Mithilfe der Bohrplattform am Achensee gewannen die Forschenden neue Informationen aus Sedimentkernen.
Foto: Patrick Oswald

Ein Zufallsbefund im Rahmen einer Lehrveranstaltung der Universität Innsbruck stand am Anfang: Mittels akustischer Profilmessungen stellten Studierende den Untergrund des Achensees dar. "Dabei entdeckten wir überraschenderweise eine ungewöhnliche Geländestufe im Untergrund des Sees, für die wir zunächst keine Erklärung hatten", sagt der Sedimentgeologie-Doktorand Patrick Oswald. "Diese Stufe weckte meine Neugier."

Es folgten Analysen von bis zu elf Meter langen Sediment-Bohrkernen aus dem See. "Wir konnten zeigen, dass es sich bei der 'Geländestufe' im Achensee um eine tektonische Bruchzone handelt, die durch Versätze während Erdbeben entstanden ist", sagt Oswald, Erstautor der zugehörigen Studie, die im Fachjournal "Frontiers in Earth Science" erschien, in einer Aussendung der Uni Innsbruck. Die Versätze zeigten, dass es hier zu drei Starkbeben gekommen ist – und zwar in einer Stärke von etwa 6 bis 6,5 nach der Momenten-Magnituden-Skala, was grob auch einem ähnlichen Wert auf der Richter-Skala entspricht. Ein Momenten-Magnituden-Beben der Stärke 6 entspricht in etwa 1,2 Hiroshima-Atombomben.

Hinweise auf Erdbeben in Hall

Der Achensee in Vogelperspektive mit Wassertiefen-3D-Ansicht. Die Linien und Pfeile veranschaulichen die aktive Bruchzone, Geländestufen und frühere Unterwasserrutschungen, die durch Erdbeben hervorgerufen wurden.
Foto: Patrick Oswald

Auch die Zeitspanne, wie lang diese Erdbeben her sind, ließ sich ermitteln: Sie fanden innerhalb der vergangenen 17.000 Jahre statt, das letzte vor rund 8.300 Jahren, also in der Mittelsteinzeit, als die Menschen noch jagend und sammelnd für ihre Ernährung sorgten. "Im geologischen Sinne gilt diese Bruchzone daher als tektonisch aktiv, da innerhalb der letzten 10.000 Jahre Starkbeben stattgefunden haben", sagt Oswald.

Daneben konnte das Team auch Indizien für jüngere Erdbeben finden. Unterwasser-Rutschungen und kollabierende Küstenteile weisen auf acht weitere, wahrscheinlich schwächere Beben hin, die in der weiteren Umgebung des Achensees stattfanden. Dazu könnte auch das berühmte Erdbeben in Hall am 17. Juli 1670 und seine Folgebeben zählen, über das man heute aufgrund der Inschriften am Goldenen Dachl in Innsbruck und Aufzeichnungen zu Gebäudeschäden bescheid weiß. Zeitlich würde es jedenfalls zu den Daten passen.

Eine Inschrift am Goldenen Dachl weist auf die Erdbeben 1670/71 hin.
Foto: Robert Newald

Im Inntal kam es immer wieder zu Erdbeben, durchschnittlich sind es in Tirol 14 Beben pro Jahr, die auch von der Bevölkerung bemerkt werden. Ungefähr alle zehn Jahre werden dabei auch Gebäude beschädigt. Für die vergangenen 1.000 Jahre sind Erdbeben dank historischen Quellen gut dokumentiert – allerdings nicht, welche geologische Bruchzone dafür verantwortlich war. "Die Entdeckung dieser aktive Bruchzone in den Seesedimenten des Achensees ist daher für ein besseres Verständnis der tektonischen Geschichte der Alpen von besonderer Bedeutung", sagt der ebenfalls an der Studie beteiligte Geologe Jasper Moernaut – vor allem auch zu den Geschehnissen vor mehr als 1.000 Jahren. "Damit können wir ein erstes paläoseismologisches Archiv für das Tiroler Unterland vorlegen, wo bisher keine Informationen zu prähistorischen Erdbeben vorhanden waren."

Aufschlussreiches Archiv

Gerade Seen sind für die Erdbebenforschung wertvoll, denn am Gewässergrund wirkt die Abtragung durch Wind und Wetter nicht wie bei der Landschaft oberhalb der Wasseroberfläche. Außerdem werden ihre Sedimente seltener von Menschen umgearbeitet. Daraus können klimatische und ökologische Bedingungen aus längst vergangenen Zeiten abgeleitet werden, sagt Michael Strasser, Leiter der Arbeitsgruppe für Sedimentgeologie und betreuender Autor der Studie.

Erdbeben können auch Küstenabschnitte destabilisieren und hohe Wellen auslösen, sagt Strasser: "Historische Ereignisse am Wörthersee, Genfersee oder Vierwaldstättersee verdeutlichen, dass man sich bei einem Starkbeben von der Küstenlinie fernhalten sollte." Mit den neu gewonnenen Erkenntnissen über die Bruchzone sollen auch künftige Erdbebengefahren in den Alpentälern besser abgeschätzt werden: "Erdbeben dieser Stärke sind zwar selten, können aber verheerende Folgen haben." (red, 16.8.2021)