Höhe von sieben Milliarden Dollar zu erstreiten – einigten sich mit dem US-Konzern aber schließlich außergerichtlich auf die Zahlung von 75 Millionen Dollar.

"Sie werden verstehen, dass ich gegenüber Impfstoffen seither skeptisch bin", sagte der gelähmte Bello zu Reportern des unabhängigen Nachrichtendiensts Unbias the News. "Ich werde mich weder mit Pfizer- noch mit den Produkten anderer Hersteller impfen lassen." Nicht jeder afrikanische "Antivaxxer" sei von bigotten Vorstellungen geleitet, erklärt die nigerianische Historikerin Samaila Suleiman: "Manche haben schlicht schlechte Erfahrungen gemacht." (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 13.8.2021)