Die prunkvolle Fassade an der Münchner Weinstraße spielt ...

Foto: Michael Heinrich.

... gekonnt mit Zwei- und Dreidimensionalität. Dem Fanshop gefällt’s sicherlich.

Foto: Michael Heinrich.

Mehr München als hier gibt es wohl nur am Boden einer Oktoberfestmaß. Vorn das Rathaus, hinten die Frauenkirche und mittendrin der Fanshop FC Bayern Welt. "Mehr Kontext an einem einzigen Ort gibt es in dieser Stadt wohl kaum", sagt Architekt Matthias Haber, Partner im Büro Hild und K, über seinen prominenten Bauplatz, während hinter ihm junge Fußballfans ihre teuren Saisonstart-Devotionalien abholen. Dabei ist der Shop mit dem FC-Bayern-Logo nicht die architektonische Besonderheit dieses Hauses, sondern dessen Fassade, die seit ihrer Fertigstellung vor wenigen Monaten für ähnlich geteilte Meinungen gesorgt hat wie der Millionärsverein.

Komprimierte Baugeschichte

Eine solche Fassade, wie sie Hild und K hier erdacht haben, gibt es kein zweites Mal, und trotzdem ist sie so münchnerisch wie der Bauplatz. Das Haus, das neben dem Fanshop ein Restaurant und Hotel beherbergt, ist ein Neubau, der einen 1950er-Jahre-Bau ersetzt, der wiederum an Stelle eines kriegszerstörten historistischen Hauses aus dem Jahr 1872 stand. Der Neubau komprimiert diese Baugeschichte in eine Art Fassaden-Lasagne, die genau auf der Mitte zwischen Zwei- und Dreidimensionalität balanciert. Der Fassadenaufriss des Altbaus, im Maßstab 1:100 erhalten im Münchner Stadtarchiv, wurde inklusive aller Tuschestift-Stilismen auf die neue Fassade projiziert und auf drei Schichten Putz verteilt.

Die unterste, fast schwarz gerußt, zeichnet die Schatten der alten Zeichnung nach und überlagert sich mit den realen Schatten der Münchner Nachmittagssonne von 2021. Die mittlere Schicht, ziegelrot, nimmt Bezug auf den Chor der Frauenkirche, der hinter dem Haus aufragt. Die oberste, cremeweiß, auf das Rathaus gegenüber. Zierelemente wie Löwenköpfe und Porträts wurden durch die Vergrößerung und den Wechsel der Handwerkstechnik zu halb-abstrakten, fast cartoonhaften Schemen. Nicht wenige Passanten bleiben hier stehen, mit Denkblasen über dem Kopf, in denen "Huch?" steht.

Wieder-Wiederaufbau

Das ist nur eine Frage, die hier aufgeworfen wird. Eine andere: Passt das hierher? Ja, denn erstens ist der Putz in München das vorherrschende Fassadenmaterial, zweitens hat die hier angewendete Technik des Sgraffito eine lange Lokalgeschichte, erklärt Matthias Haber. "Diese Methode, bei der eine Putzschicht teilweise abgekratzt wird, um die dahinterliegende sichtbar zu machen, gab es schon vor 1900. Im Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg verwendete man sie, um auf kostengünstige Weise eine lokaltypische Atmosphäre zu schaffen."

Prominentes Beispiel gleich ums Eck: das Kaufhaus Beck am Marienplatz, dessen rot-weiß gemusterte Fassade der Maler Max Lacher 1956 gestaltete. Anders als die meisten deutschen Großstädte, die ihre zerstörten Innenstädte mit sechsspurigen Stadtautobahnen durchpflügten, die gerne "Ost-West-Straße" oder "Nord-Süd-Straße" hießen, ging München einen behutsameren Weg des Wiederaufbaus und behielt das Straßengeflecht und die Parzellenstruktur weitgehend bei. Auch an diese Kontinuität knüpft das Projekt an. "Im Grunde ist es immer noch Wiederaufbau, was wir hier machen", sagt Haber.

Ist ein Neubau ein Wiederaufbau, ist ein verfremdetes Fassadenzitat eine Rekonstruktion? An diesen Fragen arbeiten Hild und K seit langem und fühlen sich in der provokanten Ambivalenz offenbar sehr wohl. Ein Vorläufer des Münchner Dreifarbenhauses realisierten sie schon 1999 an einem Gründerzeithaus in Berlin, das in der Nachkriegszeit "entstuckt" worden war. Anstatt den schweren Fassadenschmuck wieder aufzufahren, wurde eine Zeichnung des Originals als fein liniertes Schattenspiel in den weißen Putz geprägt – aufgrund der leichten Inkongruenz von Plan und Realität auf irritierende Weise verschoben. Eine "faszinierend verwirrende" Idee, wie damals das Deutsche Architektenblatt schrieb.

Spiel und Ironie

Eine solche Mehrdeutigkeit sorgt für verlässliche Nervosität in der deutschen Architektenwelt. Auch die Münchner Fassade erntete Entsetzen und Begeisterung und wenig dazwischen. In Deutschland bildet die Schnittmenge von Moderne und Korrektheit immer noch den festzementierten Kern der Architektenszene, für die es stets ein eindeutiges Richtig und Falsch gibt. Hier gelten Fassaden, die einfach nur Fassade sein wollen, als flittchenhaft-frivol, hier ist das Ornament zwar kein Verbrechen, aber "irgendwie unseriös".

Aber ist der altneue Neubau in München überhaupt ironisch gemeint? "Das wird uns oft nachgesagt", sagt Matthias Haber. "Ganz falsch ist es nicht, denn eine gewisse Freude an der Provokation ist dabei. Erst recht, wenn die Haltung zum Historismus heutzutage so verkrampft ist und ein kreativer Umgang mit der Vergangenheit fehlt. Wir wollen Techniken ausprobieren, die uns interessieren." So wie das Sgraffito in München.

Liebe zum Putz

Dessen Wiederentdeckung ist ein Ergebnis der Liebe zum Putz und zu dessen vernachlässigten Gestaltungsmöglichkeiten, die das 1992 von Andreas Hild und dem früh verstorbenen Tillmann Kaltwasser gegründete Büro von Beginn an prägt. Sie trifft sich hier mit der Zuneigung zu einer ungeliebten Ära der Architekturgeschichte, nämlich den 1950er-Jahren, deren Bauten in der Sonnenbrille-im-Haar-Metropole München fast ärmlich wirken, aber mit ihrer heiteren Bescheidenheit immer die Stadt prägen.

Eine Technik, die heute, anders als in den 1950er-Jahren, keineswegs billig ist und für die es kaum noch handwerkliche Expertise gibt. Hier fügte es sich glücklich, dass der Stukkateur gemeinsam mit seiner Tochter, die als Grafikerin arbeitet, ein Verfahren entwickelte, die Vorlage von 1872 digital auf Folien zu transferieren, die dann, präzise ausgeschnitten, als Schablonen für den Putz dienten.

Das zeigt: Digitalisierung am Bau kommt nicht nur in verspiegelten Blob-Gebäuden daher, und die Potenziale der Architektur aus dem 3D-Drucker liegen nicht im albernen Bestreben, ganze Häuser in Form von plump aufeinandergeschichteten Lehmwürsteln auszudrucken, sondern im präzisen Detail. So finden das Ornament und das Handwerk wieder ihren Weg ins Gesicht der Stadt. (Maik Novotny, 15.8.2021)