Zwischen den Erwartungen der Politik und den Verpflichtungen des ORF muss Neo-General Roland Weißmann balancieren.

Foto: APA / Roland Schlager

Wir müssen uns den Wahlsieger nicht zwingend als glücklichen Menschen vorstellen. Roland Weißmann (53), seit einem Vierteljahrhundert im ORF als Journalist und Manager und schon lange Verbindungsmann zur ÖVP, ist seit Dienstag, 15.03 Uhr, zum nächsten ORF-Generaldirektor bestellt – zum Alleingeschäftsführer des größten Medienkonzerns im Land, gekürt mit einer klaren Zweidrittelmehrheit im ORF-Stiftungsrat. Mit 1. Jänner 2022 löst er den Überlebenskünstler Alexander Wrabetz nach 15 Jahren an der Spitze ab. Aber kann man Weißmann dazu gratulieren?

Gewonnen, vielleicht zerronnen

Auf der einen Seite, natürlich. Weißmann hat sich um den Job beworben, er hat lange schon daran gearbeitet, und er hat überaus nachdrücklich in den Tagen vor der Abstimmung noch mit Landesdirektoren, Stiftungsräten und anderen Stakeholdern, wie er sagen würde, telefoniert, um seine Mehrheit abzusichern – Mission accomplished.

Auf der anderen Seite erwartet Weißmann nun ein heikler Eiertanz. Der ORF-General sitzt gemeinhin zwischen den großen Erwartungen der Politik und der mehrheitlich von ihr bestimmten Stiftungsräte einerseits – und der gesetzlichen Verpflichtung zur Unabhängigkeit von politischen und wirtschaftlichen Interessen, den Programmrichtlinien, dem Redakteursstatut und dem journalistischen Selbstverständnis, dem Arbeitsethos und der Wehrhaftigkeit der Redaktionen.

Im Managementjargon nimmt er damit eine klassische Sandwichposition ein, wiewohl ganz oben an den Schalthebeln des Unternehmens. Doch während Schinken und Gouda im Sandwich vergleichsweise gemütlich eingebettet sind, hat der ORF-General eher eine Toastlage: Von oben und unten brennen verdammt heiß die Befindlichkeiten.

Traumjob ORF-General?

Weißmann wird Boss des größten Medienkonzerns im Land, mit einer Milliarde Umsatz im Jahr, davon 650 Millionen aus – auf Sicht – ziemlich sicheren GIS-Einnahmen.

Er führt damit fast 4000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Konzern. Der Alleingeschäftsführer entscheidet über jede Einstellung, über jede Karriere, jeden Führungsjob, über jede den Gehaltszettel schmückende Pauschale etwa für "unregelmäßige Dienste" und andere Zulagen.

Weißmann wird oberster Boss der klar reichweitenstärksten TV-Sender im Land, der den Radiomarkt mit Dreiviertelmehrheit aller gehörten Sekunden beherrschenden Hörfunkprogramme, der allergrößten Newsseite im Land, der meistgesehenen Nachrichtensendungen, zugleich der größten Produktionsmaschine für Filme, Serien, Dokus.

Der ORF-General verdient (bisher jedenfalls) rund 420.000 Euro im Jahr, dazu kommen Annehmlichkeiten wie ein Dienstwagen (zuletzt: BMW 740 xDrive) samt, wenn gewünscht, Chauffeur. Es ist zwar nicht der absolute Bestbezug in Österreichs kleiner Medienbranche, aber schlecht ist er beileibe nicht.

Geweckte Erwartungen

Seit 2001 kann dieser ORF-General seinen Direktorinnen und Direktoren Weisungen erteilen. Und hier beginnt der heikle Balanceakt: Roland Weißmann, bisher Vizefinanzdirektor und Verwalter des großen TV-Budgets, wird mit 1. Jänner 2022 ORF-Chef, weil ihn eine Mehrheit von ÖVP-nahen Stiftungsräten unterstützt hat.

Sie hätte ihn – in erstmalig entscheidender Stärke für eine einzige Fraktion im Stiftungsrat – durchaus allein zum ORF-Chef machen können. Doch die Grünen schlossen sich an, weil sie dafür bei zwei von vier ORF-Direktorenjobs mitreden dürfen.

Für die vier Direktorenjobs und jene in den neun Landesstudios braucht Weißmann am 16. September die nächste Mehrheit im türkisen Stiftungsrat. Die Stiftungsräte von sechs ÖVP-regierten Bundesländern haben ihm zugestimmt. Das weckt Erwartungen in die Besetzung. Tirol, Oberösterreich, Niederösterreich brauchen neue Chefs oder Chefinnen, womöglich Salzburg, Kärnten, vielleicht Vorarlberg, Burgenland – und ganz sicher Wien.

Türkises Ketchup

Als General benötigt er für jedes Budget, jede größere unternehmerische Entscheidung, jeden Geschäftsführer einer Tochterfirma die Mehrheit im Stiftungsrat – vor allem aber für den im Herbst fälligen Antrag auf GIS-Erhöhung. Den Antrag stellt noch der bis Jahresende amtierende General Wrabetz. Der will (und kann rechtlich) auch selbst die Führung der künftig vereinten ORF-Information für TV, Radio, Online und Social Media bestimmen.

Wrabetz plant das nach seinen Worten so, dass sich Weißmann ab 2022 "leichter tut, Erwartungen, die an ihn gerichtet werden, nicht zu erfüllen". Ein komplett neu aufgestellter Newsroom, neue Ressortchefs und Chefredakteurinnen und Chefredakteure, 600 Pensionierungen und hunderte Neuanstellungen und ein General mit Personalhoheit: Das kann schon Hoffnungen auf einen türkisen Ketchup-Effekt zum Toast wecken.

Was Weißmann braucht

Wrabetz hat in den letzten Jahren viele politische Erwartungen erfüllt, um den ORF gegen Angriffe abzusichern – und um ORF-General zu bleiben. Am Ende hat die Wendigkeit nicht mehr gereicht: Die türkise Mehrheit im Stiftungsrat setzt nun auf Weißmann.

In Sitzungen dieses türkisen "Freundeskreises" war Kanzler-Medienbeauftragter Gerald Fleischmann im März und Anfang Juli zu Gast. Freilich nicht, um eine Wahlorder oder auch nur Empfehlung für Weißmann auszugeben, erklärt man, sondern einzig, um ein medienpolitisches Referat abzuhalten.

Auch Weißmann braucht etwas von den Türkisen: Das für Medien zuständige Kanzler-Kabinett wird jenes neue ORF-Gesetz aushandeln, das die langjährige ORF-Hoffnung auf weniger Beschränkungen im Web erfüllen soll.

Und so werden seit Verkündung des Wahlergebnisses alle Begleiterscheinungen um Weißmanns Antritt und seine ersten Entscheidungen beobachtet – mit Argusaugen und nicht nur reinem Wohlwollen. Es war eher kein Zufall, dass die Vidiwalls um Weißmann bei der Pressekonferenz direkt nach der Wahl vom ORF-Rot auf Türkistöne geschaltet wurden? (red, 14.8.2021)