Vier Menschen verloren bei dem Terroranschlag ihr Leben, zahlreiche weitere wurden verletzt. Noch immer sind nicht alle Umstände der Tatnacht geklärt.

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Am 1. November 2020 treffen einander K. F. und Ishaq S. bei einem Dönerstand im Bereich der U-Bahn-Station Alterlaa. Beide sind zu diesem Zeitpunkt bereits verurteilte Jihadisten; einer der beiden wird am nächsten Tag im Wiener Bermudadreieck einen Terroranschlag begehen, vier Menschen töten, 23 weitere zum Teil schwer verletzen und selbst von der Polizei erschossen werden. Die Waffe dazu hätte K. F. ohne seinen langjährigen Freund Ishaq S. wohl nie erhalten. Das sagt zumindest dieser selbst laut einem Bericht des Verfassungsschutzes. Über einen damaligen Mithäftling in der Justizanstalt Hirtenberg soll Ishaq S. den Attentäter mit dem Waffen- und Munitionsverkäufer vernetzt haben.

Deshalb sitzt S. seit April 2021 wieder in U-Haft, wie Recherchen von STANDARD und Presse zeigen: Er sei "maßgeblich in die Vermittlung beziehungsweise möglicherweise auch die Abwicklung des Waffen- und Munitionskaufs an seinen Bekannten, den späteren Attentäter", eingebunden gewesen. Worüber sich die zwei am Tag vor dem Attentat beim Dönerstand in Liesing unterhalten haben? Sie hätten "über normale Dinge gesprochen" und sich "zufällig getroffen", sagte Ishaq S. in seiner Einvernahme.

Über Zellenfenster kommuniziert

Wer ist Ishaq S.? Der junge Mann wurde bereits im Jugendalter wegen der Verbreitung von IS-Propagandamaterial verurteilt. Doch davon soll er sich unbeeindruckt gezeigt haben. Er habe weiterhin stark mit der Terrorgruppe sympathisiert. Die Hinrichtungen in Syrien und im Irak seien von ihm gerechtfertigt und als notwendig erachtet worden. Betroffene habe er als "Schuldige" bezeichnet, die es nicht anders verdient hätten.

Im Mai 2019 wurde Ishaq S. wegen identer Tatbestände erneut angezeigt, heißt es in Verfassungsschutzberichten, und verurteilt. Nähere Angaben dazu machte die Staatsanwaltschaft Wien offiziell bisher nicht.

In seinen Vernehmungen zum Terroranschlag sagte Ishaq S. aus, dass er den Attentäter K. F. seit seiner Kindheit kenne. Die beiden Familien seien eng miteinander verbunden gewesen. Ishaq S. erzählte, dass er auch mit dem späteren Attentäter in Haft gewesen sei. In der Justizanstalt Josefstadt hätten sie allerdings nur über die Fenster Kontakt gehabt. Nach der Haft sei die Verbindung der beiden "sporadisch" gewesen. Auch einen Deradikalisierungskurs soll Ishaq S. – ebenso wie der spätere Attentäter – besucht haben.

Heikle Verbindungen

Der 20-jährige Wiener, der nun zum dritten Mal in Haft ist, gilt für die Behörden als Beispiel dafür, "wie sich derart radikalsalafistisches Gedankengut in zweiter Generation auswirken kann". Denn auch S.’ Vater ist für die Behörden kein Unbekannter: Er soll im "Umfeld der Muslimbruderschaft" agieren. In der "Operation Luxor", den großflächigen Ermittlungen gegen angebliche Mitglieder der Bewegung, ist er aber kein Beschuldigter. Allerdings wird S. in Aktenteilen erwähnt, etwa bezüglich einer Demonstration in Wien 2013. Dort soll S. eine Rede gehalten haben, in der er ägyptische Soldaten für ihren Einsatz im Jom-Kippur-Krieg im Jahr 1973 gelobt habe, weil sie damals "Zionisten" angegriffen hätten. Das ägyptische Militär tadelte er dann, weil es sich gegen den aus der Muslimbruderschaft stammenden Präsidenten Mohammed Mursi gewandt hatte.

Neben S. auf Archivfotos der Demonstration zu sehen: Sein damals 13-jähriger Sohn Ishaq S., der sich später radikalisierte. Nach der ersten Verurteilung fanden Ermittler bei einer neuerlichen Durchsuchung mehr als 140 Gigabyte an IS-Material auf dessen Smartphone, darunter auch Enthauptungsvideos. Ishaq S. war auch Mitglied zweier "Supergruppen" im Messengerdienst Telegram, in denen laut Verfassungsschutz "massiv IS-Propaganda verbreitet wurde".

Die Ermittler versuchen die Causa Ishaq S. als Beleg für Verbindungen zwischen stark unterschiedlichen Milieus heranzuziehen: In der "Operation Luxor" geht es um angebliche Muslimbrüder, denen Terrorfinanzierung im Ausland vorgeworfen wird. Ganz anders verhält es sich beim radikalen Jihadismus in Form der Terrorbande "IS", die gerade in Europa Anschläge durchführen will.

Durch familiäre Kontakte gibt es zwischen den einzelnen Strömungen Verbindungen: So ist der Vater des mutmaßlichen Waffenvermittlers Ishaq S. gut vernetzt; auf Facebook ist auch Ishaq S. mit prominenten Aktivisten aus der islamischen Community "befreundet".

Wie der Anschlag "Luxor" verzögerte

Der Anschlag hatte auch durch sein Timing direkte Auswirkungen auf die "Operation Luxor": Eigentlich wäre diese schon am 3. November geplant gewesen, nicht erst einige Tage darauf – sie wurde wegen der Terrornacht verschoben. Und, andersherum: Auch die sogenannte Gefährderansprache, also dass man K. F. mit seinem versuchten Waffenkauf konfrontierte, wurde verschoben – die Ermittler waren in Sorge, dass das die "Operation Luxor" aufgrund "der bekannten intensiven Vernetzung der Personen der Islamistenszene" gefährden könnte, wie aus Dokumenten hervorgeht. So wurde die "Operation Luxor" schlicht als höher prioritär eingestuft.

Nun, zehn Monate danach, sind rund um den Anschlag immer noch zentrale Fragen offen. Etwa, wie groß das islamistische Netzwerk, in das K. F. eingebunden war, tatsächlich war und wie es agierte. Aktuell wird jedenfalls gegen insgesamt 32 namentlich bekannte Personen im Zusammenhang mit dem Anschlag ermittelt, wie die Wiener Staatsanwaltschaft mitteilt. Sieben Personen befinden sich in U-Haft. Von den sieben Personen wurden vier direkt nach dem Anschlag festgenommen. Unter den Verdächtigen sind auch Personen, die nach dem Anschlag selbst zur Polizei gingen, um eine Aussage zu machen – als Zeugen. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung. (Vanessa Gaigg, Jan Michael Marchart, Gabriele Scherndl, Fabian Schmid, 17.8.2021)