Riccardo Muti und die Philharmoniker

Foto: Franco Borelli

Achtzig Jahre Riccardo Muti. Davon fünfzig Jahre Riccardo Muti bei den Salzburger Festspielen. Und zum ersten Mal Beethovens Missa Solemnis. Er habe die pandemiebedingte Auftrittspause genutzt, sich in das Werk zu vertiefen, über das er sich bislang noch nicht drübergetraut habe, so der Dirigent.

Die Messteile sind bei Beethoven wie auch in der Umsetzung von Muti keine Formalakte zum liturgischen Gebrauch, sondern anschauliche Schilderungen menschlicher Befindlichkeiten, Ängste und Nöte. Um zu schätzen, was Frieden ist, schadet es nicht, ein wenig Krieg zu spielen: ein Schlachtengetümmel das Agnus Dei. In die Bitten um Erbarmen und Frieden ist gleich auch ein guter Grund für dieses Flehen hineinkomponiert.

Das Beiwort "katholisch" zur Messkomposition gilt hier in seiner Grundbedeutung "allgemein". Auch die musiktheoretische Vokabel "Fuge" (von lat. fliehen) bekommt eine dräuend konkrete und aktuelle Bedeutung, wenn die rabiat gespielten Hetzjagden der Motive tatsächlich an Menschen auf der Flucht denken lassen.

Ganz Ohr für die Philharmoniker

Riccardo Muti schien seine sorgende Aufmerksamkeit zunächst ganz den Wiener Philharmonikern zuzuwenden. Die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor meldete sich in Kyrie und Gloria vor allem lautstark zu Wort. Es fehlte an Textdeutlichkeit. Die Soprangruppe kämpfte mit der Höhe. Die Männer, auch die Solisten, stemmten ihre Töne. Das Orchester agierte unter Mutis Führung bei weitem nicht so "gewaltbereit". Von Anfang an betörten etwa die subtil ausgemalten Orchesterübergänge zwischen den Gloria-Teilen. Allein die Holzbläser-Überleitung zwischen "filius patris" und "qui tollis" – einem Gott zu huldigen, heißt noch lange nicht, sich darauf zu verlassen, dass dieser Gott auch gnädig ist. Spannend, wie Muti über diese unzähligen Stimmungswechsel einen verbindenden Bogen zu spannen wusste.

Mit dem "Et incarnatus es" im Credo mildert und rundete sich auch der vokale Stahl zu Stimmgold. Das Sanctus fast ein Flüstern (die Angst vor dem zu lobenden Gott sitzt tief). Die ruhevollen Linien der Solisten – endlich zu nennen Rosa Feola (Sopran), Alisa Kolosova (Alt), Dmitry Korchak (Tenor) und Ildar Abdrazakov (Bass) – über dem Tremolo der tiefen Streicher: delikate Instrumental- und Vokalkultur. All das führt hin auf das Benedictus, jenes wundersame "Violinkonzert", dessen schlichte Melodie beinah rondoartig in allen möglichen Lagen und Kombinationen mit den Parts von Solisten und Chor den Lobpreis zum schlichten Kranz rundet. (Heidemarie Klabacher, 16.8.2021)