In "Szenen meiner Ehe" werden Schichten freigelegt. Beim Tanzen und anderswo.

Foto: Polyfilm

Der Abstand, mit dem sich das Paar am Esstisch gegenübersitzt, scheint plötzlich gewaltig. Die Frau hat Tränen in den Augen, der Mann starrt griesgrämig vor sich hin. Sie kann seine Worte nicht mit ihrem Gefühl zusammenbringen, aber auch er zweifelt an der Aufrichtigkeit ihrer Beteuerung, das Zusammensein mit ihm sei ihr das Wichtigste – "alles Talk". Ob er in diesem Moment denn noch ein Liebesgefühl ihr gegenüber habe, will sie nach langem Schweigen wissen. "Grad nicht", grummelt er – "Wahnsinn. Ich hab das."

Von Liebe ist in Katrin Schlössers Selbstdokumentation Szenen meiner Ehe eher nicht die Rede, dafür umso öfter vom "Liebesgefühl". Das Gefühl ist flüchtiger, hochsubjektiv und auch ein wenig verrückt. So sind Katrin Schlösser und Lukas Lessing zehn Jahre nach einem Verhältnis – beide waren damals gebunden – dann doch noch zusammengekommen. Eine folgenreiche Zufallsbegegnung an einer Straßenecke in Berlin. Noch am selben Tag war sie bereit, ihn zu heiraten.

Bettgespräche, Gutshaus

Über einen Zeitraum von drei Jahren hat Schlösser mit ihrer Handykamera Szenen ihrer Ehe aufgezeichnet: Bettgespräche und andere Alltagssituationen zwischen ihrem Wohnort Berlin und dem Burgenland, wo Lessing in einem hergerichteten Gutshaus lebt. Die verschiedenen Wohnorte sind im Laufe des Films immer wieder Anlass für Konflikte und verschärfen sich, als Lessing seine pflegebedürftige Mutter zu sich holt. Neben der Paarbeobachtung rücken Generationenverhältnisse in den Blick, auch das Porträt eines Mannes bzw. das Männlichkeitsporträt.

Szenen meiner Ehe folgt mitunter der Anordnung einer Redekur, wenn Schlösser das Gespräch auf die gemeinsame Rekapitulation der Vorgeschichte lenkt: die erste Begegnung, die Affäre und die abgebrochene Schwangerschaft, mit der das Zusammensein ein schmerzhaftes Ende fand, die Wiederbegegnung. Das Besprechen der Beziehung und das Abklopfen von Gefühlen sind der Frau überhaupt ein starkes Bedürfnis, während der Mann die Sprache vor allem als ein Instrument der Souveränität und Gewitztheit nutzt. Oft scheint ihm das, was sie unter "Beziehungsarbeit" versteht, aber einfach nur lästig zu sein.

Polyfilm Verleih

Katrin Schlösser, die in öffentlichen Diskussionen deutlich zwischen sich, der Regisseurin und "der Frau" unterscheidet, ist Professorin an der Kunsthochschule für Medien in Köln und Produzentin, in dieser Funktion war sie unter anderem an Filmen wie Ulrich Köhlers Schlafkrankheit beteiligt. Lukas Lessing ist gebürtiger Wiener und Schriftsteller. Beide kennen sich also gut aus mit der Gestaltung von Worten und Bildern und wie diese fähig sind, Wirklichkeiten zu produzieren.

Das soll nicht heißen, dass die Intimität und Bekenntnishaftigkeit von Szenen meiner Ehe nur "Show" wären, um (neben dem Talk) einen zentralen Begriff des Films zu verwenden. Doch die Aufzeichnungssituation ist im Film stets präsent und wird auch mitreflektiert. Es sei ja eh alles nur Inszenierung, findet der vor der Kamera viel herumkaspernde Lessing einmal, eine Erkenntnis, die er beim Besuch eines Supermarkts gewonnen hat und in nahezu allen Formen des Lebens bestätigt sieht. "Dass du keine Inszenierung bist für mich. Das ist meine einzige Chance", sagt er, um diese Gewissheit sogleich wieder ins Wanken zu bringen: "Ich muss mich für dich nicht inszenieren. Manchmal inszeniere ich mich trotzdem. Manchmal aber auch nicht."

Schichten an Ironie

Als Beziehungsfilm ist Szenen meiner Ehe gleichermaßen artikuliert wie vage – bei der Duisburger Filmwoche, wo der Film 2019 lief, brachte eine Zuseherin den Begriff "sumpfig" ins Spiel: "aber nicht offenbarend sumpfig, sondern einfach nur sumpfig". Als Beschreibung einer Rollenverteilung, die in vielen Punkten klassisch hetero ist, mag an dem Begriff wohl etwas dran sein.

Offenbarend in der Darstellung eines bestimmten gesellschaftlichen Milieus ist Szenen meiner Ehe aber durchaus. Etwa in der Beobachtung, wie schwierig es ist, durch die Schichten an Ironie, Selbstreflexivität und bewusster oder unbewusster Selbstdarstellung, die moderne Menschen sich so im Leben antrainiert haben, an ein "wahrhaftiges" Gefühl zu gelangen. (Esther Buss, 14.8.2021)