Jahrmärkte werden heuer reihenweise abgesagt. Zu hoch sind die Auflagen, zu groß ist die rechtliche Unsicherheit.

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Wien – Michael Peter Wiesbauers Leben sind Volksfeste und Kirtage. Seit fünf Generationen sorgt seine Familie auf Märkten mit Karussell, Tagada, Autodrom und Trampolin für Schwung. Auf gut 30 Veranstaltungen drehen die Fahrgeschäfte in guten Jahren ihre Runden. Heuer kamen sie bisher nur auf einem einzigen Markt zum Einsatz. Corona zwingt sie zum Stillstand.

Märkte sind Freiheit, sinniert Wiesbauer. Auf vielen Orten hätten sie in Österreich seit mehr als 700 Jahren Tradition. "Wir Schausteller sind seit jeher ans Kämpfen gewöhnt, keiner von uns will betteln gehen." Doch nun wisse keiner, wie es weitergehe. Als "nicht systemrelevant" stemple die Politik die Branche ab. "Aber erfüllen wir als Treffpunkt für die Jugend nicht eine hohe soziale Funktion?"

Pest, Weltkrieg, Corona

Zum 485. Mal hätte der Maxlaun-Markt in Niederwölz im Oktober über die Bühne gehen sollen. 80.000 Besucher sorgen bei einem der ältesten steirischen Volksfeste an einem Wochenende für bis zu sechs Millionen Euro Umsatz. Gut 700 Menschen finden hier kurzzeitig Arbeit. Nun unterbricht Corona zum zweiten Mal in Folge die Tradition. Zuvor gelang dies nur der Pest und dem Zweiten Weltkrieg.

Wiesenmärkte in Bleiburg oder Wolfsberg wurden ebenso abgesagt wie der Kirtag in Villach. Ob Vereinsfest oder 500-Jahr-Jubiläum – Feiern standen angesichts der strengen Auflagen und unsicheren Rechtslage den wenigsten Gemeinden im Sinn. Für Wiesbauer läutet das Leopoldifest in Klosterneuburg das alljährliche Ende der Saison ein. Ob auch dieses im November der Pandemie zum Opfer fällt? "Unsere Hoffnung stirbt zuletzt."

Wertloses Vergnügen

Der Niederösterreicher, der seine Branche als Sprecher vertritt, erinnert daran, dass die Nachtgastronomie aufsperren durfte. In Einkaufszentren sei alles erlaubt. Allein die Vertreter des Freizeitvergnügens unter freiem Himmel fänden seit Frühjahr kein Gehör, obwohl man zu allen Sicherheitsvorkehrungen und Kontrollen bereit wäre. "Im Wiener Prater funktioniert es ja auch."

Stattdessen lagerten Fahrwerke der Schausteller nun in Hallen, obwohl deren Räder sich drehen müssten, um instand zu bleiben, während ihre Besitzer kellnerten oder sich als Lkw-Fahrer verdingten, um nicht einzurosten, seufzt Wiesbauer. Bald wertlos seien diese Anlagen, obwohl vielfach noch nicht einmal abbezahlt. "Wer in Europa sollte sie denn jetzt kaufen wollen?"

Wie er versuchten einige Unternehmer, sich mit Pop-up-Parks auf der grünen Wiese über Wasser zu halten, ohne Handel und Gastronomie. Der Verdienst daraus sei freilich gering und reiche nicht über den Winter. Auch vereinzelte Messen halfen nicht aus der Krise. Den Betrieb für wenige Veranstaltungen hochzufahren zahle sich aufgrund der notwendigen Genehmigungen für Fuhrpark und Sondertransporte nicht aus, sagt Wiesbauer. Abgesehen davon, dass er für die kurze Zeit kein Personal finde.

Verordnung läuft aus

Österreich zählt 350 bis 400 Schausteller und 3200 aktive Markthändler. Es sind vor allem Einzel- und Familienbetriebe, die ihr Geld als Standler verdienen. Allein im Handel setzten sie vor Corona fast 200 Millionen Euro um. Doch wer wie sie von Markt zu Markt tingelt, bewegt sich mittlerweile in rechtlichen Grauzonen. Diese Woche setzten sich ihre Branchenvertreter mit Bürgermeistern an einen Tisch. Sie erwarten sich vom Gesundheitsministerium Klarheit. Die Zeit drängt: Am 19. August läuft die aktuelle Verordnung aus.

"Wir brauchen ein Umfeld, das Veranstaltungen im Freien ermöglicht, ohne dass sie zu Superspreadern werden", sagt Rainer Trefelik, Handelsobmann der Wirtschaftskammer. Die Verordnung müsse einheitlich auslegbar sein. Nach Absagen von Jahrmärkten und Kirtagen zum zweiten Mal in Folge bestehe die Gefahr, dass manche bald ganz Geschichte seien.

Gelände einzäunen

Während die Regierung die Rahmenbedingungen für Wochen- und Monatsmärkte absteckte, gibt es bei Kirtagen und Jahrmärkten juristisch reichlich Spielraum, den jede Bezirkshauptmannschaft anders interpretiert. Streng ausgelegt, führt dies zur Absage von Festen, milde bewertet, riskieren Veranstalter bei der Frage der Haftung in die Bredouille zu kommen.

Knackpunkt sind Datenerfassung und damit verbundene Zutrittskontrollen. Denn sind neben Händlern Gastwirte und Schausteller mit im Geschäft, ist das Gelände einzuzäunen. Was dieses vielerorts aber nicht zulässt. Sei es, weil damit die Kosten überhandnehmen, sei es, weil sich Anrainer nicht einsperren lassen oder Fluchtwege verriegelt werden.

Auch ohne Vergnügungsbetriebe ist es für Händler auf Gelegenheitsmärkten nicht einfach: Für deren Bewilligung braucht es Covid-19-Beauftragte und entsprechende Konzepte. In der Praxis führt dies dazu, dass Flohmärkte ebenso ungehindert stattfinden wie etwa der monatliche Markt in Neusiedl. Im nahen Jois hingegen unterliegen dieselben Händler fünfmal im Jahr hohen Auflagen.

"Keiner fühlt sich zuständig"

Der Verkauf von Würsteln ist zumeist erlaubt, der Spritzer im Becher tabu. Ist der örtlichen Feuerwehr der Ausschank auf Festen verboten, pfeifen viele Bürgermeister gleich ganz aufs Festl mitsamt Fieranten. 60 bis 70 Prozent der gemeinhin üblichen Märkte in Österreich fanden heuer nicht statt, schätzt Gerhard Lackstätter, Obmann der Markthändler. Seit einem halben Jahr bemühe er sich vergeblich um einen Termin im Gesundheitsministerium. "Doch keiner fühlt sich zuständig."

Lackstätters Familie reist mit ihrem Geschirr seit fünf Generationen von Markt zu Markt. Statt auf 300 bot er seine Ware dieses Jahr auf 120 feil. Diesen Sonntag wäre es mit 250 Kollegen zum Kirtag in Loretto im Burgenland gegangen. Doch dieser wurde nicht bewilligt. Ein Teil der Händler versucht nun am nicht abgesagten Kirtag in Maria Schutz am Semmering sein Glück.

Gibt es für Standler in Zeiten großer Handelsketten an jeder Ecke überhaupt noch Bedarf? Wiesbauer hat daran keine Zweifel. Auf Märkten auf dem Land kämen die Leut zusammen. "Soll die Jugend künftig nur noch vorm Fernseher sitzen?" (Verena Kainrath, 14.8.2021)