Die Satire trennt von der Blödelei, dass sie ein gesellschaftliches Anliegen verfolgt. Dieses Anliegen, oder auch nur die Schwerpunktsetzung dessen, was kritisiert werden soll, unterliegt einem ständigen Wandel. Die moderne Geschichte der Satire hat ihre Wurzeln im Aufbegehren gegen höfische Zensurbestimmungen. Sie führt dann über das bürgerliche, oft jüdisch geprägte Kabarett der Zwischenkriegszeit bis zu dessen Wiederbelebung in den 60er- und 70er-Jahren unter dem Eindruck der 68er-Generation.

Wie kein anderer steht hierzulande Lukas Resetarits für diese Neuausrichtung des vor allem ab den 90er-Jahren unglaublich publikumsstark gewordenen Kabaretts. Was zeichnet es aus? Sicherlich die politische Ausrichtung, die sich im weitesten Sinn (nicht im parteipolitischen!) als sozialdemokratisch umschreiben lässt. Kapitalismuskritik, Verteilungskämpfe, die soziale Frage – das sind meist die Kernanliegen in den abendfüllenden Programmen der Generation Resetarits. Prägend für sie: die Erfahrung, dass erst durch einen gut ausgebauten (linken) Sozialstaat gesellschaftlicher Aufstieg möglich wurde.

Was aber kommt jetzt, außer der Verteidigung dieser Errungenschaften gegen neoliberale Rückbautendenzen? Natürlich rücken junge Satiriker nach. Auch, aber nicht nur auf der Bühne. Denn gerade im Netz, auf Social-Media-Plattformen wie Tiktok und Instagram, finden sie ihr Publikum. Keine abendfüllenden Programme, sondern wenige Sekunden kurze, pointierte, der Internetkultur des Memes verwandte Videos sind ihr Metier.

Migration, Rassismus, Sexismus

Was unterscheidet junge Netz-Comedians wie Toxische Pommes inhaltlich von ihren Altvorderen? Häufig ist es die biografische Erfahrungswelt: Migrationshintergrund, Rassismus, auch Sexismus – Frauen, das muss man dazusagen, waren im Kabarett seit jeher stark unterrepräsentiert. Es stehen also Fragen zur eigenen Identität im Vordergrund, wenn sie ihre Videoclips und Stand-ups produzieren.

Nun könnte man einwenden, dass das alles auch Lukas Resetarits bereits vorwegnahm: Er, der als Burgenlandkroate selbst Erfahrung mit dem "Anderssein" gemacht hat, thematisierte schon in den 80er-Jahren in seinem berühmten Sketch Tschusch, Tschusch Rassismus migrantischer Gruppen untereinander – ein häufiges Motiv auch bei heutigen Comedians. Was also ist anders?

In erster Linie das Publikum, das mit den Witzen erreicht wird. Richtete sich die Generation Resetarits stark an leibhaftiges, oft über den Dialekt sozialisiertes autochthones Publikum, so zielen die Netz-Comedians stärker auf eingeschworene Communitys ab, die jeden "Insider-Joke" verstehen und via Kommentar auch selbst noch nachlegen, wenn ihnen danach ist. Die Engführung auf eine Community unterscheidet sie auch von Künstlern wie Bülent Ceylan oder Serdar Somuncu, die seit den 90er-Jahren große Eventhallen füllen und sehr zum Missfallen der Künstler selbst als "Ethno-Comedians" etikettiert wurden.

Aus der Blase auf die Bühne

Darüber steht nun die Frage, ob sich in der Satire fortsetzt, was Leute wie die Linkspolitikerin Sahra Wagenknecht aktuell an der Linken kritisieren: ein Auseinanderfallen in einen "altlinken" Flügel, der Kapitalismuskritik noch immer ganz oben auf der Agenda hat, und einen "linksliberalen" Flügel, der identitätspolitische Fragen für vordringlich hält.

Eine mögliche Erklärung dafür wäre, dass Letztere sich von Problemen, die nur durch eine kollektivistische Kraftanstrengung geändert werden können, desillusioniert zeigen und eher auf das setzen, was scheinbar noch in der eigenen Macht liegt. An die Stelle der Kapitalismuskritik rückt dann die vermeintlich individuell zu korrigierende Ansicht zu Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht, Sexualität oder Herkunft.

Wie fänden diese Flügel nun wieder zusammen? Vielleicht indem beide durchlässiger werden: Die Jungen müssten raus aus ihren Blasen und mit abendfüllenden Shows hinauf auf die größere Bühne. Comedians wie Malarina oder Soso Mugiraneza machen es bereits vor. Arrivierte könnten die Kollaboration suchen, hier und dort die Steigbügel halten und sich vielleicht sogar selbst ins Netz verirren.

