63 Prozent der impfbaren Bevölkerung sind in Österreich vollimmunisiert. Wie viel Druck soll ausgeübt werden, damit sich der Rest auch den Stich geben lässt?

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Eine Idee macht Furore: Nach den Landesregierungen der Steiermark, Kärntens und Tirols schloss sich die Ärztekammer dem Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) an. Sie alle sind dafür, dass gewisse Einrichtungen im Herbst nur mehr geimpften Menschen offenstehen sollen. Wer freiwillig auf die Immunisierung verzichtet, dem könnte beispielsweise der Zutritt zu Sport- und Freizeitanlagen verwehrt bleiben. Auch alle Gastronomiebetriebe wären betroffen – egal ob am Tag oder in der Nacht, berichtete der "Kurier".

In der Reihe der Befürworter fehlt allerdings ein entscheidender Akteur. Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein reagierte auf Hackers Vorstoß reserviert. "Die Einschränkung des öffentlichen Lebens nur für Ungeimpfte halte ich bundesweit derzeit für nicht spruchreif", sagte der Grün-Politiker in der "ZiB 2" des ORF: "Ich glaube, das ist eine Frage des Zeitpunkts."

Ja, die epidemiologische Lage verschärfe sich seit ein paar Tagen. "Aber derzeit zu unterscheiden, Ungeimpfte und Geimpfte, auf breiterer Basis, das würde schon zu einer Spaltung der Gesellschaft führen", argumentiert Mückstein: "Ich glaube, das ist in der derzeitigen Lage epidemiologisch nicht vertretbar." Wenn die Regierung die Ende August auslaufenden Corona-Regeln durch neue ersetze, werde es also keine Unterscheidung zwischen Geimpften und Ungeimpften geben.

Zwei Fliegen, eine Klappe

"Mich hat überrascht, dass der Minister das nicht aufgreift", sagt Gerald Gartlehner, Gesundheitsexperte an der Donau-Uni-Krems. Schließlich seien nur mehr vier Wochen Zeit, ehe der anbrechende Herbst das soziale Leben in die Innenräume verlagern und damit für ein infektionsfreundlicheres Setting sorgen werde: "Jetzt ist der Zeitpunkt, um die Impfrate möglichst in die Höhe zu treiben."

Genau das ließe sich mit selektiven Beschränkungen bewerkstelligen, glaubt Gartlehner: "Die Motivation, sich impfen zu lassen, würde steigen." Gerade Österreich, wo derzeit 63 Prozent der impfbaren Bevölkerung über zwölf Jahre voll immunisiert sind, habe einen solchen Schub nötig, zumal das Land im EU-Vergleich ins Hintertreffen gerate. Es scheine, dass mit den bisherigen Methoden der Plafond erreicht sei: "Ich halte Zutrittsverbote für Ungeimpfte deshalb für notwendig. Bleiben 40 Prozent ungeimpft, könnte der Herbst schwierig werden."

All jene, die sich davon nicht zum Stich bewegen lassen, müssten zumindest auf so manche ansteckungsträchtige Aktivität verzichten – auch das sollte das Infektionsgeschehen im Herbst dämpfen. "Man schlägt also zwei Fliegen mit einer Klappe", sagt Gartlehner.

Thomas Szekeres argumentiert ähnlich. "Je weniger wir es schaffen, in den nächsten Wochen zu impfen, umso wuchtiger wird die Welle sein, die uns im Herbst nach Beginn des Schulstarts treffen wird", sagt der Ärztekammerchef und nennt die Ungeimpften den "Motor" der vierten Welle. Das Verwehren des Zugangs zu Einrichtungen und Events sei ein "systematisches Zurückfahren der Möglichkeiten für Ungeimpfte, mit vielen Menschen in Kontakt zu kommen".

Risiko für Allgemeinheit

Viel Verständnis zeigt auch Michael Wagner, Mikrobiologe an der Uni Wien: "Alles, was die Leute zum Impfen bringt, ist sehr überlegenswert." Das Nein zur Immunisierung sei ja nicht allein eine persönliche Entscheidung. "Wer sich nicht impfen lässt, leistet keinen Beitrag dazu, dass wir alle gut durch die Pandemie kommen, und stellt ein größeres Risiko für die Allgemeinheit dar", sagt Wagner. "Da ist es gerechtfertigt, wenn es im Gegenzug Nachteile gibt."

Vorerst keine Stellung wollte auf Anfrage das ÖVP-geführte Bundeskanzleramt nehmen. Da die gültige Covid-Öffnungsverordnung bereits Ende August ausläuft, will sich die türkis-grüne Regierung aber schon in den nächsten Tagen auf ein neues Regelwerk einigen. Wieder behält sich das von SPÖ und Neos regierte Wien vor, nach Konsultation mit Experten im Alleingang schärfere Bestimmungen zu verhängen.

Auch weiter westlich ist Selbstbeschränkung angesagt: Österreichs Skischulverband beschließt eine Impfpflicht für die Teilnahme an den Skilehrerausbildungen der heurigen Saison. (Gerald John, 16.8.2021)