Das Gebäude der Wiener MA 48 gilt weltweit als Vorzeigeprojekt im Bereich Vertikalbegrünung

Foto: www.corn.at Heribert CORN

Eine neue Ö-Norm mischt sich unters Volk und könnte größeren und vor allem grüneren Einfluss haben als viele andere. Zugegeben, neue Normen treiben den Level an Aufregung nicht gerade auf die Spitze, allein der neue Standard mit der Kennzahl "L 1136 Vertikalbegrünung im Außenraum" gibt Hoffnung für hitzegeplagte Städter.

Das Ziel ist nämlich, Gebäude nachhaltig grüner und kühler zu gestalten. Außerdem ist sie die erste Norm in Europa, die Fassadenbegrünung in all ihren Facetten regelt. "Oft wird viel Geld für den Bau ausgegeben und bei der Pflege gespart. Dann ist das Gewächs nach zwei Jahren nicht mehr in Ordnung, und die Begrünung gilt als gescheitert", erklärt Landschaftsarchitekt Stefan Brunnauer. Diese Problematik greife die Norm auf, indem das Pflegekonzept integriert und kalkuliert wird. Brunnauer, der selbst an der Ausarbeitung der Norm beteiligt war, betont: "Bauwerksbegrünung kann nur als gesamter, integrierter Prozess funktionieren."

Was die Kosten der Bauwerksbegrünung betrifft, so könne keine pauschale Summe genannt werden. Darin sind sich Expertinnen und Experten einig. Allerdings: Etwa 1,5 bis zwei Prozent der Gesamtkosten des Bauprojekts müssen laut Herbert Eipeldauer vom Verband für Bauwerksbegrünung veranschlagt werden. Die Investitionen ließen sich aber gegenrechnen.

Natürliche Kühlleistung

Dabei helfen Kennwerte wie Verschattung, Verdunstungskälte und der sogenannte Leaf-Area-Index (Blättchenindex). Susanne Formanek, Geschäftsführerin des Innovationslabors Grün statt Grau, erklärt: "Damit können wir berechnen, wie stark die Blätter übereinander liegen und wie stark die Beschattung auf das Gebäude ist." Daraus wiederum lasse sich die Kühlleistung berechnen und der verringerte Energieverbrauch des Hauses. Dass dieser Faktor auch in den Energieausweis von Gebäuden aufgenommen wird, sei gerade im Entstehen.

Einen weiteren interessanten Wert weist die sogenannte PET-Temperatur aus. Dabei geht es nicht um recycelbare Flaschen oder Haustiere, sondern um gefühlte Temperatur. Diese steht in Relation zu Wind, Strahlung, Feuchte und menschlichem Empfinden, ist aber ein genormter Begriff. Formanek betont, dass die PET-Temperatur gerade im Bereich der Vertikalbegrünung sehr aussagekräftig sei, denn das Grün wirke optisch und physisch auf den Menschen ein.

Fassadenbepflanzung ist ausbaufähig

Diesen Schluss lässt zumindest eines der längsten Forschungsprojekte weltweit zu. Seit zehn Jahren wird die vollflächige Grünfassade der MA 48 im fünften Wiener Gemeindebezirk intensiv von der Universität für Bodenkultur gemonitort.

"Blattoberflächen erhitzen sich nur unwesentlich mehr als die Umgebungsluft, so wird durch Begrünungen und ihre natürlichen klimatischen Effekte die gefühlte Temperatur vor der Fassade messbar bis zu 13 °C gesenkt", sagt Formanek. Die PET-Temperatur ergibt freilich eine andere Temperatur als die eines Messsystems, aber "es ist trotzdem relativ viel".

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Die Sensoren des Gebäudes der MA 48 messen Beschattung und Kühlung der Umgebungstemperatur seit zehn Jahren.
Foto: Guo Chen / Action Press / picturedesk.com

Die Bauwerksbegrünung ist in Österreich, gelinge gesagt, ausbaufähig. So lag das durchschnittliche Umsatzwachstum im Dachbegrünungsmarkt zwischen 2014 und 2018 bei nur neun Prozent. Die Tatsache, dass jede fünfte Kommune mittlerweile ein grünes Dach verbindlich vorschreibt, wird diese Zahl zukünftig allerdings in die Höhe treiben.

Was die Fassadenbegrünung betrifft, hätte diese laut Landschaftsgärtner Stefan Brunnauer auch Auswirkungen auf den angrenzenden Straßenraum. Das sei vor allem dann von Bedeutung, wenn Gehsteige zu eng sind und die derzeit am häufigsten gegen Hitze eingesetzte Maßnahme – zusätzliche Städtebäume einzupflanzen – keine Möglichkeit ist.

Grüne Jobs

Aber auch hier ist noch Luft nach oben. Laut dem Green Market Report von Grün statt Grau werden 40.000 Quadratmeter Fassadenfläche in Österreich jährlich begrünt. Das Flächenpotenzial liegt allerdings allein in Wien bei 120 Millionen Quadratmetern.

Dabei könnten auch die Wachstumsaussichten der Branche Investoren auf den Plan rufen. So ist im Green Market Report zu lesen, dass sich der Bauwerksbegrünungsmarkt bis 2030 in einem moderaten Wachstumsszenario auf 270 Millionen Euro Umsatz ausweiten und bei Forcierung der Dachbegrünung bis zu 33.000 grüne Jobs entstehen könnten.

Formanek ist überzeugt: "Schon bald wird eine klimasensible Planung in der Baubranche Voraussetzung sein. Häuser der Zukunft müssen den neuen Herausforderungen des Klimawandels angepasst werden, damit Menschen und Pflanzen in Zukunft gut überleben können." (Julia Beirer, 30.8.2021)