Lukas Resetarits auf Tiktok also? Ja, warum nicht. Man müsste dann halt nur noch den unauflösbaren Widerspruch ertragen, dass sich soziale Netze zum Antikapitalismus verhalten wie der Teufel zum Weihwasser.


Porträts:

Toxische Pommes: Bobo-Rollenspiele auf Tiktok

Als "Toxische Pommes" auf Tiktok erfolgreich: eine Juristin aus Wien.
Foto: Marlon Hb

Sie ist eine Meisterin der kurzen Form. Auf der Video-App Tiktok – bis zu 60 Sekunden darf dort ein Clip dauern – schlüpft Toxische Pommes in die Rollen von woken Millennials namens Lorenz, arbeitet sich an Balkanklischees ab und greift tagespolitische Themen auf. Unvergessen das Video, in dem sie eine Frau spielt, die auf der Polizeistation ihren Morddrohungen schickenden Ex anzeigen will, worauf die Polizistin – auch von ihr gespielt – erwidert: "Jo und wo is des Problem, sie san ja nu am Lebn."

Toxische Pommes, die in Wien als Juristin arbeitet, hat sich mit ihrem Hobby eine Followerschaft von 40.000 Menschen auf Tiktok aufgebaut. Wie Stefanie Sargnagel zeichnet sie eine scharfe Beobachtungsgabe aus, die sie zu humoristischen Mini-Feuerwerken verarbeitet. Der Unterschied: Medium und Milieu. Ihre Kritik gilt der Heuchelei von linken Hipstern und Bobos, garniert mit Beobachtungen zu kulturellen Unterschieden – sie selbst hat Migrationshintergrund – zwischen dem Balkan und Österreich.

Toxische Pommes geht nie unter die Gürtellinie und zeigt, dass politisch korrekte Satire funktioniert.

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Soso Mugiraneza: Provozieren und sensibilisieren

Politische Korrektheit? Damit spielt Soso Mugiraneza.
Foto: Alex List

Von politischer Korrektheit hält Soso Mugiraneza nicht viel. Wobei, ganz stimmt das nicht. Denn der 38-Jährige, der als Flüchtling aus Burundi nach Österreich kam, setzt sie als Waffe gegen sein großteils weißes, linksliberales Publikum ein, provoziert es. "So ein Gutmenschengelaber wie ‚Refugees Welcome‘ werdet ihr von mir nicht hören, ich bin ja schon da, und der Rest ist mir scheißegal", sagt er in einem seiner Programme.

Neben einigen Lachern hört man es so richtig in den Köpfen des Publikums rattern: Darf ich das lustig finden? Darf ich als weißer Mensch lachen, wenn ein schwarzer Comedian das N-Wort für eine Pointe verwendet, wenn Rassismus in einem Witz thematisiert wird? Kein Wunder, dass der große Dave Chappelle zu den Vorbildern Mugiranezas gehört, der wie kein anderer die Komplexität des Themas "race" so verhandelt, dass einem das Lachen im Hals stecken bleibt.

Will Lachen

Doch Mugiraneza kann nicht nur Konfrontation, sondern auch Pädagogik. In Programmen wie Schwarzer Humor versucht er, sein Publikum dafür zu sensibilisieren, was Schwarzsein in Österreich bedeutet.

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Malarina: Politik und Glitzer

Migrationshintergrund und Lesbe: Marina Lackovic schöpft ihre Pointen aus Minderheitserfahrungen.
Foto: Independent Picka Production

Malarina trägt die engsten Kleider und spricht das gewählteste Deutsch auf einer Kabarettbühne seit Lisa Eckhart. Dass Malarina viel lustiger ist, liegt jetzt im Auge der Porträtistin, andere Meinungen sind gerade in Humorfragen erlaubt.

Die in Tirol aufgewachsene Literaturwissenschafterin Marina Lackovic gehört als Frau mit Migrationshintergrund und Lesbe gleich zu mehreren Minderheiten, was im Leben oft nicht so lustig ist, in der Comedy aber für ein Füllhorn an Pointen sorgt.

Sie mischt Oberflächliches – ein Lieblingsthema ist der Glitzer-Kleidungsstil serbischer Frauen ("Mein persönlicher Stil ist typisch serbisch. Das bedeutet in erster Linie ‚on sale‘, und es ist immer zu viel und zu wenig zugleich") – mit politisch Brisantem. Ihr erstes Programm Serben sterben langsam (ab September wieder im Kabarett Niedermair) verhandelt das Verhältnis Serbiens zu Österreich, inklusive Haider und H.-C. Strache.

Stand-Up Comedy

Sie gibt darin eine Austro-Serbin, die die nach ihr nach Österreich gekommenen Migranten verachtet und rechts wählt. Integration durch Xenophobie also. In ihrem zweiten Programm will sie sich einem feministischen Thema widmen. (TEXT: Stefan Weiss, PORTRÄTS: Amira Ben Saoud, 16.8.2021)